Tod der Heiligen

XXVI.

Ich spüre Jakes verdatterten Blick auf mir, aber das bringt mich nur noch mehr zum Lachen. Die gesamte Situation ist so lächerlich! Es ist nicht einmal die Tatsache, dass ein Alistair mir grundlos gesteht, nicht für ein Attentat auf mich verantwortlich zu sein. Oder dass er es ernst meint und tatsächlich die Wahrheit sagt. Oder dass er so ahnungslos ist. Nein.

Ich halte meine Augen auf Jake gerichtet, dessen Gesicht eine Mischung aus Entsetzen, Verwirrung, Sorge und Scham zeigt. Es ist dieser Ausdruck. Ein Ausdruck, der mir sagt, dass er mich nicht nur nicht als Feindin betrachtet. Er sieht mich mit Hoffnung an. Als würde er darauf hoffen, dass ich ihm glaube, und damit wären alle Probleme gelöst.

Wie kann ein Alistair es wagen, mich so anzusehen?!

»Eure Heiligkeit?«

Ich lege mir eine Hand über den Mund und beiße mir auf die Lippe. »Warum sagt Ihr mir das gerade jetzt?«

Er mustert mich, nach wie vor verwirrt. »Ich wollte Euch die Wahrheit sagen. Und bis jetzt hatte ich nie wirklich eine Gelegenheit …« Er legt die Stirn in Falten und ich kann sehen, dass das nicht alles ist.

»Und Ihr hattet Angst, dass ich Euch nicht glauben würde«, ergänze ich für ihn, während ich einen Schritt auf ihn zumache.

Seine Augen huschen zwischen meinen hin und her. Dann öffnet er den Mund. »Ja, aber das war wohl unnötig.«

»Oh?«

»Ihr wusstet schon, dass ich nichts damit zu tun hatte.«

Mein Gelächter war wohl kein glaubwürdiges Zeichen von Überraschung. Ich mache noch einen Schritt auf ihn zu, sodass ich direkt vor ihm stehe. Aber er weicht nicht zurück. Und dass obwohl ich spüren kann, wie nervös er ist. »Verratet mir etwas«, sage ich mit einem milden Lächeln. »Wieso habt Ihr Angst vor mir?«

Jake blinzelt. »Wovon sprecht …« Er bricht ab, als ich skeptisch die Brauen hebe. Dann schnaubt er. »Ich bin nicht stärker als ein Gargoyle. Ihr könntet mich genauso leicht zerquetschen.«

»Ihr hattet schon Angst vor mir, als wir uns das erste Mal gesehen haben.«

Seine Augen weiten sich. Dann huscht sein Blick zur Seite und er spannt die Lippen an. Er nickt. »Ich bin ein Alistair. Wen würde es nicht beunruhigen, von der Heiligen gehasst zu werden.«

Gehasst, denke ich etwas amüsiert. Es ist eine extreme Bezeichnung, nachdem ich so nett zu ihm war. »Euren Vater.«

Jake lacht auf. »Mein Vater ist Euretwegen noch sehr viel beunruhigter als ich es bin.«

»Tatsächlich?« Ich rolle mit den Augen, während ich an Tate Alistair denke. In meiner Erinnerung hat er nie auch nur den Hauch von Unruhe gezeigt. Allerdings ist unser letztes Treffen schon lange her. »Heißt das, er hat Euch Gruselgeschichten über mich erzählt?« Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, denn der Gedanke zu einer Horrorgestalt in der Alistair Familie zu werden, gefällt mir.

Er mustert mein Gesicht und schluckt hörbar. Aber er weicht noch immer nicht zurück, was mich etwas irritiert. Normalerweise weichen sie immer zurück.

»Die eine oder andere.« Sein Blick huscht über mein Gesicht und er wirkt dabei eigenartigerweise aufmerksam und abwesend zugleich.

Und mit einem Mal verstehe ich, wieso er nicht zurückweicht. Ich trage keine Maske.

