»Willst du nicht den Schleier abnehmen, Lorelai?« Noch während er das fragt, streckt Eden die Hand nach mir aus. »So kannst du doch kaum essen.«
Wir sitzen alle um das Lagerfeuer herum, das Estella mit ihrer Magie in Gang gesetzt hat. Aber während der Rest der Gruppe damit beschäftigt ist, die Fische über dem Feuer zu braten, hat Eden beschlossen mir auf den Keks zu gehen.
Ich weiche seiner Hand aus, in dem ich den Kopf wegdrehe und vernehmlich huste. »Verzeiht mir, Euer Hoheit. Aber wollt Ihr nicht auch etwas essen?« Immerhin ist er der Grund, dass ich mit meinem Schleier auf dem Kopf esse.
»Denkst du, ich würde einen rohen Fisch auf einem Stock aufspießen und übers Feuer halten, um ihn zu essen? Wie ein Wilder?« Er schnaubt und wirft einen abfälligen Blick zu den anderen, die ihn zweifellos gehört haben. Zu meinem Unglück scheint sich jedoch niemand für Edens Meinung zu interessieren, denn er wird ignoriert.
»Aber Ihr könnt nicht nichts essen.«
»Du musst dir keine Sorgen machen, man wird uns sehr bald finden. Alba ist ein Experte, wenn es um Teleportation geht und er wird uns zurück in den Palast bringen. Er hatte weiß Gott genug Zeit dafür.« Er sagt das, aber er klaut trotzdem meine Beeren.
Auch ich bin nicht neidisch, dass die anderen einen ungewürzten und schlecht gegrillten Fisch essen, denn ich habe besseres Essen in meinem Schatten gelagert. Aber ich weiß auch, dass Alba, der oberste Palastmagier und Ersteller von Estellas Schriftrolle, uns ganz bestimmt nicht finden wird. Er hat seine Schriftrollen extra so designt, dass man nicht nachverfolgen kann, wohin der Verwender gereist ist, schließlich war die Schriftrolle zur Flucht gedacht. Und es ist etwas völlig anderes, ein paar Leute zu finden, die verloren gegangen sind. Alba war mein Mentor, daher kenne ich seine Fähigkeiten und weiß, dass er keine Magie besitzt, die es ihm ermöglicht, den gesamten Kontinent in kürzester Zeit abzusuchen. Zumal Sotton und Ishitar nicht unbedingt eine tiefe Freundschaft teilen.
Es würde mich nicht interessieren, dass Eden sich aushungert, weil er zu viel Vertrauen in einen unfähigen Albatros steckt, aber in diesem Moment legt Eden mir seine Hand aufs Bein.
»Also mach dir keine Sorgen, Lorelai. Wir sind bald wieder zu Hause.« Seine Hand reibt meinen Oberschenkel. »Sieh es doch einfach, als einen kurzen Urlaub, in dem wir tun und lassen können, was wir wollen.«
Ich starre seine Hand an. Der Stoff meines Kleids ist nicht sehr dick und ich spüre, wie die Wärme von Edens Hand zu meiner Haut durchsickert wie schmutziges Wasser. Seine Fingerspitzen, die sich in mein Fleisch drücken, während ich seinen gierigen Blick auf mir fühle.
Ich hätte einen Schild beschwören sollen, aber ich dachte, Eden würde sich zurückhalten, solange wir in Gesellschaft sind. Aber es ist nicht so, als wäre irgendjemand hier auf meiner Seite. Wir sind weit weg vom Tempel und keiner der anderen hat einen höheren Rang als Eden.
»Was ist los, Lorelai?« Edens Stimme ist dicht bei meinem Ohr und mein Atem beschleunigt sich. »Hast du Angst?«
Ich sollte ihm einfach den Arm brechen!
»Onkel!«
Eden zuckt zusammen und auch ich hebe erschrocken den Kopf.
