Eine Kutsche mit dem Wappen des Tempels hält vor dem Schuhladen von Baron und Baronin Lumenos. Schon gestern hat der Hohepriester Matthias hergeschickt, um mich in den Tempel zurückzurufen, aber natürlich habe ich keinerlei Intentionen, die Befehle ihrer Heiligkeit zu missachten.
»Ich sollte einen Tee aufsetzen …« Die Baronin ist hinter ihrem Tresen hervorgekommen und steht neben mir, um mit bangem Blick aus dem Fenster zu sehen. Ursprünglich wollte ich vor dem Laden stehen und Wache halten, aber da die Baronin besorgt war, dass ich Kunden abschrecken könnte, versuche ich, mich bedeckt zu halten. Ihre Heiligkeit würde es nicht mögen, sollte ich das Geschäft ihrer Eltern schädigen.
»Seid Ihr durstig?«, frage ich, da es mir gelegen käme, wenn sie gerade jetzt eine Pause machen würde.
Die Baronin sieht mich an. »Oh«, macht sie und hebt abwehrend die Hände. Wie gewöhnlich reagiert sie nervös darauf, von mir angesprochen zu werden. »Nein, ich meine für unsere Gäste.« Sie sieht wieder aus dem Fenster.
Pio, der persönliche Diener des Hohepriesters steigt aus und kommt auf das Haus zu. Der Hohepriester hat noch nicht einmal den Anstand, selbst aus der Kutsche zu steigen.
»Das sind keine Gäste.« Ginge es nach mir, würde ich den Hohepriester und sein Gefolge ignorieren, aber ich kann nicht zulassen, dass er die Baronin unter Druck setzt.
»Was habt Ihr vor?«, fragt die Baronin, als ich auf die Tür zugehe.
»Eindringlinge loswerden.«
Die Baronin schnappt nach Luft, aber ich verlasse den Laden, gerade rechtzeitig, um Pio aufzuhalten.
»Sir Luke!« Er bleibt stehen und neigt knapp den Kopf. »Seine Eminenz wünschen den Baron und die Baronin zu sehen. Sind sie -«
»Nein.« Ich unterbreche ihn, da ich nicht vorhabe, irgendwen in den Laden zu lassen.
Pio blinzelt. »V-Verzeihung?«
Ich sehe auf ihn hinab. Seine Aura ist kaum ausgebildet, sodass ich mich nicht einmal bewegen müsste, um ihn davon abzuhalten, den Laden zu betreten.
Pio räuspert sich. »Sir Luke, seine Eminenz -«
»Nein.«
»Wenn Ihr mich bitte ausreden lassen -«
»Sag ihm Nein.«
Pio schluckt geräuschvoll. Dann sieht er über seine Schulter zur Kutsche. »Ich, ähm, ich werde seine Eminenz fragen.« Er eilt zur Kutsche.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. Ich könnte einen Aura-Schild um den Laden beschwören und wieder hineingehen. Bei diesem Gedanken sehe ich zum Laden. Die Baronin steht noch immer am Fenster und sie sieht noch verängstigter aus als vorhin.
Ich sehe wieder zur Kutsche. Wie ich es mir gedacht habe. Solange diese Kutsche hier ist, wird die Baronin in Sorge sein. Ich löse meine Arme und folge Pio zur Kutsche. Da er vor dem Eingang steht, packe ich ihn am Kragen und hebe ihn aus dem Weg.
Der Hohepriester, der gerade auf Pio eingeredet hat, verstummt, als ich in die Kutsche klettere und die Tür hinter mir schließe.
