»Nein!« Meine Antwort kommt prompt und ohne dass ich darüber nachdenken muss.
Es ist nicht unbedingt würdevoll hustend und keuchend durch den Wald zu straucheln, aber selbst wenn ich auf allen Vieren kriechen müsste, würde ich das vorziehen, wenn die Alternative ist, von Mikail Moraen getragen zu werden. Schon allein bei dem Gedanken daran wird mir schlecht.
Mikails Brauen ziehen sich etwas zusammen, aber er nickt, als wäre er nicht überrascht. »Ich verstehe. Verzeiht mir, dass ich Euch gestört habe.« Er erhebt sich ohne weiteres und kehrt zu den anderen zurück.
Ich sehe ihm verdutzt hinterher. So einfach? Ich beobachte, wie er zu den anderen geht, um ihnen zu erklären, dass wir nicht weiterkönnen, weil ich mich weigere, mich tragen zu lassen. Dabei weiß ich selbst, wie nervig es ist, dass wir meinetwegen nicht vom Fleck kommen. Und so wie es aussieht, bin ich nicht die einzige, die das nicht so gelassen nimmt wie Mikail.
»Lorelai!« Eden stellt sich mit einem Räuspern und einem eigenartig selbstzufriedenen Ausdruck vor mich. »Ich verstehe, dass du dich nicht von Mikail tragen lassen willst und obwohl es unter meiner Würde ist, die Aufgabe eines Dieners zu übernehmen, werde ich für dich eine Ausnahme machen.«
»Das ist nicht nötig«, sage ich, denn Eden ist noch schlimmer als Mikail.
Eden blinzelt verdutzt, als wäre es außerhalb des Rahmens des Möglichen, dass ich sein Angebot ablehne. »Was soll das heißen, es ist nicht nötig?! Deinetwegen kommen wir nicht voran! Also sei nicht so pingelig, Lorelai!« Er deutet anklagend mit dem Finger auf mich.
Aber das Schlimmste ist, dass er recht hat.
»Euer Hoheit.« Mikail tritt neben Eden und legt eine Hand auf seinen ausgestreckten Arm, mit dem er noch immer auf mich deutet. »Ich denke nicht, dass es angebracht ist, Ihrer Heiligkeit Vorwürfe zu machen.«
»Es ist doch so!«, faucht Eden und funkelt Mikail verärgert an.
»Stimmt.« Jake, der an dem Baum neben meinem lehnt und das Gesicht in die Sonne hält, öffnet ein Auge, um mich anzusehen. »Aber so wie Ihr es ausdrückt, Euer Hoheit, klingt es, als würden wir unser Tempo aus Rücksicht auf Ihre Heiligkeit drosseln. Wenn Ihr das glaubt, könnt Ihr versuchen, allein weiterzugehen und sehen wie weit Ihr ohne ihren Schutz kommt.«
Es schwingt Spott in seiner Stimme mit und ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass ich es ähnlich formuliert hätte, wenn ich könnte. Das heißt, wenn ich könnte, würde ich Eden zurücklassen.
»Das auch, aber Ihre Heiligkeit kann nichts für ihren Zustand und es ist nicht richtig, sie zu etwas zu zwingen, das ihr unangenehm ist«, sagt Mikail und mein Blick richtet sich auf ihn. Das ist ein Grund für ihn? Das ist keine Lösung, zumal ich nicht die einzige bin, die sich unwohl fühlt. Wenn wir wenigstens ein Pferd hätten.
In meiner Verzweiflung lege ich die Hände vor der Brust zusammen und verbinde mich mit dem Weltstrom. Über ihn suche ich die Umgebung ab und ob es etwas gibt, das mir weiterhelfen könnte. Ein verschollenes Boot, das hier im Nirgendwo angespült wurde oder etwas, aus dem man ein Floß bauen könnte.
In dieser Hinsicht bleibt meine Suche erfolglos, aber als ich meinen Blick auf das Land richte, entdecke ich einen toten Hirsch. Etwas hat ihm das Hinterbein weggefressen, aber sein Körper ist noch recht gut erhalten und ich spüre sogar noch eine schwache Verbindung zum Weltstrom, die mir verrät, dass er noch nicht lange tot ist. Möglicherweise ist er von einem der Monster gejagt worden, die ich in der Nacht getötet habe.
Ich löse die Verbindung zum Weltstrom und strecke mein Mana stattdessen nach dem Hirsch aus, der sich nicht allzu weit entfernt befindet. Da er schon tot ist, ist es etwas kniffliger ihn zu heilen, dafür ist es aber einfacher, seinen Körper zu übernehmen.