Estella steht vor uns, die Arme in die Hüfte gestemmt und funkelt wütend auf Eden hinab. »Ich glaube nicht, dass Eure Hand etwas auf dem Bein Ihrer Heiligkeit verloren hat!«
»W-Was?!« Edens Stimme klingt schrill und seine Hand zuckt.
»Eure Hand!«, wiederholt Estella nicht weniger laut als zuvor und sodass alle anderen am Lagerfeuer kein Problem haben, es zu hören. »Entfernt sie von dem Bein Ihrer Heiligkeit!«
Eden gibt ein Stöhnen von sich, zieht seine Hand aber zurück, um sie mit der anderen in einer abwehrenden Geste zu heben. »Tu doch nicht so, als hätte ich etwas Schlimmes getan. Alles, was ich wollte, war, Lorelai Trost zu spenden. Ist es nicht so?«
Ich weiß, dass beide mich ansehen und auf eine Antwort warten, aber ich fühle mich, als müsste ich mich gleich übergeben. Noch immer spüre ich Edens Handabdruck auf meinem Bein, obwohl ich einen Läuterungszauber nach dem anderen auf mich wirke. Es war genau wie das letzte Mal, als ich mit Eden allein und Luke nicht da war.
Meine Fingernägel graben sich in meinen Oberschenkel und ich spüre, wie sich mir die Kehle zurschnürt. Nicht jetzt, denke ich, und verstärke meinen Debuff auf meine Empfindlichkeit. »Entschuldigt mich für einen Moment«, krächze ich, bevor ich aufstehe und in den Wald eile.
Eden ruft mir etwas hinterher, aber Estellas Stimme übertönt seine und niemand folgt mir.
Ich bleibe stehen, sobald ich außer Sicht- und Hörweite bin und stütze mich an einem Baum ab, während meine Hand beginnt, meinen Oberschenkel zu kratzen. Normalerweise bin ich nicht so sensibel und ich schaffe es sogar, bei direktem Körperkontakt meinen Ekel zurückzuhalten, solange besagter Körperkontakt nicht zu lange oder intensiv ist. Vielleicht liegt es daran, dass es Eden war, dessen Berührung unangenehme Erinnerungen weckt, aber ich bin verärgert, dass ich nur dasitzen konnte. Der Gedanke, dass ich so eine Situation erdulden musste, nur weil Luke nicht da ist, ist mehr als frustrierend. Aber Eden ist immer noch ein Prinz und ein kleinlicher obendrein. Er ist sehr schnell beleidigt und wird ausfallend. Es ist mir egal, wenn er sich über meine Geburt auslässt, aber als ich ihn das letzte Mal abgewiesen habe, hat er versucht, den Laden meiner Eltern in den Ruin zu treiben, nur damit ich ihn um finanzielle Hilfe bitte.
Da ich sowieso plane zu sterben, muss ich mir vielleicht keine Gedanken mehr darum machen, aber mein Plan ist schon einmal in die Hose gegangen und ich will lieber kein Risiko eingehen. Es wäre ein Problem, wenn mein Tod genauer untersucht wird, weil ich mich verdächtig verhalten habe. Ich muss mich nur noch für eine Weile zusammenreißen und dann bin ich frei.
Dieser Gedanke beruhigt mich, aber ich beschließe, noch etwas zu bleiben und mich auszuruhen. Der Tag war anstrengend. Ich musste mit meinen Debuffs auf Wanderschaft gehen, ohne dabei auch nur einen Tropfen trinken zu können und meine Kehle ist von dem ganze Gehuste schrecklich trocken.
Ich setze mich auf den Boden, den Rücken gegen den Baum gelehnt und schlage meinen Schleier zurück. Dann greife ich in meinen Schatten und ziehe einen Wasserschlauch hervor. Ich habe immer Wasser in meinem Schatten gelagert, sowie eine feine Auswahl an Wein, Whiskey und anderen alkoholischen Getränken für schlechte Tage. Das Essen hebe ich mir jedoch für später auf, da ich nicht riskieren will, dass man mich suchen kommt.