»Wenn Ihr eine Nachricht für den Baron und die Baronin habt, sagt sie mir.«
Der Hohepriester rümpft die Nase und ich kann Ihrer Heiligkeit nur zustimmen, dass sein runzliges Gesicht keinen schönen Anblick bietet. »Deine Arroganz kennt wahrlich keine Grenzen, Luke Pedellien! Lorelais Einfluss, wie ich keinen Zweifel habe.«
Mir gefällt seine vertraute Anrede Ihrer Heiligkeit nicht. Aber Ihre Heiligkeit hat sich nie dazu herabgelassen, deswegen wütend zu sein, also werde ich das auch nicht. Ich verschränke die Arme vor der Brust.
»Aber ich habe dich gewähren lassen, da ich davon überzeugt war, dass du zumindest deiner Aufgabe gegenüber loyal bist.« Die Runzeln auf seiner Stirn vertiefen sich, als er versucht, mich verärgert anzufunkeln. »Wie kannst du es wagen, dich dem Tempel zu widersetzen, nachdem die Heilige durch dein Versagen verschwunden ist?! Wie kannst du es wagen, meine Zeit zu verschwenden, anstatt deine Pflicht zu tun und Lorelai zu suchen?!«
»Ihre Heiligkeit hat mir aufgetragen, ihre Familie zu beschützen«, antworte ich, womit beide Fragen beantwortet sind.
»Lorelai ist verschwunden! Nachdem ein Attentat auf sie verübt wurde! Denkst du, ihre Befehle gelten noch?!« Der Hohepriester hebt die Stimme, aber ich habe nicht die Absicht, meine Antwort zu wiederholen. Er würde sie genauso wenig verstehen wie das erste Mal.
Ihre Heiligkeit wusste von dem Attentat und sie hat darauf bestanden, dass ich bei ihrer Familie bleibe, bis sie zu mir kommt und mir sagt, dass ich ihre Familie nicht mehr bewachen muss. Was bedeutet, Ihre Heiligkeit hat ebenfalls vorhergesehen, dass sie für eine unbestimmte Zeit nicht selbst in der Lage dazu sein wird.
Der Hohepriester schlägt sich seine Handfläche gegen die Stirn. »Ist dir eigentlich klar, in welcher Situation wir uns befinden? Der König ist außer sich und Kronprinz Adrian hat Lord Alba mit einem Prozess gedroht, für das Versagen seiner Schriftrolle. Tate Alistair wirft der königlichen Familie Nachlässigkeit vor und Kaiden Moraen ist so weit gegangen, damit zu drohen, Haus Moraens Vorsitz der Königstreuen aufzugeben. Das allein sorgt für genug Chaos, aber was denkst du passiert, wenn durchsickert, dass auch Lorelai verschwunden ist? Denk an die Unruhen, sollten die monatlichen Heilungen ausfallen!«
Ich weiß nicht, warum er mir das erzählt. Da ich auf Anweisung Ihrer Heiligkeit sofort mit ihren Eltern hierhergekommen bin, wusste ich bisher nur, dass Ihre Heiligkeit mit Prinzessin Estella und einigen anderen verschwunden ist, als sie eine Schriftrolle benutzt haben, die sie in Sicherheit hätte bringen sollen. Aber mehr muss ich auch nicht wissen.
Während der Veranstaltung der Prinzessin hat sie jemand offensichtlich mit einem Verwirrungszauber belegt. Wenn sie in diesem Zustand eine Schriftrolle benutzt hat, ist es kein Wunder, dass sie nicht am gewünschten Ort herausgekommen ist.
»Im Moment erscheint ihr Verschwinden vielleicht nicht wichtiger als das von Prinzessin Estella oder den anderen, aber als Heilige hat Lorelai eine weit bedeutsamere Stellung für die Bevölkerung unseres Königreichs als die anderen sieben zusammen. Der König wird sehr bald mit Protesten zu kämpfen haben.« Der Hohepriester reibt seine Finger aneinander und sein Blick ist ins Leere gerichtet, als würde er gar nicht mit mir sprechen. »Aber jetzt ist nicht der richtige Moment, um noch mehr Druck auf Seine Majestät auszuüben. Wir müssen uns gedulden.«
Es klingt, als hätte er im Palast nicht viel ausrichten können. Vielleicht ist er deswegen hergekommen.
