Kohei ist erschöpft, als er nach Hause kommt und das, obwohl Samstag ist und er kaum ein paar Stunden weg war. Wer hätte gedacht, wie anstrengend es sein kann, ein guter Schwiegersohn zu sein. Nach dem Treffen mit Rems Eltern hat Kohei eine Untersuchung all jener gestartet, die etwas gegen ihn haben könnten. Und was er bisher festgestellt hat, ist, dass er von mehr Leuten gehasst wird, als er dachte. Das stört ihn nicht, aber deswegen gibt es so viel zu tun.
Mit einem Seufzen schließt er die Wohnungstür, stellt seine Tasche ab und zieht seinen Mantel aus. »Rem?«, ruft er, nachdem er seine Schuhe neben ihre gestellt hat.
»Ich bin im Schlafzimmer«, ertönt ihre Stimme etwas gedämpft aus der Wohnung und Kohei folgt ihr in sein Schlafzimmer.
Rem steht vor dem Kleiderschrank, nur in Unterwäsche, und ihre feuchten Haare verraten, dass sie gerade aus der Dusche kommt. Er hat das Gästezimmer, aber da Rem in seinem Schlafzimmer schläft, wenn sie hier ist, hat er ihr etwas Platz im Kleiderschrank gemacht.
»Wie wars in der Boxhalle?« Kohei lehnt sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen und während er Rem beobachtet, verfliegt seine Erschöpfung. Es gibt nichts Schöneres, als nach Hause zu kommen und von Rem erwartet zu werden.
»Oh, normal«, antwortet Rem und ihre Stimme klingt etwas angespannt, weil sie sich streckt, um in die Ablage über seinen aufgehängten Hemden zu greifen und ein Tanktop herauszuziehen. Es ist die unterste Ablage, aber für Rem ist sie trotzdem recht weit oben. »Ich glaube, Sakura hat sich in Ryonosuke verguckt. Sie fragt nur noch ihn um Hilfe, also ist es wie früher. Und wie liefs bei dir?« Sie dreht sich zu ihm um, während sie sich das Top über den Kopf zieht.
Kohei seufzt und löst sich vom Türrahmen, um sich aufs Bett zu setzen. »Fragst du, wie viele Leute ich heute gefunden habe, die mich bedrohen würden?«
Rem mustert ihn mit einer Sorgenfalte auf der Stirn und kommt auf ihn zu. »Du weißt, dass du das nicht tun musst.«
»Doch, es ist auch für mich gut zu wissen, wer es auf mich abgesehen haben könnte.« Er schenkt Rem ein Lächeln, die immer noch ein besorgtes Gesicht macht. Noch vor einer Weile hätte er Rem all das gar nicht erzählt, aber jetzt weiß er, wie gut es sich anfühlt, wenn sie sich Sorgen um ihn macht.
Er streckt die Hand nach Rem aus und als sie sie ohne zu zögern nimmt, zieht er Rem zu sich auf seinen Schoß. »Auch wenn es belastend ist, zu wissen, dass so viele Menschen bereit wären, mir etwas anzutun«, sagt er mit einem möglichst bemitleidenswerten Gesicht.
»Hm«, macht Rem und legt ihre Hand an seine Wange. Aber die Sorgenfalte ist von ihrer Stirn verschwunden. »So sehr kann es dich nicht belasten, wenn du schon Witze darüber machen kannst.« Wie gewöhnlich lässt Rem sich nicht von ihm täuschen.
»Und du könntest einfach so tun, als würdest du mir glauben«, sagt er, während er die Arme um sie schlingt.
Rem schmunzelt. »Wenn du Aufmerksamkeit von mir willst, musst du mir nichts vorspielen, weißt du?«, raunt sie, während sie sich näher zu ihm lehnt.
Kohei senkt den Blick auf ihre Lippen. »Was für ein uncooler Freund bettelt seine Freundin um Aufmerksamkeit an?«
Rem blinzelt und hält inne, sehr zu Koheis Missfallen. »Uncool, hm?« Dann drückt sie gegen seine Schultern, sodass er mit dem Rücken auf die Matratze fällt. Sie beugt sich über ihn, die Knie links und rechts von seiner Hüfte und eine Hand neben seinem Kopf aufgestützt, während sie mit der anderen ihre Haare zurückstreicht. »Wenn ich dich jetzt um Aufmerksamkeit bitten würde, wäre ich dann auch uncool?«
Kohei grinst und lässt seine Finger an ihren Oberschenkeln hinaufstreichen. »Ich weiß nicht. Probier es aus.«
Rem lacht leise, bevor sie sich zu ihm herunterbeugt.
Koheis Hände wandern zu ihren Hüften und rutschen unter ihr Top, während sich ihre Lippen gegen seine bewegen und ihre Zunge seinen Mund erkundet. Es ist der perfekte Moment, nachdem er die erste Hälfte des Tages mit ermüdender Arbeit verbracht hat. Wäre da nicht Rems Handy.
Das Klingeln ist leise, da es wohl irgendwo im Wohnzimmer liegt, aber Rem löst sich von ihm und richtet sich auf.
»Ich schwöre, das Ding hat einen Sensor dafür, wann es am meisten stört«, knurrt er genervt, während Rem von ihm hinuntersteigt.
»Tut mir leid, es dauert bestimmt nicht lang.« Rem schenkt ihm ein entschuldigendes Lächeln, bevor sie das Schlafzimmer verlässt.
Kohei seufzt, beschließt dann aber, den Moment zu nutzen, um ins Bad zu gehen und sich frisch zu machen.
Als er dann, in Shirt und Jogginghose, aus dem Bad kommt, telefoniert Rem immer noch.
»… überraschend. Er hat etwas erwähnt, aber das ist fast ein Jahr her.« Rem steht im Wohnzimmer, vor dem Fenster und reibt sich mit einem Fuß die Wade, während sie hinaussieht. »Natürlich. Herzlichen Glückwunsch.«
Kohei runzelt die Stirn, denn es klingt nicht so, als würde sie mit jemandem von der Arbeit sprechen. Aber für eine ihrer Freundinnen klingt es zu distanziert. Tatsächlich wirkt sie ungewöhnlich angespannt.
Er tritt hinter sie und legt die Arme um sie.
»Oh«, macht Rem und dreht den Kopf, um ihn über ihre Schulter hinweg anzulächeln. »Das stimmt, es wäre schön. Ich werde versuchen zu kommen, wenn nichts dazwischen kommt.«
Kohei legt sein Kinn auf Rems Schulter ab und mustert sie misstrauisch, während er sich weiter fragt, mit wem sie spricht. Er kann die Stimme einer Frau aus ihrem Handy hören, aber sie ist ihm unbekannt.
»Ja. Mich auch. Bis dann.« Rem legt auf und atmet geräuschvoll aus. »Das war eine ehemalige Klassenkameradin von mir. Sie hat ein Klassentreffen organisiert und mich eingeladen.«
»Und du willst nicht hingehen?«, fragt Kohei, da ihre Stimme ungewöhnlich verhalten klingt.
»Doch.«
Kohei runzelt die Stirn. »Aber?«
Rem antwortet nicht sofort und Kohei hebt seinen Kopf, damit sie sich umdrehen kann. Sie sieht zu ihm auf und kaut dabei auf ihrer Lippe herum. »Ich bin vielleicht ein bisschen nervös«, gibt sie zu und Kohei denkt, dass Rem besonders niedlich ist, wenn sie nervös ist. »Weswegen?«, fragt er, hin- und hergerissen zwischen seiner Neugier über das Telefonat und seinem Wunsch, da weiterzumachen, wo sie vor dem Anruf aufgehört haben.
Rem blinzelt und sieht zur Seite. »In der Schule war ich manchmal etwas ungeschickt«, sagt sie mit leiser Stimme und ein Grinsen zupft an Koheis Lippen, als sich ihre Wangen rosa färben. Es beeindruckt ihn immer wieder aufs Neue, wie jede einzelne Sache, die Rem tut, so verführerisch auf ihn wirkt.
»Du warst ungeschickt? Inwiefern?«
Sie rümpft leicht die Nase. Aber dann legt sie den Kopf zurück und schlingt die Arme um seinen Hals. »So wie Teenager halt sind«, antwortet sie, in dem offensichtlichen Versuch, sich vor einer Antwort zu drücken.
»Ich bin sehr neugierig, wie ungeschickt du als Teenager warst«, sagt Kohei, während er die Hände hinter ihrem Rücken verschränkt. Er kann sich nicht einmal vorstellen, wie eine ungeschickte Rem aussieht. War sie tollpatschig? Jemand, der vergisst einen Stift für eine Klausur mitzubringen? Oder ist sie oft in Fettnäpfchen getreten?
Eine kleine Falte erscheint zwischen Rems Brauen und sie presst die Lippen aufeinander. Sie sieht ihn einen Moment lang an, als warte sie darauf, dass er das Thema wechselt.
Als er das nicht tut, sagt sie: »Das Klassentreffen ist heute in drei Wochen. Du hast doch gesagt, dass du dich demnächst noch einmal mit meinem Vater treffen willst. Wie wäre es, wenn du denselben Tag wählst?«
»Versuchst du, eine dunkle Vergangenheit vor mir zu verstecken?«
Rem schlingt die Arme fester um ihn und geht auf Zehenspitzen. »Dann hätten wir nur einen Tag, an dem wir uns nicht sehen können.« Sie sieht zu ihm auf, die Wangen leicht gerötet, und einem scheuen Lächeln auf den Lippen.
»Hm, sie muss sehr dunkel sein, wenn du mich verführst, um davon abzulenken.«
Rem atmet verärgert aus, wobei ihr Atem über seine Lippen streift. »Wenn du das weißt, halt die Klappe«, wispert sie noch, bevor sie ihre Lippen auf seine drückt.
Natürlich ist Kohei immer noch neugierig, aber welcher Mann würde nicht schwach werden, wenn sich ihm seine leicht bekleidete Freundin an den Hals wirft? Außerdem kann er sie immer noch später über ihre Vergangenheit ausfragen.