»Ich weiß nicht, wie viel von dem, was er gesagt hat, wahr ist, aber er hat dafür gesorgt, dass ich Euch gegenüber misstrauisch bin.«

»Ihr wollt also sagen, dass Ihr nur ein braver Sohn Eures Vaters seid?«, frage ich, wobei ich versuche, kein Unwohlsein zu zeigen. Ich hätte nicht so nah an ihn herantreten sollen. Aber wenn ich jetzt einen Schritt zurück mache, wirkt es, als wäre ich eingeschüchtert von ihm.

Jake schüttelt den Kopf. »Ich will sagen, dass ein mächtiger Mann wie mein Vater sich die Mühe gemacht hat, mich vor einer kränklichen Frau zu warnen, die jünger als sein jüngster Sohn ist und abgesehen von einer symbolischen Position keine politische Macht besitzt.«

Ich runzle die Stirn. In den ‚Horrorgeschichten‘ seines Vaters wurde wohl auch erwähnt, dass die Hauptaufgabe der Heiligen darin besteht, sich vom Hohepriester und vom König herumkommandieren zu lassen.

»Um Eure Frage zu beantworten, Eure Heiligkeit …«, fährt Jake fort und seine Augen richten sich auf meine. »Es ist nicht, das, was mein Vater mir über Euch erzählt hat, das mir Sorgen macht. Sondern das, was er ausgelassen hat.«

Ich erwidere seinen Blick, der dem widerspricht, was er mir gerade sagt. Denn es fehlt nach wie vor die Angst, die im Palastgarten in seinen Augen stand. »Ihr habt Angst vor mir, aber Ihr erzählt mir etwas, dass ich möglicherweise missverstehen könnte. Wie mutig.«

»Ich habe keine Angst vor Euch.«

Ich hebe fragend eine Braue.

Jake gibt ein amüsiertes Schnauben von sich. »Ihr habt mir auf dieser Reise mehr als einmal das Leben gerettet, trotz Eurer Abneigung gegen mich. Ich weiß zu schätzen, dass Ihr mich nicht mit meinem Vater gleichsetzt.«

Wo habe ich das schon einmal gehört, denke ich verdrossen. Er klingt wie Mikail.

»Alles, was ich will, ist, mich für Euren guten Willen zu revanchieren.«

Ich blinzle. »Meinen guten Willen?«, wiederhole ich und während ich begreife, was Jake da sagt, steigt eine eigenartige Mischung aus Ärger und Erheiterung in mir auf. »Wer sagt, dass ich das aus gutem Willen getan habe? Mitleid trifft es eher.«

Jakes Züge verhärten sich. »Wie meint Ihr das?«

Ich spüre, wie ein Grinsen an meinen Lippen zupft. Er war schlau genug, darauf zu kommen, dass ihm jemand das Attentat an mir anhängen wollte. Aber seine Wortwahl verrät mir, dass er nicht in Erwägung gezogen hat, dass es jemand aus seiner eigenen Familie ist.

»Stimmt etwas nicht?«

Ich nehme den Blick von Jake und sehe zu Mikail, der gerade zwischen den Bäumen hervorkommt.

Er hat es offenbar geschafft, die Kleider der Banditen korrekt und ohne Hilfe anzuziehen und sie passen ihm sehr viel besser als mir. Allerdings macht er keinen besonders zufriedenen Eindruck, denn er mustert uns mit einem Blick, als würde er ein ernstes Problem erwarten. Dabei sieht er vor allem Jake an, als wäre er der Erzeuger besagten Problems. Oder möglicherweise fragt er sich, wie Jake es geschafft hat, sein Gesicht so perfekt zu rasieren.

»Was meint Ihr?«, frage ich und trete von Jake zurück, wobei ich meine Hand hebe, sodass er das Messer sieht. »Ich brauchte nur das Messer.«

»Wozu?«, fragt er nach wie vor mit düsterer Miene und ich widerstehe dem Drang, ein paar blutige Dinge aufzulisten, die man mit Messern tun könnte.