»Luke, du musst gehen und Lorelai finden!« Seine Augen richten sich wieder auf mich. »Sie könnte in Gefahr sein. Sie könntet tot sein!«
Ich rühre mich nicht. Da ich noch immer ihren Fluch in mir spüren kann, ist Ihre Heiligkeit nicht tot. Und sie ist nicht so leicht zu töten.
Das Gesicht des Hohepriesters verzieht sich von neuem. »Hörst du mir zu?! Lorelai könnte sterben!«
Hätte sie mir keine Aufgabe gegeben, wäre ich schon längst unterwegs, aber nicht, weil sie in Lebensgefahr ist. Ihre Heiligkeit reist in Begleitung von Ungeziefer. Alistair, Moraen und dieser Abschaum von einem Prinzen.
Der Alistair Bursche ist ein Schwächling und der Moraen Erbe scheint ein Idiot zu sein, der von nichts weiß. Aber Eden Baltazar verdient es nicht einmal, dieselbe Luft wie Ihre Heiligkeit zu atmen!
»Ich bin bereit, vorerst darüber hinwegzusehen, dass du dich während einer Krisensituation von Lorelai entfernt hast, aber dass kann ich nur, wenn du unter Beweis stellst, dass du alles daran setzt, sie nach Hause zu bringen.«
Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Hohepriester. Niemand profitiert so sehr von Ihrer Heiligkeit wie er und allein bei dem Gedanken daran möchte ich ihm den Hals umdrehen. Angefangen mit seiner Position als Hohepriester, die er nur bekommen hat, weil er der Vormund Ihrer Heiligkeit war, bis hin zu den Beziehungen, die er mit ihrer Hilfe geschmiedet hat. Beziehungen zu Häusern wie den Moraens, die Ihre Heiligkeit verabscheut.
Ich kenne den Grund dafür nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass Ihre Heiligkeit früh Bekanntschaft mit einigen Männern aus wichtigen Häusern gemacht hat, angeblich um Freundschaften mit den jeweiligen Häusern aufzubauen. Aber wer benutzt ein zehnjähriges Mädchen, um Freundschaften aufzubauen?
»Wir haben keinen Anhaltspunkt, wohin die Schriftrolle Lorelai und die anderen gebracht hat, daher brauchen wir jede Hilfe. Es ist unverzichtbar, dass du dich sofort auf den Weg machst.«
Es war auch der Hohepriester der Ihre Heiligkeit mit dem Abschaum bekannt gemacht hat. Seine Position als Prinz hat es mir schwer gemacht, ihn von ihr fernzuhalten, aber rückblickend hätte ich mich davon nicht einschüchtern lassen sollen. Prinz oder nicht, jeder der es wagt, Ihre Heiligkeit ohne ihre Erlaubnis zu berühren, verdient es, die Hand zu verlieren. Und er hat noch etwas viel Schlimmeres getan.
Ihre Heiligkeit verabscheut Berührungen. Ihre Aufgaben als Heilige machen es ihr jedoch schwer, Berührungen zu vermeiden und so hat sie tapfer daran gearbeitet, es zu erdulden. Aber nachdem dieser Abschaum versucht hat, sich ihr aufzuzwingen, konnte Ihre Heiligkeit es kaum ertragen, einem anderen auch nur nahe zu sein.
»Du bist der mächtigste Templer des Tempels und du bist Lorelais Wächter. Es wäre unverantwortlich, dich nicht zu schicken. Denk an den Baron und die Baronin. Ich bin sicher, sie sind in schrecklicher Sorge um ihre Tochter.«
Hätte ich den Abschaum damals nur beseitigt. Ihre Heiligkeit müsste jetzt nicht unter seiner Präsenz leiden. Als nichtsnutzige Königsbrut lässt er sich vermutlich auch noch von ihr beschützen und nutzt die Güte Ihrer Heiligkeit schamlos aus.