Er löst seine verschränkten Hände und packt Rems Hüfte, um sie hochzuheben, sodass sie die Beine um seine Taille schlingen kann. Dann trägt er sie ins Schlafzimmer. Aber als er sie auf dem Bett ablegt, fällt sein Blick auf ihr Handy, dass sie immer noch in der Hand hält.
»Was ist?«, fragt Rem, mit leicht keuchender Stimme, als sich seine Miene verdüstert.
Statt einer Antwort zupft Kohei ihr das Handy aus der Hand und schaltet es aus. »Sicher ist sicher«, sagt er und legt es auf dem Nachttisch ab.
Rem runzelt die Stirn. »Ich erwarte keinen Anruf mehr.«
»Und trotzdem wirst du ständig angerufen«, erwidert Kohei, während er sich wieder über sie beugt. »So als hätte es sich jeder, der dich spontan anrufen will, zum Ziel gemacht, uns zu unterbrechen.«
»Das kommt dir nur so vor, weil es dich nicht stört, wenn uns der Anruf nicht unterbricht.« Rem lächelt sanft zu ihm auf, während sie die Hand nach seinem Gesicht ausstreckt. Ihre Finger streichen über seine Wange und Kohei greift nach ihrem Handgelenk. Er küsst ihre Knöchel, bevor er ihre Hand auf die Matratze drückt. »Es passiert trotzdem zu oft«, murmelt er, während er sich zu ihr hinunterbeugt.
»Das liegt daran, dass wir viel Zeit miteinander verbringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass – mh!«
Kohei küsst sie, bevor sie mehr sagen kann. Da er sich nun keine Sorgen um eine weitere Unterbrechung durch ihr Handy machen muss, gibt es keinen Grund, sich zurückzuhalten.
Seit dem Treffen mit Rems Eltern arbeitet Kohei daran, Mr. Aozora zu beweisen, dass Rem an seiner Seite sicher ist. Er hat sogar im Büro einige Aufträge Rem überlassen, damit er mehr Zeit dafür hat und er ist zuversichtlich, dass er in drei Wochen bereit sein wird, Mr. Aozora von sich zu überzeugen. Es gibt also keinen Grund, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen.
Kohei drückt auch Rems andere Hand in die Kissen, während er sich ihrem Hals zuwendet.
»Ah!« Rem zappelt unter ihm. »Kohei… nicht so fest.« Ihre Stimme klingt atemlos, was es Kohei erschwert, ihrer Bitte folge zu leisten. »Ich will keinen Schal am Montag tragen.«
Kohei grinst. »Etwas weiter unten also?« Ohne die Lippen von ihrer Haut zu lösen, geht er von ihrem Hals zu ihrem Dekolleté. Gleichzeitig lässt er eine von Rems Händen los, um die Träger ihres Tops und BHs zu packen und beides hinunterzuziehen.
Seine Zähne graben sich in ihre weiche Haut und Rem schnappt nach Luft. Ihre freie Hand packt seine Haare und er spürt, wie sie erschaudert. »Hah! Das – ah!« Sie zieht an seinen Haaren.
Kohei hebt den Blick, um Rems Gesicht zu sehen. Ihre Augen sind geschlossen, die Wangen gerötet und sie beißt sich auf die Lippe. Hitze schießt durch seinen Körper. »Noch weiter runter?«, fragt er mit heiserer Stimme und lässt auch Rems andere Hand los, um ihr Top nach oben zu schieben. Seine Lippen wandern zu ihrem Bauch.
»Ah! K-Kohei!«
Er erreicht den Rand ihres Slips und sie kann die Beine kaum stillhalten, sodass er sie festhält. Dann wirft er ihr einen Blick zu und sieht, wie sie ihren Handrücken über ihren Mund presst. Es gefällt ihm nicht, dass sie versucht, ihre Stimme zurückzuhalten und, ohne den Blick von ihr zu nehmen, hebt er ihr linkes Bein ein wenig und beißt in die Innenseite ihres Oberschenkels.
Rem gibt ein ersticktes Wimmern von sich und ein vorwurfsvolles Funkeln tritt in ihre Augen, während Kohei seine Zähne lässt, wo sie sind.
So sollte es sein. Er kann ihre Wärme unter seinen Händen und Lippen spüren, hört ihre atemlose Stimme und sieht, den hitzigen Blick in ihren Augen, während ihn der Duft von Jasmin umgibt. Er will seine Gedanken mit ihr füllen, anstatt über etwas nachzudenken, das nicht eintreffen wird. Drei Wochen sind mehr als genug. Nichts wird sich ändern und Rem wird an seiner Seite bleiben, so wie sie es jetzt ist.
Rem sieht auf ihre geröteten Handgelenke hinab. Seit dem Treffen mit ihren Eltern hat Kohei die Angewohnheit sie festzuhalten, auch wenn ihm das selbst nicht aufzufallen scheint. Er benimmt sich ansonsten nicht anders als zuvor, aber es passt zu ihm, seine Sorgen vor ihr zu verstecken.
»War ich das?« Koheis Hand, die bis eben locker auf Rems Taille gelegen hat, greift nach ihrem Handgelenk. »Tut mir leid. Ich habe nicht aufgepasst«, murmelt er, während er vorsichtig mit dem Daumen über die gerötete Stelle streicht.
Rem dreht den Kopf, um ihn anzusehen. »Das ist nicht schlimm. Es tut nicht weh und morgen sieht man es bestimmt nicht mehr.« Sie löst ihr Handgelenk aus seinem Griff, um ihre Finger mit seinen zu verschränken und schenkt ihm ein Lächeln. Und als sie sieht, dass er dennoch ein recht betrübtes Gesicht macht, fügt sie hinzu: »Es wäre langweilig, wenn du zu vorsichtig wärst.« Sie stützt sich hoch und hebt ihre verschränkten Hände, um einen Kuss auf seinen Handrücken zu drücken. Und es ist nicht gelogen. Einer der Gründe, die Rem dafür verantwortlich macht, dass es zwischen Kohei und ihr so gut läuft, ist, dass sie sich nicht zu viele Gedanken darüber machen, wie der jeweils andere sie sieht. Es ist ein Vertrauen, das zwischen Kosuke und ihr gefehlt hat. Außerdem fühlt es sich gut an, zu wissen, wie sehr er sie an seiner Seite behalten will
Kohei hebt eine Braue, aber ein Grinsen zupft an seinen Lippen. »Versuchst du, mich zu verführen?«
Rem lehnt sich über ihn. »Klappt es?«
Er lacht leise. »Immer.«
Zufrieden mit dieser Antwort, beugt sie sich hinunter zu ihm, um ihn zu küssen. Es fühlt sich gut an, mit ihm herumzualbern, so wie sie es immer tun.
Koheis Hand streicht ihre Haare zurück und als Rem sich von ihm löst, betrachten seine goldenen Augen sie mit einem warmen Blick. »Es ist bemerkenswert, wie du es schaffst, in jeder Hinsicht zu 100 % mein Typ zu sein.«
»Versuchst du jetzt, mich zu verführen?«
»Immer«, erwidert er grinsend.
Rem kichert vergnügt. »Ich war nach dem Training einkaufen, weil ich heute Abend kochen wollte. Hast du Hunger?«
»Hm, jetzt, wo du es sagst...«
Sie lächelt und küsst ihn ein letztes Mal, bevor sie sich aufrichtet, um aus dem Bett zu klettern. »Oh«, macht sie dann, als sie ihr Handy auf dem Nachttisch liegen sieht.
»Willst du nachsehen, wie viele Störenfriede abgeblockt wurden?«, fragt Kohei hinter ihr.
Rem schüttelt den Kopf und sieht über die Schulter. »Ach was. Ich werde nicht ständig angerufen.« Noch während sie spricht, beginnt das Handy in ihrer Hand zu vibrieren.
»Ja? Wie war das?« Koheis Stimme hat einen spöttischen Unterton und er lacht auf, als wolle er seine Erleichterung darüber kundtun, ihr Handy vorsorglich ausgeschaltet zu haben.
»Es ist nur eine Nachricht«, sagt Rem, jedoch nicht ganz bei der Sache, da die Nummer unbekannt ist. Aber ihre Vermutung, dass es sich um Asami, ihre ehemalige Klassenkameradin, handelt, bestätigt sich, als sie die Nachricht liest.
»Geht es um das Klassentreffen? Du musst mir noch sagen, wann genau es ist, wenn ich das Treffen mit deinem Vater zur gleichen Zeit planen soll.«
Rem starrt auf ihr Handy. »Muss ich das wirklich?«, fragt sie plötzlich mit frostiger Stimme und der Blick, den sie Kohei über die Schulter zuwirft, ist nicht weniger kühl.
»E-Eh?« Kohei macht ein verschrecktes Gesicht, aber Rem lässt sich davon nicht täuschen. »Weißt du nicht schon sehr genau, wann mein Klassentreffen stattfindet?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragt er, wobei er schützend die Decke bis zu seinem Kinn hochzieht.
»Kosuke hat mir erzählt, dass Asami ein Klassentreffen plant, an dem Tag, als die Gründerfeier war. Du warst auch da.«
»Das habe ich nicht gehört. Und wenn, dann habe ich es vergessen. Was soll das überhaupt? Warum fragst du mich das?« Er klingt entrüstet und sie spürt nichts von der Gelassenheit, die er ausstrahlen würde, würde er lügen. Trotzdem mustert sie ihn aus schmalen Augen. »Es wäre nicht das erste Mal, dass du dich hinter meinem Rücken in mein Leben einmischst.«
»Aber diesmal habe ich nichts getan!« Er verschränkt die Arme vor der Brust und macht ein beleidigtes Gesicht. »Wieso sollte mich dein Klassentreffen interessieren?«
Rem dreht sich zu ihm um und hält ihm ihr Handy unter die Nase. »Dann ist es reiner Zufall, dass mein Klassentreffen, ein Treffen junger Erwachsener mit eher unterdurchschnittlichem Einkommen, im Emerald stattfindet, einem sehr teuren Luxushotel?«
Kohei starrt Rems Handy an, auf dem die Nachricht von Asami geöffnet ist, die Rem Zeit und Ort des Treffens mitteilt. Er blinzelt ein paar Mal, als wäre er überrascht, aber dann erscheint ein selbstgefälliges Grinsen auf seinem Gesicht. »Ha! Das hat offensichtlich nichts mit mir zu tun.«
»So?« Rem runzelt skeptisch die Stirn.