Nekromantie in ihrer einfachsten Form besteht nur daraus, einen toten Körper zu bewegen. Etwas Totes hat keinen Willen, wodurch ich mit Magie Befehle ans Gehirn schicken kann, damit ich nicht jeden Muskel einzeln bewegen muss. Bei Lebenden ist das schwieriger und erfordert in den meisten Fällen Körperkontakt.
»Mikail, dort drüben.« Estellas angespannte Stimme unterbricht die Diskussion der Männer und auch ich lasse die Hände sinken, um mit meinem Blick Estellas Hand zu folgen, die auf die Bäume deutet.
Mein Hirsch kommt etwas wacklig daher, weil ich bei der Heilung seines Beins nicht so sorgsam war. Außerdem sieht er recht mitgenommen aus und ich wirke einen Läuterungszauber auf ihn, bevor ich ihn näher kommen lasse.
»Das ist ein Hirsch«, murmelt Mikail und klingt verwirrt.
»Geh weg, du!«, ruft Eden mit lauter Stimme und bückt sich, wohl um einen Stein aufzuheben und nach dem Hirsch zu werfen.
»Nicht«, sage ich und hebe eine Hand, um auch die anderen davon abzuhalten, den Hirsch anzugreifen. Ich habe etwas unverdecktes Mana in ihm platziert, damit er für die anderen eine Präsenz hat und solange ihn niemand zu genau untersucht, sollte nicht auffallen, dass er tot ist. »Er ist hier, um zu helfen.«
Ich lasse den Hirsch auf mich zukommen und neben mir in die Knie gehen, damit ich auf seinen Rücken klettern kann. Und sobald ich ihn berühre, heile ich sein Bein anständig, damit er mich tragen kann. Dann setze ich mich auf seinen Rücken und lasse ihn aufstehen. »Wir können weiter«, sage ich dann, da die anderen das offenbar noch nicht verstanden haben, denn sie starren mich an, als wüssten sie nicht, was vor sich geht.
»Ähm«, macht Jake schließlich. »Klar. Wenn ich aus der Puste bin, kommt auch ab und zu ein Hirsch vorbei, um mich zu tragen.«
Da ich meinen Schleier trage, erlaube ich es mir, ihn verärgert anzusehen. »Macht Ihr Euch lustig über mich, Jake Alistair?«
»Das würde ich nie wagen, Eure Heiligkeit.« Er legt sich eine Hand auf die Brust und neigt leicht den Kopf. »Und bitte, es ist nicht nötig, mich mit vollem Namen anzureden.«
Ich nehme an, er will darauf hinweisen, dass die korrekte Anrede für ihn ‚Sir Jake‘ wäre. »Wie Ihr wollt, Alistair«, sage ich und befehle meinem Hirsch dann loszugehen. Ich höre noch, wie Jake hinter mir einen resignierten Laut von sich gibt, aber ich ignoriere ihn.
Mit einem Mal bin ich am schnellsten auf den Beinen – auch wenn es nicht meine sind – und ich nutze den Umstand, dass ich an der Spitze reite. Ich platziere beide Hände auf dem Rücken des Hirsches und wirke einen Zauber, der mir die Arme und dem Hirsch den Rücken aufschlitzt. Der Zweck des Ganzen ist keine Selbstpeinigung, sondern die Vermischung meines Blutes mit dem des Hirsches. Mein Blut enthält eine gewaltige Menge an Mana, und zwar in seiner unfreien Form. Auf diese Weise wirkt der Hirsch lebendig, sodass sogar Heilzauber und Buffs Wirkung zeigen würden, wenn sie auch weniger Effektiv wären, weil wir nicht derselben Spezies angehören.
Es geht mir aber nicht darum, den Hirsch zu buffen, jedenfalls nicht in erster Linie. Denn das unfreie Mana in meinem Blut hat noch einen anderen Zweck. Mit seiner Hilfe lässt sich die Verbindung des Hirsches zum Weltstrom reparieren, die sich auflöst, sobald etwas tot ist. Es erfordert ein bisschen Konzentration und einen Haufen Mana, sodass ich mich hinterher auch ohne meine Debuffs, die ich für den Zauber gelöst habe, elend fühle, aber das macht nichts. Schließlich kann ich mich auf dem Hirsch ausruhen, der nun wieder lebendig ist.