»Lord Alba arbeitet unermüdlich daran, den Aufenthaltsort der Vermissten ausfindig zu machen. Er und die Palastmagier sind vielleicht in der Lage, die Suche einzugrenzen. Sobald du aufbruchsbereit bist, werde ich dir ihre jüngsten Erkenntnisse zukommen lassen.«
Alba Tressler, ein verräterischer Albatros, wie Ihre Heiligkeit ihn nennt. Er war der Mentor Ihrer Heiligkeit, was ironisch ist, wenn man bedenkt, wie inkompetent er verglichen mit ihr ist. Sie verabscheut ihn so sehr wie sie ihm misstraut, daher will ich nichts mit ihm zu tun haben.
»Wenn du alles verstanden hast, geh jetzt und triff deine Vorbereitungen.« Der Hohepriester macht eine auffordernde Geste zur Tür.
»Nein.« Es fühlt sich an wie Zeitverschwendung, ihm überhaupt zuhören zu müssen.
»Was sagst du?« Tiefe Furchen bilden sich auf der Stirn des Hohepriesters, als er mich drohend anfunkelt.
Ich frage mich, wie oft ich dieses Wort noch wiederholen muss. Aber der Hohepriester hat schon immer seine Autorität überschätzt.
»Ein einfacher Templer wagt es, sich dem Hohepriester zu widersetzen?!«
Ich nicke knapp. »Wenn das alles ist, kehrt in den Tempel zurück. Ihr schreckt die Kundschaft ab.« Ich will mich erheben und die Kutsche verlassen, aber in diesem Moment spüre ich einen Anstieg von Mana in der Luft.
»Du wagst es, so mit mir zu sprechen?! Vergiss nicht, wer dich aus der Bedeutungslosigkeit geholt hat, Luke Pedellien!« Sein Gesicht ist rot vor Zorn und auch sein Mana muss er in seiner Erregung instinktiv freigesetzt haben. Denn er wäre nicht so dumm, es absichtlich zu tun.
Das Mana zerfällt unter meiner Aura wie ein Kartenhaus unter einem Hammer.
Der Hohepriester gibt ein Keuchen von sich und kauert sich auf seinem Sitz zusammen, während die Pferde wiehern und sich die Kutsche in Bewegung setzt.
»Ihr missachtet die Befehle Ihrer Heiligkeit an mich, Hohepriester.«
Der Hohepriester klammert sich an der Sitzbank fest, da die Pferde durch den Ausbruch von Mana und Aura in Panik geraten sind und nun die Straße entlang preschen. Vielleicht hätte ich mich mit meiner Aura zurückhalten sollen. Das Mana des Hohepriesters ist nicht stark genug, um mich unter Druck zu setzen, auch wenn ich mich nicht dagegen wehre.
»Lorelai ist nicht hier«, zischt er zwischen zusammengepressten Zähnen. »Und solange das so ist, gelten meine Befehle!« Er funkelt mich noch immer zornig an, aber dann wird er mit einem Ruck gegen die Rückenlehne gedrückt, als ich die Kutsche mit Telekinese zum Stehenbleiben zwinge.
»Eure Arroganz kennt keine Grenzen, Albrecht Berk«, wiederhole ich seine Worte an mich. »Ich werde Euch kein zweites Mal freundlich zurückschicken.« Damit steige ich aus der Kutsche. Als ich auf dem Bürgersteig stehe, lasse ich die Kutsche los und der Kutscher stößt einen Schrei aus, als die Pferde erneut in Panik losrennen.
Da sie zuvor schon schneller gelaufen sind, als auf einer Straße mitten im Händlerviertel von Libera erlaubt ist, bin ich nun einige Häuser vom Laden entfernt. Damit sollten der Baron und die Baronin in keine Unannehmlichkeiten gezogen werden, selbst wenn der Hohepriester einen Unfall baut.