»Da stehts.« Kohei deutet auf ihr Handy. »‘Die zu erwartenden Kosten pro Person betragen etwa 30.000 ¥‘. Wenn ich meine Finger im Spiel hätte, müsstest du gar nichts bezahlen.« Er verschränkt die Arme hinter dem Kopf und lehnt sich in die Kissen zurück, als wäre die Angelegenheit damit geklärt.
»30.000 ¥ ist sehr wenig fürs Emerald«, sagt Rem, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Natürlich sind schon 30.000 ¥ keine Kleinigkeit und es ergibt mit einem Mal Sinn, dass Asami den Betrag nicht am Handy erwähnt hat. Welches stinknormale Klassentreffen findet schon in einem Luxushotel statt.
»Wenn ihr den billigsten Gang gebucht habt...«, sagt er, klingt aber schon um einiges weniger überzeugend.
»Auch für den billigsten Gang bezahlt man pro Person nicht unter 50.000 ¥.«
»Haha, wirklich? Du bist aber gut informiert.«
Rem starrt Kohei mit Nachdruck an.
»Ich habe wirklich nichts damit zu tun.« Er hebt abwehrend die Hände. »Wieso glaubst du mir nicht?«
»Warum denkst du wohl?«, fragt Rem, unbeeindruckt von seinem schmollenden Tonfall.
»Hmpf!« Er wendet den Blick ab und da er sie nun nicht mehr ansieht, gestattet sie sich ein Grinsen. Er sieht niedlich aus, wenn er schmollt.
»Ich glaube dir unter einer Bedingung.«
»Wie kannst du mir unter einer Bedingung glauben? Entweder glaubst du mir oder du tust es nicht.«
Rem krabbelt wieder aufs Bett, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Versprich mir, dass du dich nicht einmischst.«
»Wieso sollte ich das tun?«
»Weil Kosuke vielleicht auch da sein wird.«
Koheis Augen weiten sich und bestätigen Rems Verdacht, dass er vergessen hat, dass Kosuke und sie zusammen zur Schule gegangen sind.
Dann verdüstert sich seine Miene und er schnaubt mit einem abfälligen Grinsen auf den Lippen. »Als ob dieser Bettler sich das Emerald leisten kann.«
»Versprich es.«
Sein Blick richtet sich verärgert auf sie. »Was denkst du, was ich tue?! Mr. Isobe anrufen und ihm sagen, dass er deinen Bettler-Ex nicht reinlassen soll?« Mr. Isobe ist der Manager des Emerald, dessen Bekanntschaft Rem nur flüchtig gemacht hat.
»Absolut.« Rem nickt, da das nach etwas klingt, das Kohei tun würde.
»Hast du wirklich so wenig Vertrauen in mich?«
Diesmal sieht Rem ihn nur stumm an. Es ist geradezu lächerlich, dass er sich beschwert, nachdem er Kosuke hinter ihrem Rücken verprügelt hat. Ihm Hausverbot im familieneigenen Hotel zu geben ist nichts verglichen damit.
Ein paar Sekunden verstreichen, in denen sich die beiden anstarren. Dann seufzt Kohei geschlagen. »Ich verspreche es.«
Rem lächelt zufrieden. Dann lehnt sie sich vor und drückt Kohei einen Kuss auf die Wange. »Ich geh dann kochen.«
Trotz Koheis Versicherung hakt Rem bei Asami nach, wieso das Klassentreffen ausgerechnet in einem Luxushotel stattfindet, bei dem sich einige zweimal überlegen, ob sie sich das leisten können. Sie bekommt die Antwort, als sie gerade fertig mit essen sind.
»Es hat anscheinend wirklich nichts mit dir zu tun«, murmelt sie, während sie die Nachricht noch einmal liest.
Kohei, der gerade ihre Teller in die Spülmaschine geräumt hat, dreht sich zu ihr um. »Hast du bis jetzt an mir gezweifelt?«, fragt er beleidigt.
»Jemand anderes aus meiner Klasse hat einen Bekannten, der im Emerald arbeitet und uns einen Rabatt geben kann. Und Asami schreibt, dass sie und die anderen Organisatoren vorhaben einen größeren Teil der Gesamtsumme zu übernehmen, damit sich niemand Sorgen ums Geld machen muss. Außerdem ist es eine einmalige Gelegenheit und blah blah blah…«, murmelt Rem, während sie die Zeilen überfliegt.
»Es gibt keinen Grund, überhaupt über Geld zu reden. Du isst im Emerald immer kostenlos.«
Rem wirft ihm einen Blick zu. »Du hast versprochen, dich nicht einzumischen.«
»Aber du hast doch gesagt, jemand lässt seine Beziehungen spielen, damit ihr einen Rabatt bekommt. Wieso kannst du das nicht auch?«
»Ein Rabatt auf eine große Gruppe ist etwas anderes, als völlig umsonst zu essen.«
»Wieso?« Kohei stützt sich auf der Anrichte auf und rollt mit den Augen. »Bei 30 Leuten sind das vielleicht 2.000.000 ¥. Glaubst du, das Emerald kann sich das nicht leisten?«
Rem starrt ihn an. »Du...du meintest vorhin, meine gesamte Klasse isst umsonst?«
»Die gesamte Klasse minus einen Bettler, wie klingt das?« Er grinst sie an.
Es ist einer dieser Momente, in denen Rem das Gefühl hat, Kohei und sie wären auf verschiedenen Planeten aufgewachsen. Sie schüttelt den Kopf. »Ich werde einfach bezahlen wie alle anderen«, sagt sie, denn 30.000 ¥ kann sie sich gut und gerne ohne Koheis Hilfe leisten.
»Wieso? Ich dachte, es stört dich, dass der Preis deine Klassenkameraden abschrecken könnte.«
»So einfach ist das nicht.« Rem lehnt sich gegenüber von ihm gegen den Tresen und verschränkt die Arme vor der Brust. »Shiroma, die mit dem Bekannten im Emerald, hat sich Mühe gegeben, all das einzufädeln. Es würde ihr nicht gefallen, wenn ich plötzlich daher komme und all das zunichtemache.«
Kohei runzelt die Stirn. »Aber wenn du das bessere Angebot hast? Wo ist das Problem?«
Rem weicht seinem Blick aus. Tatsächlich hat es sie kaum mehr überrascht, als sie erfahren hat, dass das ganze Shiromas Idee war. Sie erinnert sich an sie als jemand, der gerne zeigt, was er hat und Aufmerksamkeit und Bewunderung genießt. »Shiroma und ich hatten nicht das beste Verhältnis in der Schule. Ich glaube nicht, dass sie sich darüber freuen würde, wenn ausgerechnet ich noch bessere Beziehungen habe als sie. Außerdem will ich nicht an die große Glocke hängen, dass ich mit dem Enkel von Toshiro Inouye ausgehe.«
»Schämst du dich für mich?« Er zieht einen Schmollmund.
»Ich will nicht, dass jemand versucht, durch mich an dich heranzukommen. Oder an deinen Großvater.«
Kohei blinzelt. Dann runzelt er die Stirn. »Als ob das irgendjemand könnte. Du bist eine Betonwand. Und ein Klassentreffen ist dazu da, um zu zeigen, dass du im Leben viel weiter gekommen bist als alle deine Klassenkameraden.«
»Aber abgesehen von dir ist mein Leben nicht außergewöhnlich«, sagt Rem und beobachtet dann amüsiert, wie Kohei daraufhin ein stolzes Gesicht macht.
»Da hast du es. Du hast es geschafft, mich zu verführen, was vorher noch keine Frau geschafft hat.« Er stemmt die Hände in die Hüfte und sieht sie an, als wolle er ihr sagen, dass sie sich darauf etwas einbilden kann.
Rem legt sich eine Hand ans Kinn. »Aber das ist keine Leistung, mit der ich prahlen kann.«
Kohei lässt die Arme sinken. »Ich bin keine Leistung? Heißt das, ich bin leicht zu haben?«
»Das auch, aber ich meinte, dass ich mein Privatleben nicht zur Schau stellen will wie einen Preis.«
Kohei löst sich von der Ablage, um auf Rem zuzugehen. »Ich bin also leicht zu haben, ja?« Er packt ihre Hüfte und im nächsten Moment findet sie sich auf dem Tresen sitzend wieder. »So sehr, dass man nicht mit mir prahlen kann.«
»Das habe ich nicht gesagt.« Mit einem Lächeln beginnt sie, seine Wange zu streicheln. »Ich kann nicht mit dir prahlen, weil es die anderen zu sehr verunsichern würde. Es ist nicht nett, anderen unter die Nase zu reiben, wie viel besser man es hat als sie.«
Koheis Züge glätten sich und ein Lächeln kehrt auf seine Lippen zurück. »Wo hast du gelernt, dich so raffiniert einzuschmeicheln?«
»Nirgendwo.« Rems Daumen streicht über seine Unterlippe. »Wie du gesagt hast, du bist leicht zu haben.«
Eine Falte erscheint zwischen Koheis Brauen. »Hah…«
Sie spürt seinen Atem über ihren Daumen streichen, als er ausatmet und sie beißt sich auf die Lippe.
»Warst du schon immer so frech?« Es liegt ein herausfordernder Blick in seinen goldenen Augen, der sie erschaudern lässt. Es stimmt, dass sie es liebt, ihn zu provozieren, nur um diesen Blick zu sehen.
