Tod der Heiligen

XXIX.

Die Banditen haben ihr Lager sehr nah am Dorf aufgeschlagen, sodass es zu Fuß in einer Stunde zu erreichen ist. Für eine gesunde Person, die keine Debuffs auf sich wirkt, jedenfalls.

»Wäre es nicht einfacher, wenn Ihr Euch gleich von Mikail tragen lasst?«, fragt Estella verdrossen, nachdem wir knapp zehn Minuten gelaufen sind und ich bereits heftig schnaufe.

Ich dachte, es wäre leichter, ohne den schweren Mantel der Heiligen, aber der Unterschied ist weit weniger spürbar, als ich gehofft habe. Ich sehe zu Mikail, der neben mir hergeht, und mich beobachtet, als wäre er bereit, mich jederzeit aufzufangen, sollte ich stolpern. Es ist recht demütigend.

Und natürlich, gerade als ich das denke, stolpere ich über eine Wurzel.

»Vorsicht!« Mikail packt meinen Arm, obwohl ich es auch ohne seine Hilfe geschafft hätte, das Gleichgewicht zu halten. Und etwas ist anders.

Ich starre auf seine große Hand, die meinen Unterarm gepackt hält, den er mit seinen Fingern völlig umfassen kann. Und in diesem Moment wird mir etwas klar, dass ich nicht bedacht habe. So nervig der Mantel der Heiligen auch gewesen ist, sein dicker Stoff hat es für mich erträglich gemacht, von Mikail getragen zu werden. So sehr, dass ich kaum noch darüber nachgedacht habe.

Ich nehme einen tiefen Atemzug. Estella hat recht. Wir sollten nicht trödeln.

Aber Mikail lässt meinen Arm los und tritt einen Schritt zurück.

Verdutzt beobachte ich, wie er seine Schärpe löst und um seinen Unterarm wickelt.

»Stützt Euch auf mich«, sagt er dann mit ruhiger Stimme und einem sanften Lächeln.

Ich sehe ihn verwirrt an. »Wieso?«

»Ihr sagtet, der Weg ist nicht weit. Es ist bestimmt nicht weiter, als die Strecke, die Ihr bisher gelaufen seid und wenn Ihr Euch auf mich stützt, sollten wir schnell genug vorankommen.«

Ich sehe auf seinen von Stoff umwickelten Arm hinab. Was will er beweisen? Wie rücksichtsvoll er ist?

Ich richte meinen Blick wieder auf sein Gesicht. »Seid Ihr erschöpft?«, frage ich und sehe ihn mit gerunzelter Stirn an, bemüht so verwirrt wie möglich zu wirken.

Er erwidert meinen Blick einen Moment nachdenklich. »Ich dachte, es wäre Euch lieber, selbst zu laufen.«

»Das ist es!«, antworte ich sofort. »Aber ich habe mittlerweile eingesehen, dass meine Sturheit uns nur aufhält. Ich dachte, das wäre Euch aufgefallen.«

Mikails Brauen ziehen sich zusammen und er starrt mich an, als wäre er nicht einverstanden mit meinen Worten.

»Gibt es ein Problem?«, mischt Estella sich ein und tritt neben mich, um Mikail anzusehen. Sie wirft einen fragenden Blick auf die Schärpe, die er um seinen Unterarm gewickelt hat.

Mikail seufzt. »Nein«, sagt er, wobei seine Augen zu mir huschen. Er wickelt die Schärpe wieder ab und legt sie an. »Miss Lori«, sagt er dann und streckt mir die Hände entgegen.

Ich sage nichts und lasse mich hochheben.

Mikail beobachtet wachsam mein Gesicht und ich bemühe mich, so gelassen wie möglich zu wirken. Und es ist nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe. Mit dem Debuff auf meine Empfindlichkeit ist es erträglich, solange ich nicht zu genau darüber nachdenke, an welchen Stellen meine Haut Mikails berührt. Und es ist schließlich nur für eine Stunde.