Vor dem Laden halte ich inne und sehe zu Pio, der immer noch am Straßenrand steht, als würde er darauf warten, dass die Kutsche zurückkommt und ihn abholt. Aber der Hohepriester wäre nicht so aufmerksam, selbst wenn er in diesem Moment eine Wahl hätte. Das heißt aber nicht, dass er vor dem Laden stehen bleiben kann.
Ich sehe ihn an und überlege, ob ich ihm das sagen muss oder ob er von selbst darauf kommt.
Er hält meinem Blick etwa eine Sekunde stand, bevor er herumwirbelt und der Kutsche hinterherrennt.
Ich betrete den Laden.
»Gibt es Neuigkeiten?« Die Baronin steht vor mir, kaum dass ich die Tür hinter mir geschlossen habe. Sie hat die Hände bebend vor der Brust zusammengedrückt, aber diesmal scheine ich nicht der Grund dafür zu sein. »Haben sie herausgefunden, wo Lori ist?«
Ich schüttle den Kopf. Der Hohepriester ist nicht hergekommen, um die Eltern Ihrer Heiligkeit zu beruhigen, sondern um ihnen zu befehlen, mich in den Tempel zurückzuschicken. Aber da es der Baronin in diesem Moment nur noch mehr Sorgen machen würde, behalte ich das für mich.
Die Baronin senkt den Kopf. »Es ist meine Schuld. Wenn ich sie nur nicht dazu überredet hätte, auf diese Veranstaltung zu gehen.« Sie presst sich ihren Handrücken auf den Mund und dreht den Kopf zur Seite, als wolle sie aus dem Fenster sehen. Aber in ihren Augen glitzern Tränen.
»Ihrer Heiligkeit geht es gut«, sage ich in dem Versuch, sie zu trösten.
»Wie könnt Ihr das sagen? Ihr wisst, wie krank Lori ist.« Sie schnieft und kehrt mir den Rücken zu.
Ihre Heiligkeit ist nicht wirklich krank und ihre Selbstheilungskräfte können Wunden heilen, die für andere tödlich wären. Außerdem besitzt sie so viel Mana, dass sie die meisten Lebewesen mit seinem Druck allein überwältigen könnte. Aber das kann ich nicht sagen.
»Ihr habt gehofft, dass das Leben Ihrer Heiligkeit angenehmer und vielseitiger wird. Dafür müsst Ihr Euch nicht schuldig fühlen.«
Ihre Schultern beben. »A-Aber…« Ein Schluchzen unterbricht sie. »Bitte entschuldigt mich.« Sie eilt aus dem Raum und verschwindet im Hinterzimmer.
Ich sehe ihr hinterher. Ich bin nicht gut im Trösten und sollte das dem Baron überlassen, der im Hinterzimmer arbeitet. Meine Aufgabe ist ohnehin eine andere.
Ich verlasse den Laden wieder und betrete stattdessen die Gasse daneben, die in einen Hinterhof führt. Man kann ihn auch vom Hinterzimmer aus erreichen, aber ich wollte der Baronin nicht folgen.
Der Hinterhof, der im Grunde nur eine Kreuzung mehrerer Gassen ist, scheint leer zu sein, aber ich habe Mana gespürt, während ich mit der Baronin gesprochen habe. Es war schwach und wurde von den Schutzzaubern abgewehrt, die Ihre Heiligkeit auf das Haus gewirkt hat, fast schon als wollte die Person auf sich aufmerksam machen.
»Komm heraus!«, sage ich, während ich meine Aura freisetze. Ihre Heiligkeit könnte einen Verdecker mit Leichtigkeit aufspüren, ich jedoch brauche einiges mehr an Konzentration und Geduld, weshalb ich eine plumpere Methode anwende.