Mit einem Seufzen deute ich auf meine Haare. »Mein Haarschmuck hat sich zu sehr in meinen Haaren verheddert, sodass ich ihn ohne Messer nicht herausbekomme.«

Mikails Augen weiten sich. »Wollt Ihr sagen, Ihr habt vor, Euer Haar abzuschneiden?« Aus irgendeinem Grund scheint ihn das sehr zu schockieren.

»Ja. Alles andere würde eine Ewigkeit dauern«, erwidere ich etwas verwirrt und beobachte, wie Mikail auf mich zukommt.

»Ich helfe Euch.«

Ich sehe ihn verwirrt an. »Wobei?«

Aber Mikail sieht zu Jake. »Danke, dass du ein Auge auf die Banditen hattest. Ich übernehme jetzt.« Er macht eine Kopfbewegung in Richtung Wald, als wolle er Jake auffordern zu gehen. Wahrscheinlich, damit er sich umziehen kann, aber Jake macht ein recht widerwilliges Gesicht. »Bist du sicher?«, fragt er und sein Blick zuckt zu mir.

Mikail sieht ihn fragend an. »Gibt es einen Grund, der dagegen spricht? Ich dachte, du willst dich auch umziehen.«

Jake seufzt. »Wie du meinst«, sagt er, bevor er sich kopfschüttelnd abwendet.

Mikail sieht mich an. »Ist etwas passiert?«

Er hat sich das Gesicht aufgeschnitten, ich habe ihn rasiert, er hat gestanden, dass er mich nicht umbringen wollte und ich habe ihm mein Mitleid dafür ausgedrückt. »Nichts Bedeutungsvolles«, antworte ich schulterzuckend.

Seine Miene entspannt sich etwas. »Ihr habt ihm geholfen, sich zu rasieren, nicht wahr? Das war sehr nett von Euch.« Er lächelt und es scheint für ihn offensichtlich zu sein, dass Jake sein Gesicht nicht allein so glatt rasieren konnte. Wahrscheinlich ist es das. Aber in diesem Moment bereue ich es, nicht länger gewartet zu haben. Es wäre lustig gewesen, Mikails Reaktion auf Jakes zerschnittenes Gesicht zu sehen. Und die Reaktionen der anderen. Dank mir wurde Jake diese Demütigung erspart.

Ich unterdrücke ein genervtes Seufzen. »Und jetzt grinst Ihr mich an, in der Hoffnung, dass ich es auch für Euch tue?«

Mikail blinzelt. »Nein, das war nicht …«

Ich schnippe mit den Fingern und befreie auch sein Gesicht von seinem Bart. Da er blond ist, war es nicht so auffällig wie bei Jake, aber selbst in den Kleidern der Banditen, die er in Manier eines Adligen so ordentlich wie möglich angelegt hat, wirkte der ungepflegte Bart fehl am Platz. Und wenn ich Jake rasiere und Mikail nicht, geht mir die Prinzessin nur wieder an die Gurgel.

Mikail befühlt sein Gesicht. »Danke«, sagt er mit einem verdutzten Blick.

Ich wedle abtuend mit der Hand und wende mich ab.

»Wartet, bitte lasst mich Euch helfen.«

Ich werfe ihm einen irritierten Blick über die Schulter zu. »Wobei?«, frage ich mit einem rauen Unterton. Aber ich misstraue Menschen grundsätzlich, die mich bitten, mir helfen zu dürfen.

»Ihr sagtet, Ihr schafft es nicht, Euren Haarschmuck aus Euren Haaren zu lösen.« Er macht eine Geste in Richtung meiner Haare. »Ich helfe Euch dabei.«

Ich runzle die Stirn. »Wieso?«

»Weil Ihr ihn entfernen wollt«, antwortet Mikail und er scheint ähnlich verwirrt von meiner Frage zu sein wie ich von seiner Antwort.