Als ich zum Lagerfeuer zurückkehre, will Eden, der jetzt aus irgendeinem Grund zwischen Mikail und Dalton sitzt, aufstehen, aber er wird von Mikail aufgehalten, der einen Arm vor Eden ausstreckt und etwas zu ihm sagt.
»Geht es Euch gut, Eure Heiligkeit?« Estella lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich und ich sehe, wie sie zur Seite rückt, wohl um mir Platz zwischen sich und Hilena zu machen. Ich würde lieber abseits sitzen, aber dann riskiere ich, dass Eden sich mir wieder aufdrängt, und so gehe ich auf die Prinzessin zu.
»Es geht mir gut, mir war nur übel und ich bin zum Fluss gegangen, um etwas zu trinken.«
»Ich verstehe.« Estella lächelt mich an, als ich mich neben sie setze. »Wenn mein Onkel Euch noch einmal belästigt, sagt es mir, dann werde ich ihn für Euch tadeln.«
Ich sehe sie verdutzt an.
»Ich habe Lorelai nie belästigt!«, ertönt prompt Edens Stimme. »Das war schon damals ein Missverständnis, weil ihr übereifriger Leibwächter völlig ausgerastet ist. Um den sollte man sich Sorgen machen, nicht um mich!«
Ich erinnere mich, dass es auch damals seine Taktik war, Luke durch den Dreck zu ziehen, und es stimmt, dass Luke übereifrig ist und gnadenlos sein kann, wenn es um mich geht.
»Willst du andeuten, dass Sir Luke, ein Templer, der mit der Aufgabe betraut ist, Ihre Heiligkeit zu schützen, unehrenhafte Absichten gegenüber Ihrer Heiligkeit hegt?!«, fragt Estella mit scharfer Stimme.
»Urg!« Eden verzieht das Gesicht und legt sich die Hände auf den Bauch. »Sei nicht so naiv. Dieser Kerl ist – argh!« Er bricht ab und krümmt sich. »Mikail, diese blöden Beeren waren doch giftig. Lorelai!«
Ich schnippe mit den Fingern, allerdings nicht um einen Heilzauber zu wirken. Ich ziehe nur das Mana zurück, dass ich in Edens Körper geschickt habe, um seinen Magen zu zerquetschen. »Verzeiht mir, Euer Hoheit, dass ich Euren Zustand nicht früher bemerkt habe.«
Eden, der erleichtert keucht, hebt den Kopf, um mich anzusehen. »Da ich verstehe, dass es ein anstrengender Tag für dich war, vergebe ich dir. Außerdem war es ja nicht deine Schuld.«
Oh, wie gerne ich ihm sagen würde, dass es meine Schuld war.
Hilena räuspert sich. »Eure Heiligkeit, ich habe gehört, Heilzauber ohne Körperkontakt zu wirken, kostet mehr Mana. Stimmt das?«
Ich runzle die Stirn über die plötzliche Frage mit einer offensichtlichen Antwort. Aber es ist besser mit Hilena zu reden als mit Eden. »Ja, es stimmt. Habt Ihr noch nie über eine Distanz gezaubert?«
Hilena schüttelt den Kopf. »Ich traue mir nicht zu, die Kontrolle über das Mana zu behalten und soweit ich weiß, macht es den Zauber auch anfällig für Manipulationen.«
Ich nicke. Man kann fremde Zauber, die nicht über Körperkontakt gewirkt werden, spüren und, wenn man weiß wie, manipulieren. Aber in den meisten Fällen heißt das nur, dass der Zauber zerstört wird, da nur weiße Magier oder sehr begabte desselben Elements einen Zauber manipulieren können. Um das zu verhindern, kann man den Zauber einfach verbergen. Das klappt zwar nur für die, die weniger Energie haben als man selbst, aber das gilt in meinem Fall sowieso für praktisch jeden.