Ein Verdecker verbirgt die Energie seines Trägers, solange die Energie nicht benutzt wird, aber der Druck anderer Energie wird durch ihn nicht abgewehrt. Um dem Druck zu widerstehen, muss man seine eigene Energie freisetzen, die dann nicht mehr vom Verdecker verborgen wird. Natürlich setzt das voraus, dass der Träger weniger Energie besitzt als man selbst, aber wäre es andersherum, wäre ein Verdecker gar nicht nötig.
Die Luft neben dem Haus gegenüber flackert und ein Mann in dunklen Kleidern erscheint. Offenbar trägt er einen weiteren magischen Gegenstand bei sich, der ihn unsichtbar macht. Solche Gegenstände sind nicht leicht in die Finger zu bekommen und ich habe eine Vermutung, wem dieser Mann hörig ist.
»Ich bin nicht hier, um Euch oder einem Mitglied der Lumenos Familie zu schaden«, sagt er, trotzdem verhüllt er sein Gesicht mit einer Kapuze. »Seine Gnaden sind lediglich an Informationen interessiert.«
»Ich habe keine Informationen«, erwidere ich und ziehe meine Aura zurück, nun da der Mann bestätigt hat, für den Herzog zu arbeiten.
»Ihre Heiligkeit hat Euch befohlen, Ihre Familie zu beschützen, so als wüsste sie, dass sie verschwinden würde.«
Ich verschränke die Arme vor der Brust.
»Die Situation ist zu heikel, um Informationen zurückzuhalten, Sir Luke. Wenn Ihre Heiligkeit eine Prophezeiung gemacht hat, ist das nicht der Moment, dies zu verschweigen.«
Für jemanden, der Informationen haben will, hört er schlecht zu. »Ihr kennt meine Befehle. Haltet Euch nicht mit einem Verdecker in der Nähe dieses Hauses auf.« Da er zuvor einen schwachen Zauber gewirkt hat, mit dessen Mana ich ihn entdecken konnte, wusste ich, dass es sich wahrscheinlich nicht um einen Angreifer handelt. Aber je weniger Leute mit Verdeckern herumlaufen, desto besser, zumal ich meine Aura hier nicht so frei einsetzen kann, da zu viele Menschen in der Nähe sind, die ihrem Druck ausgesetzt wären.
»Mit welcher Intention hat Ihre Heiligkeit die Einladung von Prinzessin Estella angenommen?«
Ihre Heiligkeit hat mir keinen offiziellen Grund genannt und wenn sie den Herzog nicht informiert hat, gehen ihn ihre Pläne nichts an.
»Sie wusste von Haus Alistairs Plan, sie zu diskreditieren, nicht wahr?«
Diskreditieren? Offensichtlich hat Tate Alistair eingesehen, dass er Ihrer Heiligkeit nicht mehr antun kann.
»Ihr wisst, dass Jake Alistair ebenfalls verschwunden ist?«
Ich lege die Stirn in Falten. Jetzt, wo er es sagt, fällt mir auf, dass er zuvor von Haus Alistair gesprochen hat, nicht von Tate Alistair. Normalerweise würde ich darin keinen Unterschied sehen, aber was, wenn er nicht nur Tate Alistair gemeint hat. Nicht, dass der zitternde Junge, den ich im Palastgarten gesehen habe, Ihrer Heiligkeit auch nur ein Haar krümmen könnte, für den Fall, dass Tate Alistair Ihre Heiligkeit durch seinen Sohn als Geisel nehmen will. Das Gegenteil wäre wahrscheinlicher.
Ich lasse die Arme sinken und sehe den verhüllten Mann an. »Sagt dem Herzog, ich bin das Schild Ihrer Heiligkeit. Nicht Ihr Kopf.« Ich nicke dem Mann zu, bevor ich mich umdrehe und in die Gasse zurückgehe, um in den Laden zurückzukehren. Die Baronin ist eine sehr beherrschte und pflichtbewusste Frau. Ich würde es ihr zutrauen, den Laden wieder zu öffnen, sobald sie sich etwas beruhigt hat.