Rem grinst. »Ich weiß nicht. Vielleicht färbst du auf mich ab.«
»Ach so?« Er packt ihr Kinn. »Dann sollte ich Verantwortung übernehmen und dich zum Schweigen bringen.« Sein Blick richtet sich auf ihre Lippen.
»Hm, aber dann kann ich dich nicht auf ein Date einladen«, raunt Rem und Kohei hält inne, nur Zentimeter von ihren Lippen entfernt. »Ein Date?«
»Ja«, haucht sie mit einem Lächeln. »Ich will dich sehen, nachdem das Klassentreffen vorbei ist.« Eigentlich geht es dabei eher um sein Treffen mit ihrem Vater, denn sie weiß, dass es Kohei stressen wird, egal wie es ausgeht. Und selbst wenn Juro absagt, gibt es keinen Grund, kein Date zu haben.
Kohei blinzelt und ein Hauch von Rosa tritt auf seinen Wangen. Ein Lächeln erscheint auf seinen Lippen und ein Funkeln tritt in seine Augen wie bei einem Kind, das Geburtstag hat. »Als ob du das fragen musst«, sagt er, obwohl seine Reaktion allein die Frage wert gewesen ist.
Rem schlingt die Arme um seinen Hals, als er sie zu küssen beginnt, und vergräbt ihre Hände in seinem Haar. »Siehst du«, murmelt sie in einer Atempause. »So einfach.«
Kohei versteift sich. Er lehnt sich zurück, um sie mit einem ärgerlichen Blick anzusehen.
Rem grinst ihn unschuldig an, nur um dann erschrocken nach Luft zu schnappen, als er sie vom Tresen hebt und sich über die Schulter wirft.
»Wir werden ja sehen, wer hier einfach zu haben ist!«, grummelt er, während er mit ihr Richtung Schlafzimmer stampft.
Rem, nachdem sie sich von dem Schreck erholt hat, beginnt zu lachen. Sie weiß nur zu gut, dass sie, in Bezug auf ihn, genauso einfach zu haben ist.
»...das ist alles cool, aber ist das wirklich okay?«
Kohei sitzt auf seiner Couch und wartet darauf, das Rem aus dem Bad kommt, während er mehr aus Langeweile telefoniert. »Ich hab dir gesagt, was du tun sollst. Was ist so schwer daran zu verstehen?«
»Die moralische Korrektheit. Du verstehst schon, worum du mich bittest?«
Kohei antwortet nicht, da Rem in diesem Moment das Wohnzimmer betritt.
»Senpai?«
»Ich muss Schluss machen.«
»Hey! Senpai! Was ist mit - «
Kohei legt auf und steckt sein Handy in die Hosentasche, während er aufsteht.
»Was denkst du?«, fragt Rem und sieht an sich hinunter. Sie trägt ein stylisches weißes Jackett mit einer dazugehörigen weißen Hose, ein dunkelblaues Oberteil, das zu ihren Augen passt und, untypisch für sie, Highheels. Es muss Kondos Einfluss sein, denn Kohei weiß, dass sie Rem beraten hat.
»Du siehst toll aus«, sagt Kohei mit einem Lächeln, während er auf sie zugeht. »Wie ein Model, das Mode für erfolgreiche Geschäftsfrauen bewirbt.«
Rem mustert ihn mit einem Blick, der ihm sagt, dass sie sein Kompliment einfach überhören wird. »Das Weiß ist nicht zu auffällig? Es ist auch nicht die beste Wahl für eine Veranstaltung mit Essen.«
»Ich traue dir zu, beim Essen nicht zu kleckern«, erwidert Kohei amüsiert und streicht ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie hat die Haare offen gelassen, wodurch ihr Look weniger förmlich wirkt und die großen Ringohrringe haben etwas von einem Partygirl. »Aber ich würde andere Ohrringe tragen«, sagt er, während er die Ohrringe mustert. Er kann sich nicht vorstellen, dass sie Rem gehören, also müssen es Kondos sein.
»Wieso? Sind sie unpassend?« Rem tastet mit der Hand nach ihrem Ohr, während sie Kohei mit besorgtem Blick ansieht.
»Nein, ich habe nur einen besseren Vorschlag.« Er lächelt beruhigend und greift in die Tasche seines Jacketts. Ihm ist aufgefallen, wie unruhig Rem dem heutigen Tag entgegengesehen hat und auch wenn er nicht genau sagen kann, woran es liegt, wollte er etwas dagegen unternehmen.
Er holt eine samtig blaue Schachtel hervor, hält sie Rem hin und öffnet sie. Darin glitzern ein paar Ohrringe mit langen Silberfäden, die, wie Kohei findet, perfekt zu Rems Outfit passen, und dass, obwohl er nicht wusste, was sie tragen würde.
»Oh«, macht Rem, während sie auf die Ohrringe hinabsieht.
»Und bevor du fragst, sie waren nicht teuer, also -« Er bricht ab, als Rem ihm eine Hand auf den Arm legt und sich vorbeugt, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken. »Danke. Sie sind wunderschön.«
Kohei blinzelt verdutzt.
Rem lächelt ihn an und legt die Ringohrringe ab, offensichtlich um sie gegen seine auszutauschen. »Guck nicht so. Dachtest du, ich würde sie ablehnen.«
»Na ja, normalerweise wirst du wütend, wenn ich dir etwas schenken will.«
»Nein, ich...tut mir leid, ich will nicht, dass du das denkst.« Sie sieht ihn mit einem schuldbewussten Blick an, der jedoch bald zu einem konzentrierten wird, da sie immer noch damit beschäftigt ist ihre Ohrringe zu wechseln.
»Vielleicht glaube ich dir, wenn du dich noch einmal bedankst.«
Rem blinzelt und sieht fragend zu ihm auf.
Kohei tippt sich mit einem unschuldigen Lächeln auf die Wange.
Mit einem amüsierten Schnauben lehnt Rem sich erneut vor, doch als sie seine Wange küssen will, dreht Kohei in letzter Sekunde den Kopf, sodass sie stattdessen seine Lippen küsst. Sie lacht leise. »So frech«, murmelt sie, bevor sie die Arme um seinen Hals schlingt und ihn noch einmal küsst, richtig diesmal.
Ihre Lippen schmecken nach Lippenstift, aber Kohei stört das nicht und er legt die Arme um ihren Rücken, während er den Kuss erwidert. Es liegt vermutlich an seinem Treffen mit ihrem Vater, denn Rem ist in den letzten Tagen besonders liebevoll zu ihm gewesen. Und er genießt das in vollen Zügen, sodass er sich schon wünscht, er könnte das Treffen mit ihrem Vater nach hinten verschieben.
»Ich hab auch ein Geschenk für dich«, sagt Rem mit einem Grinsen, nachdem sie sich von ihm gelöst hat.
Kohei hebt eine Braue und fragt sich, was an ihrem Geschenk sie so zum Grinsen bringt.
Sie lässt ihn los, um zum Tisch zu gehen, auf dem ihre Tasche steht. Sie holt eine kleine Tüte hervor, bevor sie zu Kohei zurückkehrt und seine Hand nimmt.
Kohei betrachtet das schmale Silberkettchen, das sie an seinem Handgelenk befestigt. Es ist schlicht mit einer Plakette, in die eine Inschrift graviert ist. Seine Brauen ziehen sich zusammen. »Wieso steht da ‚Nummer zwei‘?«
»Damit du dich anstrengst«, sagt Rem und stemmt die Hände in die Hüften. »Du hast gesagt, Juro erinnert dich an mich und wenn du das Gefühl hast, dass du ihn nicht überzeugen kannst, dann guckst du das Armband an. Du hast nie aufgegeben zu versuchen, mich zu schlagen, also lass dich von Juro nicht unterkriegen.«
Kohei senkt den Blick auf sein Handgelenk. »Das ist so ein unhöfliches Geschenk.«
»Ich weiß.« Rem lässt die Arme sinken und ihr Grinsen verblasst etwas. »Aber heute Abend mache ich es wieder gut.«
»Wirklich?« Er streckt ihr auffordernd die Hände entgegen. »Ich bin neugierig wie.«
Rem lächelt, während sie seine Hände nimmt. »Dann musst du nach deinem Treffen zu mir kommen.«
»Ich hoffe, du hast dir etwas Besonderes überlegt. Ich vergebe nicht leicht.« Ursprünglich wollte Kohei Mr. Aozora ins Emerald einladen, um ihn zu beeindrucken und in Rems Nähe zu sein, aber wie beim letzten Mal hat Mr. Aozora bereits einen Tisch in einem Restaurant reserviert.
»Doch, tust du, aber ich geb mir trotzdem Mühe«, sagt Rem und senkt den Blick, wohl um das Armband zu betrachten.
»Das ist wieder deine Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie«, bemerkt Kohei mit einem tadelnden Blick auf sie. »Was versuchst du damit zu erreichen?« Er lässt ihre Hände los, um stattdessen ihre Hüften zu packen und sie zu sich zu ziehen.
Rems Hand streicht über seine Wange. »Willst du, dass ich nur noch nette Dinge zu dir sage?«
»Haah, versuchst du, dich mit mir anzulegen?«
»Wieso sollte ich das tun? Wir wissen beide, wie das ausgeht, Nummer zwei.«
Kohei schließt die Augen. »Du entwickelst ein wirklich bedenkliches Hobby.«
»Stört es dich?«, fragt Rem, aber sie klingt unbekümmert, während sie ihre Arme um seinen Hals schlingt. Und der Gedanke, dass jetzt wieder das Zuckerbrot an der Reihe ist, erfüllt ihn mit Erwartung.
»Im Gegenteil, das Bedenkliche ist, wie sehr mich das anmacht«, murmelt er noch, bevor er seine Lippen auf ihre drückt.
Entgegen ihrer frechen Worte sind Rems Lippen weich und sanft. Ihre Hand krault liebevoll sein Haar und als sie sich von ihm löst, drückt sie ihre Stirn gegen seine. »Ich liebe dich.« Ihre Worte sind nur ein leises Hauchen, aber Kohei hält den Atem an, als ein warmes Kribbeln durch seinen Körper geht.