»Gibt es Vorteile, über eine Distanz zu zaubern?«, fragt Hilena, wohl um das Gespräch in Gang zu halten.
»Man muss sich nicht bewegen«, antworte ich prompt. Und man muss dabei niemanden berühren, was für mich viel wichtiger ist. »Es ist hilfreich, wenn es auf Schnelligkeit ankommt oder man das Ziel nicht erreichen kann. Außerdem ist es auf diese Weise möglich, mehrere Ziele auf einmal zu heilen.«
Hilena rückt etwas näher an mich heran. »Wenn es Euch nichts ausmacht, hätte ich noch ein paar Fragen dazu wie Ihr Mikail geheilt habt.«
Mein Blick huscht zu Mikail, der sich leise mit Annabella unterhält. Eden starrt missmutig in meine Richtung, da auch Dalton sich mit Jake unterhält, der auf seiner linken Seite sitzt, und ich denke, dass es das Beste wäre, sich auf ein Gespräch mit Hilena einzulassen.
»Was wollt Ihr wissen?«
Hilena schluckt und sieht nun etwas nervös aus. »Ihr habt so schnell erkannt, dass Mikail mit einer verfluchten Klinge verletzt wurde. Ich schäme mich dafür, dass ich nicht einmal daran gedacht habe.«
»Sei nicht so hart zu dir«, sagt Estella mit sanfter Stimme. »Du hast dein Bestes getan.«
Aber Hilena lässt den Kopf hängen. »Mein Bestes hätte Mikail umbringen können.«
Ich nicke. »Es ist wichtig, eine Wunde richtig zu untersuchen, bevor man sie heilt. Selbst wenn die Wunde auf den ersten Blick simpel aussieht.«
»Für Euch hat ein Blick gereicht.« Hilena hebt den Kopf wieder, um mich anzusehen.
»Weil ich diese Art Fluch kenne«, antworte ich, um nicht arrogant zu klingen, wenn ich ihr sage, dass der Fluch eben so schwach war. »Und da ich das Ziel war, musste es sich um einen handeln, der einfache Heilungen wirkungslos macht.«
Hilena und Estella tauschen einen Blick. Etwas, das ich gesagt habe, muss sie verunsichert haben, denn sie sind plötzlich nervös. Sie zeigen es nicht, aber ich bin sehr sensibel, was Körperzustände angeht, und so spüre ich, ihre Unruhe.
»Wie, ähm, wie löst man solche Flüche?«, fragt Hilena, mit einem aufgesetzten Lächeln.
»Mit einem Läuterungszauber oder in dem man ihn überwältigt oder bricht«, antworte ich knapp, da ich nicht weiß, was ich von ihrem Verhalten halten soll. Es wirkt, als würde sie sich zwingen mit mir zu reden, aber kaum habe ich ihr geantwortet, leuchten ihre Augen mit Interesse auf. »Wenn Ihr sagt ‚brechen‘, meint Ihr eine bestimmte Bedingung, die erfüllt werden muss, damit der Fluch seine Wirkung verliert? Wie in den Geschichten?«
Ich weiß nicht, von welchen Geschichten sie spricht, aber sie wirkt eigenartig erwartungsvoll. »Wenn man die Strukturen des Zaubers versteht, kann man ihn zerbrechen«, sage ich und Hilenas Aufregung verblasst. »Ach so.«
»Ihr habt Mikails Fluch mit einem Läuterungszauber gebrochen, richtig?«, fragt jetzt Estella.
Ich nicke. »Da sich außerdem Gift in seinem Körper befunden hat.«
»Aber wieso musste Mikail seine Aura von der Wunde völlig zurückziehen?«
Und so werde ich den Rest des Abends mit Fragen gelöchert.
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