Ich hebe die Hand mit dem Messer. »Ich brauche keine Hilfe.«

»Eure Heiligkeit!« Mikail hebt die Hände und kommt auf mich zu, als würde ich eine gefährliche Waffe halten und er fürchte, ich könnte mich verletzen. Bei seinem Charakter stimmt das wohl auch.

Ich seufze. »Ich werde nur ein paar Strähnen herausschneiden und mich nicht skalpieren.« Ich würde ja einen Läuterungszauber verwenden wie bei Jake und Mikail, aber dann wäre der Haarschmuck weg. Und er ist aus Gold.

»Es ist nicht nötig, Eure Haare abzuschneiden.« Er legt seine Kleider, die er unterm Arm getragen hat, auf dem Boden ab und breitet sein Jackett aus. »Bitte setzt Euch.«

Ich sehe von ihm zu seinem Jackett und wieder zurück. Ich muss zugeben, dass es nicht ganz einfach für mich wird, die Goldfäden herauszuschneiden, zumal die Klinge des Messers zwar spitz, aber nicht allzu scharf zu sein scheint. Und meine Haare sind definitiv widerstandsfähiger als Jake Alistairs Haut.

Ich verdrehe die Augen, gehe aber zu Mikail und setze mich vor ihm auf den Boden. Neben sein Jackett.

»Ihr könnt Euch ruhig auf mein Jackett setzen«, sagt Mikail, seine Sturheit hinter einem freundlichen Tonfall verborgen.

»Wieso? Weil diese hochwertigen Banditenkleider vor dem dreckigen Waldboden geschützt werden müssen?« Ich lehne den Kopf nach hinten, um zu Mikail aufzusehen. »Oder weil eine Sitzunterlage in Euren Augen immer wertvoller sein sollte, als die Kleider der darauf sitzenden Person?«

Er schaut mit zusammengezogenen Brauen auf mich herab. Aber offensichtlich kann er meiner Logik nichts entgegensetzen, denn er nickt.

Er geht hinter mir auf die Knie und ich spüre, wie er eine meiner Haarsträhnen nimmt.

»Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht einfach das Messer nehmen wollt?«

»Ja«, murmelt er mit konzentrierter Stimme.

Ich seufze. »Wieso besteht Ihr darauf, Eure Zeit mit meinen Haaren zu verschwenden?« Seine Zeit und meine.

»Es macht mir nichts aus. Ich helfe Annie manchmal mit ihren Haaren und ich bin ganz gut darin.« Er klingt stolz.

Noch vor einer Weile hätte ich nie geglaubt, dass sich ein Adelssohn dazu herablassen würde, die Arbeit eines Dieners zu machen. Aber in seinem Fall kann ich es mir vorstellen. Ich bin zwar nicht überzeugt, dass er ‚gut‘ ist, aber er ist immerhin vorsichtig. »Strebt Ihr eine Karriere als Friseur an?«

»Das nicht.« Seine Stimme klingt amüsiert. »Ich dachte nur, es wäre eine Schande Euer Haar abzuschneiden?«

»Wieso?«

»Es ist sehr hübsch. Und Ihr solltet nicht gezwungen sein, es abzuschneiden, weil wir uns in einer ungünstigen Situation befinden.«

Ich lache leise. »Mache ich einen so oberflächlichen Eindruck auf Euch?«

Seine Hände halten inne. »Verzeiht mir, das wollte ich damit nicht sagen. Aber da Ihr Euer Haar lang tragt, nahm ich an, dass Ihr wollt, dass es so bleibt.«

Eigentlich trage ich mein Haar lang, weil es in einem Königreich, in dem sogar die Kommandantin der königlichen Wache lange Haare hat, geradezu rebellisch wäre, es abzuschneiden und undenkbar für die Heilige.

Darüber hinaus scheint ihm nicht einzufallen, dass es für mich, die sogar Tote wiedererwecken kann, eine Kleinigkeit wäre, ein paar Haare nachwachsen zu lassen. Aber wenn er unbedingt den Diener spielen will, wer bin ich, ihn aufzuhalten?

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