Rem öffnet die Augen und sieht ihn an, die Wangen gerötet, aber ihr Blick ist klar. Es ist nicht das erste Mal, dass sie es zu ihm sagt, aber auch dieses Mal versagt ihm sein Kopf den Dienst und er kann Rem nur wie ein Idiot anstarren. Er sollte ihre Worte erwidern, aber er fühlt sich dazu nicht berechtigt, solange ihr Vater Kohei für ein Sicherheitsrisiko für Rem hält. Es hat nichts mit Feigheit zu tun. Er will nur alle Zweifel aus dem Weg räumen, für den Moment, wenn er es sagt. Und er ist motivierter denn je das zu tun. Was Rem, wie er vermutet, mit ihrem Geständnis beabsichtigt hat.
»Machst du dir Sorgen, dass ich abhaue?«, fragt er. Es ist als Witz gemeint, weil er nicht weiß, was er sonst sagen soll.
»Nein.« Im Gegensatz zu ihm antwortet Rem völlig ernst. Wie so oft sind ihre wunderschönen blauen Augen voller Ehrlichkeit. »Aber ich weiß, dass du dir Sorgen machst, auch wenn du es nicht zeigst. Und ich will nicht, dass du dir um irgendetwas Sorgen machst.« Ihre Hand rutscht zu seiner Wange und sie senkt den Blick auf seine Lippen, als sie mit dem Daumen darüber streicht. Aber anstatt ihn noch einmal zu küssen, legt sie die Stirn in Falten. »Mein Lippenstift ist auf deinen Lippen. Tut mir leid.« Offenbar versucht sie, den Lippenstift mit ihrem Daumen wegzuwischen.
»Das ist ein Problem. Was soll dein Vater von mir denken?«
»Gar nichts, du musst das abwischen, bevor du ihn triffst!«
Kohei lacht. An diesem Punkt wird es nichts ändern, egal wie sein Treffen mit Mr. Aozora ausgeht. Denn wie könnte er überhaupt in Erwägung ziehen, Rem zu verlassen?
Als Kohei in dem Restaurant ankommt, in dem er mit Mr. Aozora verabredet ist – es ist das, in dem auch ihr erstes Treffen stattgefunden hat -, wird er bereits erwartet. Und das, obwohl Kohei eine halbe Stunde zu früh ist.
»Guten Abend, Mr. Aozora«, sagt Kohei, nachdem die Bedienung hinter ihm die Schiebetür geschlossen hat und die beiden Männer allein sind. »Ich hoffe, Sie mussten nicht lange auf mich warten.« Er lächelt Mr. Aozora an, während ein vertrautes Gefühl in ihm aufsteigt. Wann immer er Rem einen Schritt voraus sein wollte, nur um festzustellen, dass sie ihm bereits zwei Schritte voraus war, genau dieses Gefühl ist es.
»Ich weiß, dass ich zu früh hier war. Ich habe mich darauf eingestellt zu warten.« Mr. Aozora lächelt nicht und Kohei denkt, dass er sich glücklich schätzen kann, dass er zur Begrüßung mit dem Kopf nickt.
Kohei stellt seine Tasche ab und setzt sich. »Vielen Dank, dass Sie eingewilligt haben, sich mit mir zu treffen.«
»Sie bedeuten Rem viel. Ich kann nachvollziehen, weshalb Sie glauben, ich hege eine Abneigung gegen Sie, aber dem ist nicht so. Es gibt keinen Grund, so vorsichtig zu sein.«
Kohei lächelt über diese sachliche und direkte Antwort. Es ist fast schon gruselig, wie sehr Rem ihrem Vater ähnelt. »Sie sind der Vater meiner Freundin, der mir bei unserem letzten Treffen gesagt hat, ich soll mich von seiner Tochter fernhalten. Wenn ich in dieser Situation gelassen sein könnte, hätte ich gar nicht um ein Treffen mit ihnen gebeten.« Er sieht Mr. Aozora bedeutungsvoll an, um ihm zu zeigen, wie wichtig dieses Treffen für ihn ist, so sehr, dass es ihn nervös macht.
Mr. Aozora nickt. »Das spricht wohl für Sie. Es war nicht meine Absicht, der böse Vater zu sein, der der Liebe seiner Tochter im Weg steht.«
»Nun, das sind Sie, aber ich hätte Sie nicht hergebeten, wenn ich keinen Plan hätte, um Sie von mir zu überzeugen.«
Mr. Aozora blinzelt, als wäre er überrascht. Dann wird sein Ausdruck sanfter und etwas, das einem Lächeln nahe kommt, zupft an seinen Lippen. »Ich denke, ich verstehe, was Rem in Ihnen sieht.«
Kohei spürt, wie ihm der Mund aufklappt. Hat er gerade ein Kompliment bekommen? Von Rems Vater? Er räuspert sich. »Danke«, sagt er, etwas schuldbewusst. Er hat nicht erwartet, dass Mr. Aozora sich für ihn erwärmen würde, was das Kommende nur schwerer macht. Denn sein Plan sieht nicht vor, dass Mr. Aozora ihn nach ihrem Gespräch mag.
Sie bestellen das Essen und kaum hat die Bedienung ihr Abteil wieder verlassen, zieht Kohei einen dicken Ordner aus seiner Tasche. »Lassen Sie mich gleich zum Punkt kommen, Mr. Aozora. Sie glauben, jemand wie ich hätte zu viele Feinde und dass Rem durch mich zur Zielscheibe werden könnte.«
»Nein.«
Kohei hält verdutzt inne und nimmt den Blick von seinem Ordner, um Mr. Aozora anzusehen.
»Ich weiß nicht, wie viele Feinde Sie oder Ihr Großvater haben. Aber ich denke, die Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und, sagen wir, anders gesinnten Parteien fallen sehr viel extremer aus, als bei gewöhnlichen Menschen wie Rem und mir.«
»Damit haben Sie vermutlich recht, aber es läuft auf dasselbe hinaus.« Kohei richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Ordner. »Daher habe ich mir die Freiheit genommen, diejenigen zu überprüfen, die auf hinterlistige Methoden zurückgreifen würden, um etwas von meinem Großvater oder mir zu bekommen.«
Mr. Aozora sagt nichts und als Kohei ihm einen Blick zuwirft, betrachtet er den Ordner. Dabei hat er eine kleine Falte zwischen den Brauen und Kohei kann förmlich hören, wie er denkt, dass dieser Ordner sehr dick ist.
»Aber das sind nicht die einzigen Leute, die ich ausfindig gemacht habe.« Kohei schlägt den Ordner bei einem Trenner auf, der den Ordner etwa ein Drittel zu zwei Drittel teilt. »Das hier.« Er legt seine Hand auf den vorderen, dünneren Teil. »Sind meine Feinde. Und das hier.« Er bewegt seine Hand auf die andere Seite. »Das sind Ihre.«
Mr. Aozoras Brauen ziehen sich zusammen und ein warnendes Funkeln tritt in seine blauen Augen.
»Sie sind Staatsanwalt und ein guter noch dazu. Das bedeutet, dank Ihnen sind eine Menge Leute verurteilt worden und die meisten von ihnen hassen Sie dafür.«
Mr. Aozora schnaubt. »Sieht Ihr Plan vor, mir vorzuwerfen, ein größeres Sicherheitsrisiko für meine Tochter zu sein als Sie?«
»Ganz und gar nicht.« Kohei schenkt ihm ein charmantes Lächeln. »Ich möchte das Sicherheitsrisiko verringern.« Er blättert durch den Ordner, als würde er ihn durchsehen, obwohl er sich an die wichtigsten Punkte erinnert. »Vor einem Monat hat Ihnen nach der Arbeit jemand aufgelauert und Sie mit einer Glasflasche attackiert und erst vor zwei Tagen hat man Ihnen im Gerichtssaal mit dem Tod gedroht.«
»Woher wissen Sie das?«
Kohei hebt den Kopf und erwidert Mr. Aozoras frostigen Blick so gelassen wie möglich. Es gefällt ihm nicht, dass er seinem zukünftigen Schwiegervater eine seiner weniger attraktiven Seiten zeigen muss und er hätte liebend gern daran gearbeitet, stattdessen sein Wohlwollen zu gewinnen. Aber Mr. Aozora ist – wie Rem – jemand, der Entscheidungen mit einem kühlen Kopf trifft. Er hat Kohei gebeten sich von Rem fernzuhalten, aber dabei erklärt, dass er Kohei keine Schuld gibt und sich sogar indirekt bei ihm entschuldigt. Es ist eine Entscheidung, bei der Mr. Aozoras persönliche Gefühle für Kohei keine Rolle spielen. Das bedeutet, dass er, selbst wenn Kohei ihn dazu bringen könnte, ihn wie seinen eigenen Sohn zu lieben, seine Meinung nicht ändern würde.