 

Mikail setzt mich ab, kurz bevor wir das Dorf erreichen und an diesem Punkt glaube ich nicht mehr, dass meine Einschätzung von einer Stunde Wegezeit korrekt war. Mein ganzer Körper fühlt sich steif und verkrampft an und ich bin erschöpfter, als nach den zehn Minuten, die ich allein gelaufen bin.

»Geht es Euch gut?« Mikail mustert mich besorgt und ich weiß, dass ihm aufgefallen ist, wie unangenehm mir der Weg her war. Er sieht mich schon die ganze Zeit mit diesem Blick an, was nicht wirklich dazu beigetragen hat, die Situation angenehmer zu machen.

»Natürlich«, antworte ich knapp, während ich die Stelle an meinem Arm reibe, die Mikails Hand berührt hat, als er mich getragen hat. Mein Blick ist auf die Hütten gerichtet, die zwischen den Bäumen zum Vorschein gekommen sind. »Bleibt hinter mir und überlasst mir das Reden«, sage ich, bevor ich darauf zugehe.

Hinter mir höre ich, wie Estella auf Mikail einredet, aber ich mache mir nicht die Mühe zu lauschen. Wenn sie zurückbleiben, um zu quatschen, soll es mir recht sein. Aber natürlich folgen sie mir schließlich.

Unsere Ankunft im Dorf wird sofort bemerkt. Ein Mann, der vor seiner Hütte an einem Baumstamm herumgewerkelt hat, lässt von seiner Arbeit ab und kommt auf uns zu.

Ich spüre weitere Blicke auf mir, halte meine Aufmerksamkeit aber auf den Mann gerichtet, der so aussieht, als wäre es sein Plan, uns sofort aus dem Dorf zu jagen.

Er ist groß und hat breite Schultern. Er ist kein Soldat, aber offenbar hat er sein Leben lang mit Bäumen und ihren Stämmen herumhantiert und er scheint mir etwa 50 zu sein. Das ist eine lange Zeit um einen Aura-Pool zu entwickeln, der dem von Mikail Konkurrenz macht.

Ich würde sagen, er ist mit ein Grund, weshalb die Banditen im Wald hausen und nicht einfach das Dorf übernommen haben. Aber gerade als ich einen schwachen Heilzauber auf den Mann wirken will, der lediglich Anspannung und verkrampfte Muskeln löst und uns dabei helfen soll, harmlos auf ihn zu wirken, versperrt mir ein Rücken die Sicht auf ihn.

Ich bleibe irritiert stehen. Dann packe ich Mikails Tunika und ziehe daran. »Was tut Ihr da?«, zische ich, denn ich bin mir sicher, ihm noch vor einer Minute gesagt zu haben, dass er hinter mir bleiben soll.

Mikail dreht leicht den Kopf, aber nicht weit genug, um den Mann nicht mehr im Blick behalten zu können. »Verzeiht, aber es scheint, Ihr hattet recht. Dieser Mann sieht nicht so aus, als wolle er uns willkommen heißen.«

»Wenn er Euch Angst macht, solltet Ihr Euch hinter mir verstecken und mir nicht im Weg stehen.«

Diesmal dreht er den Kopf so weit, um mich anzusehen. »I-Ich wollte nur …«, stammelt er verdutzt.

»Ich weiß, was Ihr wolltet. Aber versucht, Euren Heldenmut etwas im Zaum zu halten.« Ich lasse ihn los und umrunde ihn, damit ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann richten kann.

Er ist ebenfalls stehen geblieben, als hätte Mikail ihn tatsächlich zögern lassen. Aber sein Blick ist noch immer abweisend und grimmig.

Ich erwidere ihn mit einem Lächeln, während ich meinen Zauber wirke. »Guten Tag«, sage ich auf Sottisch und mit erhobenen Händen. »Wir sind nicht hier, um Ärger zu machen.«

Seine Züge glätten sich etwas und der grimmige Blick macht einem überraschten Platz. Dann, als wäre er irritiert von seiner eigenen Reaktion, verzieht er das Gesicht und reckt das Kinn. »Wer seid ihr?«

»Oh, wir sind nur auf der Durchreise. Eigentlich wollten wir nach Anhui, aber, nun, einige Unannehmlichkeiten haben uns vom Weg abgebracht und wir haben uns ein wenig verirrt.«

Der Mann mustert mich von Kopf bis Fuß und ich sehe die Vorsicht in seinen Augen. Eine junge Frau wie ich, eine Ausländerin, die seine Sprache jedoch fließend beherrscht und unbesorgt davon berichtet, sich in einem fremden Land verirrt zu haben, ist definitiv niemand, mit dem er länger als nötig zu tun haben will.