Und tatsächlich kommt sie mir entgegen, als ich den Laden betrete, gefolgt vom Baron. »Sir Luke«, beginnt sie zögerlich und sieht dann zu ihrem Mann, der sich neben sie stellt und einen Arm um sie legt.
»Eliza und ich haben uns etwas überlegt«, sagt nun er, während er der Baronin die Schulter reibt. »Es gibt nicht viel, das wir tun können, aber immer, wenn Lori krank war, hat sie…« Er hält inne und wirft der Baronin einen Blick zu.
Sie legt ihre Hand auf seine und nickt ihm zu.
Der Baron sieht wieder mich an, nun mit Entschlossenheit in den Augen. »Es gibt da eine Söldnerin, die uns hilft mit Lori in Verbindung zu bleiben. Sie hat uns Briefe von ihr überbracht und -, und Geld.« Er stottert am Ende etwas und senkt den Blick, als wäre er beschämt.
»Jedenfalls dachten wir, sie könnte vielleicht helfen, Lori zu finden«, sagt nun wieder die Baronin.
Eine Söldnerin? Ihre Heiligkeit würde niemals eine Fremde mit etwas betrauen, dass ihre Familie betrifft.
»Ihr Name ist Lawrence«, fügt die Baronin hinzu.
Ich blinzle. »Lawrence?«, wiederhole ich leise. Es gibt ein Märchen, in dem die Vorgängerin Ihrer Heiligkeit, die ebenfalls ihren Namen trug, gegen einen Mann namens Lawrence kämpft. Er war der Bösewicht der Geschichte und doch hatte Ihre Heiligkeit größere Bewunderung für ihn übrig als für ihre Namensschwester. Und die Baronin hat von einer Frau gesprochen, obwohl Lawrence ein Männername ist.
Ich nicke. »Ich werde wachsam sein, falls diese Söldnerin versucht, in Kontakt zu treten. Aber da man uns beobachtet, halte ich es für unklug, sie selbst aufzusuchen. Ein Geheimnis Ihrer Heiligkeit sollte ein Geheimnis bleiben.«
Die Baronin öffnet den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Sie senkt den Blick. »Ihr habt recht, aber wir … wie können wir einfach weitermachen wie bisher, wenn wir nicht einmal wissen, ob …« Sie lässt den Satz in der Luft hängen, als würde sie es nicht über sich bringen, ihn zu beenden.
»Ihre Heiligkeit lebt«, sage ich, denn immerhin so viel Zuversicht muss ich ihnen geben. Ich lege mir eine Hand auf die Brust, dort, wo ich den Fluch Ihrer Heiligkeit spüren kann. »Ich würde es wissen, wenn es anders wäre.«
Die Baronin und der Baron sehen mich an, beide mit der Frage, woher ich das weiß, in den Augen. Aber keiner fragt.
»G-Gut.« Die Baronin nickt und tätschelt die Hand ihres Mannes. »Dann sollten wir wohl weitermachen, hm?« Sie schenkt ihm ein schwaches Lächeln, woraufhin er sich vorbeugt und ihr einen Kuss auf die Wange gibt. »Ich glaube auch, dass es Lori gut geht«, sagt er mit leiser Stimme. »Du weißt doch wie stark sie trotz allem ist.«
Die Baronin nickt und die beiden umarmen sich.
Ich drehe mich um und sehe aus dem Fenster, um ihnen etwas Privatsphäre zu geben. Draußen herrscht wieder die rege Betriebsamkeit, die im Händlerviertel üblich zu sein scheint, so als wäre die Kutsche des Hohepriesters nie hier gewesen, und meine Gedanken schweifen ab. Ich frage mich, was Ihre Heiligkeit gerade tut …
Konstruktive Kritik ist immer erwünscht. Schreib mir, was du denkst und hilf mir damit weiter :)
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