»Es gibt eine Abteilung der Polizei, die damit beauftragt ist, verurteilte Straftäter im Auge zu behalten. Ich habe mir die Freiheit genommen, diese Abteilung zu fördern.«
»Sie meinen, Sie haben sie bestochen.«
»Nur ein wenig, schließlich ist es mir ein Anliegen, dass die Abteilung ihre Arbeit macht. Außerdem sind sie informiert worden, dass sie im Notfall die Hilfe des Sicherheitsdiensts meiner Familie anfordern können.«
Mr. Aozora gibt ein Zischen von sich. »Und ich nehme an, bei diesen Notfällen habe ich eine gewisse Priorität.«
»Selbstverständlich.« Kohei verschränkt die Hände auf dem Ordner miteinander, während er sich beiläufig etwas nach vorn lehnt. »Der Sicherheitsdienst meiner Familie beschützt in erster Linie Familienmitglieder.«
»Ich bin kein Familienmitglied!«
»Sie sind der Vater meiner Freundin, die ich plane, bald zu meiner Frau zu machen. Das reicht aus.«
Mr. Aozora starrt Kohei an und Kohei erschaudert, als die Temperatur im Raum zu sinken scheint. »Sie denken also, wenn Sie mir zeigen, was Sie mit der Macht und dem Geld Ihres Großvaters alles erreichen können, wäre ich beeindruckt?«
Kohei blinzelt. Da er weiß, was Rem davon hält, wenn er seinen Einfluss benutzt, hat er nicht eine Sekunde geglaubt, er könne ihren Vater damit beeindrucken. Daher bringt Mr. Aozoras Frage ihn zum Schmunzeln. »Ich bin nicht hergekommen, um Sie zu beeindrucken. Wie ich Ihnen bereits bei unserem letzten Treffen gesagt habe, nehme ich Ihre Bedenken, was Rems Sicherheit betrifft sehr ernst.« Er sieht auf seine Hände hinab und als sein Blick auf das Armband an seinem Handgelenk fällt, muss er lächeln. Er denkt an Rem und das freche Grinsen auf ihrem Gesicht, eine Augenbraue gehoben und mit einem provokanten Funkeln in den Augen. »Rem ist Ihnen sehr ähnlich. Sie hat keine Angst davor, sich mit jemandem anzulegen, egal wer es ist, wenn sie glaubt, dass sie das Richtige tut. Und bisher hat sie es immer geschafft, unbeschadet aus diesen Situationen herauszukommen. Weitgehend.« Er hebt den Blick wieder.
Mr. Aozora sitzt mit vor der Brust verschränkten Armen da und mustert Kohei nach wie vor mit kühlen Augen. Aber er hört zu.
»Vielleicht hat sie Glück so wie Sie und alles bleibt, wie es ist. Aber ich denke, wir beide wissen, dass das unwahrscheinlich ist. Schon allein, dass Rem eine Frau ist, wird einigen ein Dorn im Auge sein und an einem Punkt in ihrer Karriere wird sie vor der Wahl stehen aufzugeben oder sich anzupassen. Und ich will nie mitansehen müssen, wie Rem ihre Worte herunterschluckt und ein Lächeln erzwingt, nur um einem alten sexistischen Sack nicht auf den Schlips zu treten.«
Mr. Aozora atmet geräuschvoll aus und der Blick in seinen Augen verliert etwas an Intensität. »Und mit Ihnen an ihrer Seite wird sich jeder alte Sack vorsehen, ihr nicht auf den Schlips zu treten. Das wollten Sie doch sagen.«
Kohei nickt. »Es ist mir lieber, wenn behauptet wird, Rem würde meinetwegen eine Sonderbehandlung bekommen, als wenn sie sich oder ihre Karriere in Gefahr bringt, nur weil sie eine klare Meinung vertritt.« Er klappt den Ordner zu und schiebt ihn über den Tisch auf Mr. Aozora zu. »Ich weiß, dass Sie sich unwohl dabei fühlen, aber nachdem Sie die Nachteile von meiner Beziehung zu Rem gesehen haben, sollten Sie sich auch die Vorteile ansehen.«
Mr. Aozora schnaubt. »Wollen Sie, dass ich den Freund meiner Tochter wie ein Produkt nach Nutzen und Schaden beurteile?«
»Wollen Sie behaupten, das hätten Sie nicht getan, als Sie mich gebeten haben, mich von Rem fernzuhalten?«
Mr. Aozora antwortet nicht. Dann senkt er den Blick auf den Ordner vor sich. Mit einem tiefen Seufzen platziert er seine Hand darauf. »Ich nehme an, das ist Ihre Art, mir mitzuteilen, dass Sie nicht vorhaben, Rem zu verlassen, ganz gleich was ich sage.«
Kohei lächelt als Antwort nur sein schönstes Lächeln.
Mr. Aozora beeindruckt das herzlich wenig, aber er sagt nichts, denn in diesem Moment klopft es an der Tür und die Bedienung kommt mit dem Essen herein.
Rem betritt das Emerald und geht zielstrebig auf den Empfangstresen zu. Dabei spielt ihre Hand mit dem Verschluss ihrer Handtasche, in der sich ihr Handy befindet. Kohei müsste mittlerweile schon mit Juro sprechen und sie fragt sich, ob sie nicht doch lieber hätte mitgehen sollen. Immerhin betrifft sie das Gespräch auch.
Sie versteht, weshalb Kohei die Sache allein klären will, aber sie kennt Juro und seinen Sturkopf zu gut. Er wird tun, was er will, obwohl Rem ihn angerufen und mehrere Nachrichten geschickt hat, damit er nett zu Kohei ist. Und sie weiß jetzt schon, dass Kohei es ihr nicht erzählen würde, sollte etwas, das Juro sagt, ihn treffen. Weil es ‚uncool‘ wäre.
Sie schnalzt mit der Zunge, als sie vor dem Tresen stehen bleibt. Wieso müssen Männer immer versuchen, cool zu sein? Niemand der versucht, cool zu sein, ist wirklich cool und Rem ist lange über den Punkt hinaus, an dem es für sie eine Rolle spielt, ob Kohei etwas Cooles oder Uncooles tut. Alles, was zählt, ist, dass er glücklich und an ihrer Seite ist.
»Es ist uns eine Freude, Sie im Emerald begrüßen zu dürfen, Madame! Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Der junge Mann hinter dem Tresen lächelt etwas scheu und Rem realisiert, dass sich ihre Sorge auf ihrem Gesicht spiegeln muss. Sie räuspert sich. »Ich bin für ein Klassentreffen hier. Die Reservierung ist, glaube ich, auf den Namen Hana Shiroma.«
»Oh, aber natürlich.« Der Mann muss nicht einmal auf den Bildschirm seines Computers schauen und kommt hinter dem Tresen hervor. »Wenn Sie sonst keine Wünsche haben, werde ich Sie in den Wintergarten bringen.«
Rem nickt nur, denn auch nachdem sie ein paar Mal mit Kohei hier war, hat sie sich noch nicht an die überaus höfliche Behandlung gewöhnt. Aber sie ist froh, dass die Angestellten hier so effizient sind, sodass sie nicht am Tresen warten muss und Gefahr läuft, von jemandem erkannt zu werden. Sollte Mr. Isobe herausfinden, dass sie hier ist, wäre es vorbei mit ihrem Plan, niemanden wissen zu lassen, dass sie mit dem Enkel von Toshiro Inouye ausgeht.
Der Angestellte führt Rem in den hinteren Teil des Hotels, durch einen Saal mit einer Bar und mehreren Tischen zu einem angrenzenden Wintergarten. Und während Rem noch verblüfft darüber ist, dass das Treffen nicht in irgendeiner Ecke stattfindet, wendet sich der Angestellte wieder an sie. »Soll ich etwas für Sie im Safe hinterlegen?«
Rem macht ein verwirrtes Gesicht. Auch das ist eine Eigenheit des Emerald, die Rem bisher in keinem anderen Hotel erlebt hat, aber es ist nicht ungewöhnlich, dass die Menschen, die dieses Hotel besuchen, Wertgegenstände bei sich tragen. Aber sie hätte nicht erwartet, dass dieser Service jedem angeboten wird. »Nein, danke«, sagt Rem, während sie den jungen Mann anstarrt, als könnte sie dadurch herausfinden, ob er nicht doch weiß, wer sie ist.
»Dann erlauben Sie mir, Ihnen Ihren Mantel abzunehmen.« Seine Hände zittern etwas, als er sie hebt und Rem dreht sich um, damit er ihr aus ihrem Mantel helfen kann. »Danke«, sagt sie, noch immer misstrauisch, als sich der Mann vor ihr verbeugt. Dann betritt sie den Wintergarten. Dabei fummelt sie erneut am Verschluss ihrer Handtasche herum, aber sie entscheidet sich dagegen, Kohei eine Nachricht zu schicken und ihn zu fragen, ob er Mr. Isobe doch Bescheid gegeben hat. Wenn er es hinter ihrem Rücken getan hat, würde er es nicht so einfach zugeben. Außerdem ist es bisher nur eine Vermutung und sie will Kohei nicht schon wieder für etwas verdächtigen, dass er nicht getan hat.
»Rem Aozora!«
Rem nimmt den Blick von ihrer Tasche, um zu der Frau zu sehen, die mit ausgebreiteten Armen auf sie zukommt.
Sie trägt ein kurzes, enges Kleid, Highheels und eine Pelzjacke, die ihr über die Schultern gerutscht ist. Ihre braunen Haare sind zu einem Long-Bob geschnitten und mit dem Lockenstab bearbeitet worden. »Das gibts nicht! Hast du in den letzten zehn Jahren einen Sinn für Mode entwickelt?«
Rem seufzt. »Hallo Shiroma.«
»Haha, sei doch nicht so förmlich.« Shiroma wedelt mit der Hand, als sie vor Rem stehen bleibt, die rot geschminkten Lippen zu einem Grinsen verzogen. »Ich habs nicht böse gemeint. Du siehst toll aus.«
»Danke«, sagt Rem, während sie die Ringohrringe ansieht, die zwischen Shiromas Haaren hindurchfunkeln und sie ist froh, dass Kohei ihr ein anderes Paar geschenkt hat. »Eine Freundin hat mich beraten.«
Shiroma lacht und legt Rem einen Arm um die Schultern. »Eine gute Idee, wir sind immerhin im Emerald. Wie gefällt es dir?« Sie deutet in einer ausladenden Geste auf den Wintergarten. »Es gibt ein Buffet mit Horsd'oeuvre, Champagner und nachher ein Fünfgängemenü. Mir wurde gesagt, dieser Wintergarten ist so lange für uns reserviert, wie wir ihn brauchen, und die Angestellten behandeln uns wie VIPs. Ist das nicht der Hammer?«
Rem sagt nichts, während sie ihren Blick über den Wintergarten schweifen lässt. Es sind etwa 20 Leute hier und aus Shiromas Worten schließt sie, dass alle hergeführt wurden wie Rem. Das ist eine Erleichterung, weil es bedeutet, dass das Emerald so all seine Gäste behandelt.