Er nickt mit dem Kopf in Richtung des Dorfes. »Geht weiter den Fluss entlang. Morgen erreicht ihr Anhui.«

»Das sind wunderbare Neuigkeiten, aber da gibt es noch ein winziges Problem.« Ich mache einen Schritt auf ihn zu, wobei ich kurz an dem Mann vorbeisehe. Es sind nun deutlich mehr Dörfler zu sehen als zuvor und einige von ihnen tragen Werkzeuge wie Äxte oder Hacken in der Hand, ohne dass es dabei so aussieht, als hätten sie damit eine Arbeit zu erledigen.

Aber ich tue so, als wäre mir das entgangen, während ich meinen Blick wieder auf den Mann richte und in unbekümmertem Tonfall weiterspreche. »Es ist nämlich so, dass wir im Wald von Banditen überfallen wurden.«

Der Mann zuckt kaum merklich, aber ich tue erneut so, als hätte ich nichts bemerkt. »Meine Wachen haben sich darum gekümmert, aber ich bin keine Banditenjägerin und wir können sie schlecht nach Anhui bringen. Deswegen brauchen wir eure Hilfe, um Anhui zu kontaktieren, damit sie jemanden schicken, der die Banditen abholt, ja?« Ich lächle den Mann unschuldig an.

Er reagiert nicht sofort. Was ich als gutes Zeichen werte, da er nicht sofort ablehnt. »Ich werde Tula fragen«, sagt er dann und wendet sich prompt ab.

»Wer ist Tula?«, frage ich, aber er dreht sich nicht noch einmal um, um mir zu antworten.

»Haltet Ihr das für klug?!«, zischt Estella mir zu und ich drehe mich zu ihr und Mikail um.

»Ihr habt davon geredet, dass man uns sofort durchschauen würde und nur Ihr die Dörfler überzeugen könntet, dass wir alle einfache Bürger sind. Aber so wie Ihr gerade mit diesem Mann gesprochen habt, hättet Ihr ihm auch gleich Euren Titel nennen können.«

»Ihr habt mich missverstanden.« Mal wieder, denke ich. »Ich sagte, wir werden nicht verbergen können, was wir sind, und wenn wir es ohnehin nicht verbergen können, welchen Sinn hat es dann, es zu versuchen? Es macht uns nur verdächtig, denkt Ihr nicht?«

Estella macht ein verwirrtes Gesicht. Sie wirft Mikail einen Blick zu, der sich allerdings nicht an dem Gespräch beteiligen zu wollen scheint. Vielleicht schmollt er, weil ich gesagt habe, er soll sich hinter mir verstecken.

»Ist Euch eigentlich bewusst, wie wirr Ihr Euch ausdrückt? Wir sollen darauf achten, nicht wie Adlige zu wirken und es doch nicht verbergen.«

Ich seufze. »Wenn Ihr mir sagen wollt, dass Ihr mir nicht vertraut, ist das ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren.«

Estellas Blick huscht zum Dorf. Sie schluckt und tritt dann einen Schritt zurück. »Ich wollte nicht andeuten, dass ich Euch nicht vertraue. Verzeiht mir.«

»Gut. Dann seid von nun an bitte leise und bleibt immer ein paar Schritte hinter mir.« Ich sehe Mikail an, der schuldbewusst meinem Blick ausweicht.

»Legt Ihr es darauf an, uns wie Eure Diener wirken zu lassen?«, empört sich Estella, aber ich drehe mich um und tue so, als würde ich mich auf die Rückkehr des Mannes konzentrieren.