Wiederbelebung ist eines der Wunder, das ich als Heilige beherrschen muss, dabei ist es einfacher als man denken würde. Voraussetzung ist, dass man den Weltstrom spüren kann und wenn man keine ausgeprägte Selbstregeneration besitzt, bringt es einen um, aber ansonsten unterscheidet es sich nicht sehr von der gewöhnlichen Arbeit eines Heilers.
Natürlich hätte ich mir die Mühe sparen können, da ich den Hirsch auch so kontrollieren kann, aber ich würde auf lange Sicht mehr Mana brauchen, um seinen Körper zu erhalten. Und dann wäre da noch das Risiko, dass einer der anderen, insbesondere Hilena, merkt, dass etwas mit dem Hirsch nicht stimmt. Ich will nicht erklären müssen, woher die Heilige Nekromantie beherrscht.
Aber außerdem reite ich nicht gern auf Toten. Wer sitzt schon gern auf einem kalten Körper, während man ihn mit Magie davon abhält zu verrotten?
Wir legen an diesem Tag eine weitere Strecke zurück als geplant, allerdings ändert das nichts daran, dass wir langsam und weit entfernt vom nächsten Dorf sind. Nach meiner Einschätzung dürfte es vier oder fünf Tage dauern, wenn wir diese Geschwindigkeit halten.
Es ist die zweite Nacht, in der ich mich, nach einem Abendessen aus meinem Schatten, auf den Weg in den Wald mache. Die anderen haben wieder Fisch gegessen, wobei Mikail mehrere kleine Blätter mitgebracht und dann auf einem nach dem anderen herumgekaut hat, nur um sie anschließend wegzuwerfen. Es ist überraschend, dass ein Adelssohn sich so vorbehaltlos Blätter in den Mund steckt, nur um etwas zum Würzen zu finden. Er muss wirklich gern essen, wenn er so verzweifelt ist.
»Haah!« Ich strecke mich mit einem erleichterten Seufzen, sobald ich meine Rüstung angezogen habe. Es ist erfrischend, nachdem ich den ganzen Tag gesessen habe und ich kann es nicht erwarten, meinen Frust, den ganzen Tag nett und freundlich sein zu müssen, an ein paar Monstern auszulassen. Praktischerweise habe ich einen Haufen Beute bei mir, deren schwache Präsenzen die Monster anlockt, sodass ich nicht durch die Gegend rennen muss.
»Urg, du bist vielleicht hässlich«, murmle ich, als ein Insekten-Typ Monster, ein Riesenhundertfüßer, zwischen den Bäumen hervorkriecht.
Das Vieh gibt ein leises Klicken von sich, als wäre es überrascht, mich hier zu finden und hält inne.
Ich habe schon von Riesenhundertfüßern gehört, aber bisher hatte ich nicht das Unglück einem über den Weg zu laufen. Sie sind keine seltenen Monster und obwohl sie ein fieses Gift besitzen, sind sie nur Biester des Rangs B. Das heißt, man kann zwar so einiges von ihren Körpern verkaufen, aber ein Vermögen macht man damit nicht.
»Aber es hilft nichts«, sage ich mit einem weiteren Seufzen und ziehe meine Schwerter aus meinem Schatten. »Du musst sterben, Mr. Hundertfüßer.«
Der Hundertfüßer gibt wieder ein Klicken von sich und weicht einen Schritt zurück. Oder hundert, bei all den Beinen.
Ich habe gehört, Hundertfüßer wären aggressiv, aber ich habe wohl den einzigen Feigling seiner Art getroffen, denn er versucht tatsächlich abzuhauen.
»Na-ah!«, mache ich und tauche in den Schatten ein, nur um direkt vor dem Hundertfüßer wieder aufzutauchen. »Schön hiergeblieben!«, rufe ich und ramme mein Schwert in ein schwarzes Auge, das mir verletzlicher erscheint, als die Kopfplatte des Monsters.
Daraufhin stößt es ein schrilles Kreischen aus und seine Mundwerkzeuge schnappen nach mir. Dabei ist es so schnell, dass ich gar nicht erst dazu komme, ans Ausweichen zu denken. Allerdings baue ich unwillkürlich einen Schild auf, an dem die Zangen des Hundertfüßers hängenbleiben. So präsentiert er mir unwillentlich sein weit geöffnetes Maul und diese Einladung lasse ich mir nicht entgehen.