»Ohne Scheiß, ich dachte, die feinen Pinkel hier würden uns wie Ratten behandeln. Shiroma hat krasse Beziehungen.«
Rem richtet ihren Blick auf den Mann, der mit einigen anderen nah des Eingangs steht. Er trägt einen etwas locker sitzenden Anzug und ein schiefes Grinsen auf dem Gesicht. »Inugami«, sagt Rem, nachdem sie einen Moment gebraucht hat, um ihn wiederzuerkennen, da er sich in ihrer Schulzeit die Haare blond gefärbt hatte.
»Richtig. Hätt nicht gedacht, dass du mich wiedererkennst.« Inugami dreht sich ihr zu.
»Wie könnte ich das nicht? Du hast ständig versucht, meine Hausaufgaben abzuschreiben.« Rem verschränkt die Arme vor der Brust.
»Und du hast mich nie gelassen.« Er wackelt tadelnd mit dem Zeigefinger.
»Ich habe angeboten, dir dabei zu helfen.«
»Bist du immer noch so eine Streberin, Aozora?«, fragt Shiroma und nimmt endlich ihren Arm von Rems Schultern.
»Im Ernst, du siehst aus, wie so ne Karrierefrau. So ne Abteilungsleiterin, die ihren Mitarbeitern das Leben schwer macht.« Inugami mustert Rem von Kopf bis Fuß, während er spricht. Dann sieht er ihr wieder ins Gesicht und grinst. »Was ich echt cool finde. Übrigens, bist du noch mit Kurosawa zusammen?«
»Urg, flirtest du mit ihr?« Shiroma verzieht das Gesicht. »Nur weil das ein Klassentreffen ist, musst du nicht geistig wieder zum Teenager werden.«
Rem stört Inugamis Frage sehr viel weniger, als sie erwartet hat. Was, wie sie feststellt, daran liegt, dass sie Kosuke völlig vergessen hat. Aber sie erwartet auch nicht, dass er auftaucht.
»Aber er hat recht. Wo ist Kurosawa? Warum kommst du allein? Ist er krank geworden?« Shiroma sieht wieder zu Rem.
Rem runzelt die Stirn. »Wir sind kein Paar mehr, also habe ich keine Ahnung.« Daraufhin machen beide ein verdutztes Gesicht.
»Eh? Ihr habt euch getrennt? Ich dachte, ihr seid bestimmt verheiratet oder so«, sagt Inugami und schürzt die Lippen.
»Waaas? Seit wann? Asami hat gesagt, er hat ihr deine Nummer gegeben. Seit ihr in so eine On-Off-Phase?«
Rem seufzt. »Nicht wirklich. Übrigens, wo ist Asami?«
»Aw, versuch nicht, das Thema zu wechseln und abzuhauen.« Shiromas Augen glitzern mit aufgeregter Neugier, während sie Rem am Arm festhält. »Du und Kurosawa wart so ein perfektes Paar.«
»Tja, nicht alles hält ewig«, sagt Inugami und zuckt mit den Schultern.
»Ew, versuchst du schon wieder, sie anzumachen?« Shiroma hält sich eine Hand vor den Mund und Inugami verzieht das Gesicht. »Ich hab nur gesagt, nichts hält ewig. Du bist diejenige, die sich zu sehr einmischt.«
»Ich habe nur eine Frage gestellt. Du hast mit Kurosawa angefangen.«
»Nein, Inugami hat recht. Kurosawa und ich haben nichts mehr miteinander zu tun und mehr müsst ihr nicht wissen. Entschuldigt mich.« Sie wartet nicht auf eine Antwort und geht an Inugami vorbei auf die Mitte des Raumes zu. Es ist eigenartig, Kosuke wieder mit seinem Nachnamen anzureden, aber so lange sie hier ist, sollte sie das wohl besser tun.
»Aozora! Wie schön, dass du kommen konntest!«
Rem findet Asami in der Nähe des Buffets, wo sie sich mit zwei ihrer Klassenkameraden unterhält.
»Du erinnerst dich doch noch an Umesaka und Soma?«
Rem nickt mit einem Lächeln, wobei sie vor allem Umesaka ansieht. In ihrer Schulzeit haben sie und Kaho Umesaka viel Zeit miteinander verbracht und sie war einer der Gründe, warum Rem herkommen wollte.
»Rem!« Kaho kommt ihr entgegen und nimmt Rems Hände in ihre. »Es ist so schön, dich wiederzusehen!«
»Finde ich auch. Es ist schade, dass wir uns aus den Augen verloren haben.«
Kaho nickt eifrig. »Ich weiß gar nicht, wie das passiert ist! Du musst mir deine Nummer geben.«
Asami klatscht in die Hände. »Genau aus diesem Grund gibt es Klassentreffen. Sag auch etwas, Soma!« Sie stupst Soma an. »Aozora hat dich bestimmt nicht wiedererkannt, weil du so ein Emo warst.«
Rem richtet ihren Blick auf Soma, der genervt die Augen verdreht. »Doch, natürlich erkenne ich ihn wieder. Du hast dich nicht sehr verändert, Soma.«
»Wow, wirklich?« Soma sieht nicht begeistert aus. »Ich hatte lange Haare und habe Eyeliner benutzt.«
Rem zuckt mit den Schultern. »Und ich hatte immer einen Zopf und habe mich nie geschminkt. Sehe ich so anders aus?«
Er mustert sie einen Moment. »Ja«, sagt er dann.
»Wirklich?«, fragt Rem mit gerunzelter Stirn. Kosuke hat immer gesagt, sie hätte sich seit der Schule nicht verändert.
Kaho legt den Kopf schief. »Jetzt, wo ich darüber nachdenke, Rem fand dich nie komisch, Soma.«
»Stimmt, sie hat dich wie alle anderen behandelt.« Asami nickt zustimmend.
»Könnt Ihr aufhören, so zu tun, als wäre ich Teil einer anderen Spezies?«
»Wieso ist das unsere Schuld?« Kaho hebt fragend die Hände. »Du hast dich benommen, als wärst du Teil einer anderen Spezies.«
»Ich glaube, er war ein Fan von diesen Filmen über Aliens oder so«, sagt Rem und da sie Kosuke und seine Begeisterung für Mangas kannte, hatte sie Somas Verhalten nicht als eigenartig empfunden.
»Es waren Mutanten, keine Aliens«, verbessert Soma.
Rem nickt. »Wolltest du nicht Drehbuchautor oder so etwas werden?«
»Ja, aber am Ende bin ich ein stinknormaler Büromensch geworden.« Er schnaubt.
»Hast du nicht vorhin gesagt, dass du sehr zufrieden mit deinem Job bist?«, fragt Kaho.
»Bin ich, aber nur weil die Bezahlung gut ist und ich Geld für meine Familie brauche.«
»Oh, steckst du in Schwierigkeiten?«, fragt Asami, aber Soma schüttelt den Kopf. »Nein, aber wir sparen für ein Haus.«
»Wir?« Asami lehnt sich neugierig vor. »Wer ist wir, wenn ich fragen darf?«
»Meine Frau und ich.«
»Woah, du bist verheiratet?« Asami sieht ihn mit großen Augen an und auch Kaho sieht aus, als hätte sie das nicht erwartet.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagt Rem, der sein Ring aufgefallen ist. »Du bist außerdem Vater, oder?«
»Eh?«, macht Asami und auch Soma sieht Rem überrascht an. »Woher weißt du das?«
»Du bist jung verheiratet und sparst auf ein Haus. Ist das nicht naheliegend?«
»Ah, Rem macht wieder ihr Rem-Ding«, sagt Kaho.
»Stimmt, Aozora hat schon früher solche Dinge bei anderen Leuten bemerkt.« Asami hebt einen Finger und deutet damit auf Rem.
»Und sie hat sie immer zum falschen Zeitpunkt aufgedeckt«, sagt Soma, woraufhin Asami und Kaho lachen.
Rem mustert Soma. »Hätte ich dein Kind nicht erwähnen sollen?«
Daraufhin lacht auch er, aber er schüttelt den Kopf. »Nein, alles gut. Mein Sohn ist kein Geheimnis.«
»Ahh, du hast einen Sohn!« Asami quietscht, als wollte sie wiedergutmachen, dass sie zuvor nicht auf Somas Kind reagiert hat. »Wie heißt er? Hast du Bilder?«
»Rem?« Kaho legt Rem eine Hand auf den Arm, während Asami sich über Somas Handy beugt. »Asami hat mir gesagt, du und Kurosawa seid getrennt.«
Rem runzelt über die plötzliche Erwähnung von Kosuke die Stirn, nickt aber. »Ja, aber das ist jetzt schon fast zwei Jahre her«, sagt sie, in dem Versuch, die Angelegenheit unbedeutend erscheinen zu lassen.
»Und es gibt kein böses Blut zwischen euch?«
»Wieso fragst du?«
Kahos Augen huschen an Rem vorbei. »Na ja, es kann komisch werden, wenn man auf einer Feier ist, zu der der Ex auch eingeladen ist.«
»Schon gut.« Rem winkt ab, auch wenn sie überrascht ist, dass Kosuke zweimal so schnell zu Sprache gekommen ist. Aber da jeder hier weiß, dass sie und Kosuke mal ein Paar waren, wird die Frage wohl noch öfter aufkommen. »Ich glaube nicht, dass er kommt.«
Kahos Blick richtet sich wieder auf Rem. Sie kneift die Augen leicht zusammen, während sie Rem mit einem fast schon bedauernden Blick ansieht. »Ich denke, das ist er schon.«
Rem blinzelt. »Was?«
Kahos Blick huscht erneut an ihr vorbei, dort, wo der Eingang zum Wintergarten ist. »Er ist gerade zur Tür hereingekommen.«
Rem dreht sich abrupt um und starrt zur Tür. Kaho hat recht. Kosuke steht in der Tür, in einem Jackett, das Rem noch nie gesehen hat, einem Hemd, dessen obere Knöpfe offen sind, und eine schwarze Hose, an der seine Schlüsselkette hängt. Seine Haare sind wie üblich ein sorgsames Durcheinander und seine linke Hand spielt mit seinen Ohrringen, als sein Blick über die Anwesenden schweift. Er erreicht Rem und die Hand an seinem Ohr hält inne, während er zu ihr herüberstarrt.