Er ist nun in Begleitung einer kleinen, älteren Dame, mit schütterem Haar und vergilbter Haut. Sie geht mit gekrümmtem Rücken, aber der Blick, mit dem sie mich ansieht, als sie vor mir stehen bleibt, ist streng und intensiv. Und sie ist eine weiße Magierin, Rang B würde ich sagen.

Ich erwidere ihren Blick mit einem Lächeln. »Hallo«, sage ich und wirke auch auf sie den Entspannungszauber. Allerdings weiß ich schon jetzt, dass diese Dame, Tula, schwerer zu handhaben ist, als der bullige Holzfäller.

»Ihr habt die Banditen gefangen?«, fragt sie mit einer für eine Frau sehr tiefen Stimme.

Ich nicke. »Wir wollten nur nach dem Weg fragen, aber sie haben uns angegriffen. Es war Notwehr.«

Tula hebt eine Hand und wedelt in meine Richtung, als wolle sie mir signalisieren, nicht weiterzusprechen. »Wir wollen keinen Ärger. Geht wieder.«

Ich lege den Kopf schief. »Wir haben nicht vor hierzubleiben. Wir brauchen nur Hilfe dabei, die Banditen nach Anhui zu bekommen. Ihr seid bestimmt -«

»Nein!«, unterbricht sie mich in strengem Tonfall. »Wir wollen keinen Ärger!«

»Hm …« Ich tippe mir mit dem Finger gegen das Kinn, während ich Tula mustere. Die freundliche Art funktioniert bei ihr offenbar nicht. »Wie eigenartig. Ich dachte, ihr würdet Euch darüber freuen, dass die Banditen gefasst wurden und würdet gerne helfen.«

Tulas Lippen spannen sich an. »Ich beschütze nur mein Dorf!«

»Und ich beschütze mein Leben. Die Männer in unserer Gewalt wollten es mir ohne Grund nehmen, aber dieses Dorf scheinen sie in Ruhe zu lassen. Wieso, frage ich mich.« Ich erwidere den strengen Blick ihrer Augen, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Wir wissen uns im Notfall zu verteidigen«, gibt Tula zurück und macht einen Schritt nach hinten. »Und jetzt geht.«

Ich erschaffe einen Schild hinter ihr, der sie davon abhält, mich einfach stehenzulassen. »Dann betrachtet das hier als einen Notfall«, sage ich, während Tula irritiert gegen meinen Schild drückt. Erst mit der Hand, dann mit ihrem Mana.

Da ich meine Mana für den Zauber verborgen habe und Tula selbst genug Mana besitzt, um meine falsche Mana-Quelle zu spüren, huscht ihr Blick kurz umher, während sie nach dem Zauberer sucht.

Ich schnaube. »Ihr wollt doch nicht für Verbündete der Banditen gehalten werden.«

Tula rümpft die Nase, aber es liegt ein Anflug von Verunsicherung in ihren Augen und sie bedeutet dem Holzfäller, nicht mit seiner Aura auf meinen Schild einzuschlagen. »Wir schicken eine Nachricht nach Anhui.«

»Das ist in diesem kleinen Dorf also möglich?«, frage ich herablassend und Tulas Miene verdüstert sich. Aber sie nickt.

»Das würde ich gerne sehen. Es ist doch kein Problem, wenn ich mitkomme und dabei zusehe, wie die Nachricht verschickt wird.« Ich lächle, sehe Tula dabei aber an, sodass sie versteht, dass ich keine Frage stelle.

Sie wirft dem Holzfäller einen Blick zu, der mich mittlerweile ebenfalls wieder mit düsterer Miene betrachtet, ehe sie ein weiteres Mal nickt.

Ich entferne meinen Schild. »Das ist sehr freundlich«, sage ich und hebe meine Hand, um Mikail und Estella zu signalisieren, mir zu folgen, während ich mit Tula das Dorf betrete. Die Gegenwehr ist stärker als ich erwartet habe. Und es fühlt sich nicht so an, als hätten die Dörfler Angst vor den Banditen. Sondern als wären sie vielmehr unglücklich darüber, dass sie gefangen genommen wurden.

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