»Widerlich!« Ich verziehe das Gesicht, als mir eine schleimige, warme Flüssigkeit den Arm hinunterläuft, und ziehe mein Schwert aus dem Kopf des Hundertfüßers. Ich will gar nicht wissen, welche Körperflüssigkeiten das sind und wirke einen Läuterungszauber auf mich. »Und dann bist du auch noch unverschämt schnell gestorben. Tsk!« Ich sehe kopfschüttelnd auf den Hundertfüßer hinab, der nun in meinem Schatten versinkt. Aber kaum habe ich diese Worte ausgesprochen, höre ich ein Klicken, das weiter entfernt von mir ist.
»Oh?« Ich hebe den Blick und sehe in den Wald. »Hast du deine Familie mitgebracht?« Sind Hundertfüßer keine Einzelgänger? Oder ist es nur Zufall?
»Nah, wen kümmerts.« Ich zucke mit den Schultern und packe die Griffe meiner Schwerter fester, bevor ich erneut im Schatten verschwinde.
»Verdammte Scheiße!«, fluche ich, während ich der Keule eines Bergtrolls ausweiche. »Wo kommt ihr alle her?!« Es war offenbar kein Zufall, dass der Hundertfüßer seine Familie dabei hatte und ich verstehe, dass es nicht nur Vorteile hat, dass wir bei Tag so weit gekommen sind. Denn das hat all meine Bemühungen der letzten Nacht praktisch nutzlos gemacht.
Ich beschwöre eine Lichtkugel, direkt vor dem Gesicht des Bergtrolls, der daraufhin geblendet seine freie Hand hochreißt. Währenddessen lässt sein Kamerad seine Keule auf mich herabsausen und ich denke, dass ihre Angriffsmuster nicht sehr kreativ sind.
Ich teleportiere mich hinter den geblendeten Troll und verpasse ihm einen kräftigen Tritt in die Kniekehle, woraufhin er strauchelt. Aber das ist alles.
Verärgert schnalze ich mit der Zunge. Ich mag meinen Körper buffen können wie eine Aura-Trägerin, aber ich besitze nicht dieselbe Widerstandskraft, wodurch mein Körper es nicht aushält, wenn ich zu starke Buffs verwende. Und das, obwohl er durch das jahrelange Aushalten von Debuffs deutlich stärker geworden ist als der eines durchschnittlichen Magiers.
Der Troll rudert mit den Armen, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, wodurch er sein Gesicht nicht mehr schützt und ich erschaffe eine weitere Lichtkugel, diesmal hinter seinem Kopf, sodass ich vor sein Gesicht teleportieren kann.
Trollhaut ist dick, aber wie bei den meisten Lebewesen ist sie unter dem Kinn etwas zarter. Sein Kinn ist wegen der struppigen Haare schwer zu sehen, aber als mein Schwert in dem Gestrüpp verschwindet, spüre ich deutlich, wie es sich in seinen Hals bohrt und der Troll gurgelt. Dann falle ich nach unten und mein Gewicht reißt mein Schwert von seiner Kehle abwärts.
Der andere Troll, der seinen Kameraden wohl nicht verletzen will, greift nach mir, anstatt seine Keule zu schwingen.
Ich warte, bis seine Hand nah genug ist, bevor ich mit meinem anderen Schwert auf die feine Haut zwischen seinem kleinen Finger und seinem Ringfinger ziele. Der kleine Schnitt lässt ihn nicht einmal zucken, aber er ist ausreichend.
Dank der Riesenhundertfüßer, die ich zuvor getötet habe, habe ich ausreichend Gift, mit dem ich meine Schwerter bestreichen kann. Mit einem Debuff auf die Giftresistenz des Körpers und einer erhöhten Herzfrequenz ist das mehr als genug. Dann ziehe ich mein Schwert aus dem anderen Troll und lasse mich zu Boden fallen. Alles, was danach bleibt, ist dabei zuzusehen, wie beide Trolle umfallen.
Der vergiftete Troll versucht noch einmal, seine Keule nach mir zu schwingen, aber Hundertfüßergift wirkt schon ohne meine Hilfe sehr schnell. Da die beiden nun bedient sind, drehe ich mich zu der letzten Präsenz um, die ich zwischen den Bäumen fühle. Eine, die winzig ist, verglichen mit den Trollen und ich bin schon überrascht, dass ein so schwaches Monster in der Gegend überlebt hat, als ich sehe, dass es sich nicht um ein Monster handelt.
Der Boden bebt, als die Trolle hinter mir zu Boden gehen, aber mein Blick ist starr auf den Mann gerichtet, der zwischen den Bäumen steht und mich seinerseits ungläubig anstarrt. Jake Alistair.
Konstruktive Kritik ist immer erwünscht. Schreib mir, was du denkst und hilf mir damit weiter :)
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