Rem beißt sich auf die Lippe. Der Abend wird wohl turbulenter, als sie erwartet hat.
Rem nimmt den Blick von Kosuke und lächelt Kaho an. »Das wird schon. Der Wintergarten ist groß genug, um Kurosawa zu meiden.«
Kahos Augen weiten sich. »Um ihn zu meiden? Dann gibt es böses Blut?«
»Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber wie du gesagt hast: Mit dem Ex auf derselben Party zu sein, ist unangenehm«, antwortet Rem und versucht dabei, so gelassen wie möglich zu klingen. »Ich will einfach nicht, dass Gerede über unsere Trennung den Abend verdirbt.«
»Es war also eine unschöne Trennung«, stellt Kaho vage fest, während sie Rem beobachtet, wohl um einzuschätzen, wie sehr sie nachhaken darf.
Rem schnaubt leise. »Wann ist eine Trennung nicht unschön?«, murmelt sie, während sie überlegt, wie sie das Thema wechseln soll.
In diesem Moment hakt Kaho sich bei ihr unter. »Dann lass uns nicht darüber reden und stattdessen trinken. Wir sind in einem Luxushotel und es gibt Champagner, also lass uns trinken und so tun, als wären wir extrem erfolgreich und wohlhabend.«
Rem blinzelt verdutzt und sieht Kaho an, eine Frau von kaum 1,50 m Größe, die gerade einen so selbstgefälligen Blick aufsetzt als gehöre ihr das Hotel. Rem prustet.
»Auch wenn ich das wahrscheinlich bereuen werde, wenn wir die Rechnung bekommen. Ein Klassentreffen in einem Luxushotel ist so eine Shiroma-Idee, aber jetzt, wo ich hier bin, muss ich zugeben, dass es eine Erfahrung wert ist. Sonst hätte ich wahrscheinlich nie ein Luxushotel von Innen gesehen.« Kaho führt Rem zu dem Tisch, auf dem die Champagnergläser stehen und Rem nimmt sich eins. »Sag das nicht. Du weißt nicht, was alles passieren kann.« Rem ist froh über den Themenwechsel, gleichzeitig muss sie daran denken, dass das Luxushotel, von dem Kaho so ehrfürchtig spricht, der Familie ihres Freunds gehört. Aber das sollte sie vorerst auch vor Kaho geheim halten.
»Ich habe auch gedacht, dass es ein bisschen übertrieben für ein Klassentreffen ist«, sagt sie und lässt den Blick über den Raum huschen. »Aber es war eine gute Idee, diesen Wintergarten zu mieten. Dadurch sind wir ungestört.«
»Wir stören die anderen Gäste nicht, meinst du«, erwidert Kaho mit einem Grinsen. »Hast du Inugami gesehen? Er sieht jetzt anständiger aus, aber ich wette, er hätte es geschafft, sich aus dem Hotel werfen zu lassen.«
Rem öffnet den Mund, schließt ihn dann aber wieder. Es stimmt, dass Inugami während ihrer Schulzeit mehrmals in Schwierigkeiten geraten ist. Aus Rems Sicht, weil er Dinge tat, ohne vorher darüber nachzudenken und sie kann sich sehr gut vorstellen, dass er etwas tut, das das Emerald nicht gewöhnt ist. »Das kann er immer noch und es würde ihn weniger stören als uns.«
Kaho kichert. »Wieso hört sich das so an, als würdest du von jetzt an ein Auge auf ihn haben, um ihn vor einer Dummheit zu bewahren?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil du schon immer so warst.« Kaho zuckt mit den Schultern. »Weißt du noch, wie du über ihn geschimpft hast, weil er mit seinem Unfug die ganze Klasse aufgehalten hat? Und dann hast du es auf dich genommen, ihn im Auge zu behalten. Sehr zu seiner Schande.« Sie lacht.
Rem lächelt ebenfalls. Wenn sie jetzt darüber nachdenkt, konnte Inugami sie in der Schule wahrscheinlich nicht leiden. Aber sie erinnert sich auch sehr gut daran, wie genervt sie von ihm war. Dabei war ihr Eindruck von ihm vorhin gar nicht so schlecht. »Ich denke, er - «
»Ihr habt euch wirklich getrennt?!« Shiromas laute Stimme unterbricht Rem und es wird ruhiger im Wintergarten, als sich alle Aufmerksamkeit auf Shiroma richtet.
Rem legt die Stirn in Falten, als sie sieht, das Shiroma bei Kosuke steht.
»Schrei doch noch lauter«, sagt er, nicht halb so laut wie sie, aber da nun alle ihrem Gespräch zuhören, laut genug. »Ich glaube, nicht jeder in diesem Hotel hat dich gehört.«
»Sei doch nicht so. Ich war nur überrascht.«
»Wirklich? Rem ist schon hier und sie hat es bestimmt erwähnt, so neugierig wie du bist.« Er schüttelt den Kopf und will an ihr vorbeigehen.
»Hey, na und? Bist du jetzt wirklich wütend deswegen?« Shiroma lacht ungläubig. Es ist eine ihrer Taktiken, wann immer sie jemanden wütend macht, es so aussehen zu lassen, als würde dieser Jemand völlig überreagieren.
Und Kosuke, der keine Begabung für soziale Interaktion besitzt und Aufmerksamkeit meidet, kann Shiroma nicht mehr entgegensetzen als wütende Blicke.
Rem erinnert sich, dass Shiroma und Kosuke in der Schule häufiger aneinandergeraten sind, weil Shiroma Rem nie leiden konnte und Kosuke Rem vor ihr verteidigt und Shiroma ihre Wut auf Rem an Kosuke ausgelassen hat. Das Problem ist, dass sich Rem, wann immer sie die beiden hatte streiten sehen, auf Kosukes Seite gestellt hat und daran erinnert sich nicht nur sie.
Rems Zähne graben sich in die Innenseite ihrer Lippe, als sich mehrere Augenpaare erwartungsvoll auf sie richten. Auch Kosuke und Shiroma sehen sie an, wobei Shiroma ein provokantes Lächeln auf den Lippen hat, während Kosuke nicht so recht zu wissen scheint, was für ein Gesicht er machen soll.
»Oh mein Gott! Das ist Yuji Sawada!«
Rem blinzelt verdutzt und sieht zu der Sprecherin, die in den Garten hinaus zeigt. Und tatsächlich schlendert dort Yuji entlang, allein und gekleidet in einen feinen Anzug, als hätte er ein Meeting hinter sich.
»Wer?«
»Kennst du ihn nicht? Er spielt in dieser neuen Serie die Hauptrolle und er ist so heiß!«
Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf den Garten. Sogar Shiroma vergisst Kosuke und geht auf die Fenster zu. »Wow, er ist es wirklich! Wir haben schon zusammengearbeitet. Ich meine, er hat für Asuka gemodelt, wo ich arbeite.«
Asuka ist eine bekannte Modemarke, weshalb Shiroma so stolz klingt. Und es war bestimmt keine Kleinigkeit, den Job zu bekommen. Es würde Rem nicht wundern, wenn Shiroma mehr verdient als sie.
»Was glaubt ihr, wie viele Stars hier noch herumlaufen? Es war so eine geile Idee, unser Klassentreffen hier zu feiern.«
Rems Augen folgen Yuji und sie fragt sich, was er hier macht. Seine Karriere hat eine aufwärts Kurve gemacht, nachdem er und Kohei sich angefreundet haben, was ihm dabei geholfen hat, als Schauspieler einen Fuß in die Tür zu bekommen. Etwas, das Yuji viel bedeutet hat, da er, wie er gesagt hat, nicht ewig als Model arbeiten kann. Es ist vielleicht keine unberechtigte Sorge, aber für Yuji kommt sie doch recht früh.
»Es stimmt, ich hab die Serie auch gesehen«, sagt Kaho mit ehrfürchtig gesenkter Stimme. »Ich bin kein Fan, aber den Hauptdarsteller in real life zu sehen ist cool.« Sie ist dabei in ihrer Tasche zu kramen, wohl um ihr Handy herauszuholen und ein Foto zu machen, so wie schon einige andere es tun.
Rem sagt nichts. Wenn Yuji ausgerechnet im Emerald ist, dann ist es naheliegend, dass es etwas mit Kohei zu tun hat. Vielleicht hat Kohei ein Treffen mit irgendwelchen Produzenten oder Regisseuren für ihn in die Wege geleitet, was für Yuji große Bedeutung hätte. Das Letzte, was er braucht, sind ein Haufen Fremder, die ihn fotografieren und ablenken, während er sich konzentrieren muss.
Yuji hat bereits gemerkt, dass er fotografiert wird und da sein höfliches Lächeln nicht gerade dabei hilft, ihre Klassenkameraden davon abzuhalten, in den Garten hinauszugehen und ihn anzusprechen, überlegt Rem, wie sie von Yuji ablenken kann. Aber in diesem Moment richtet sich sein Blick auf sie.
Er bleibt sofort stehen und seine Augen weiten sich, bevor er einen Arm in die Luft hebt und ihr mit einem strahlenden Lächeln zuwinkt.
Rem starrt ungläubig zurück.
»Eh? Wem winkt er zu?«
»Ist das Fanservice?«
Rem lächelt und hebt unauffällig die Hand. Würde jemand merken, dass Yuji ihr zu winkt, würde das dem Gerede über ihre Trennung von Kosuke nur Nahrung geben. Doch Yuji scheint ihren Gruß als Einladung zu sehen hereinzukommen, denn er geht auf die Glastür zu, die in den Wintergarten führt und öffnet sie. »Nee-san!«, ruft er und kommt auf sie zu gelaufen. »Was für ein Zufall! Was machst du hier?«
Alle Blicke richten sich auf Rem.
»Du kennst ihn?«, wispert Kaho mit ungläubiger Stimme, während Yuji weiter auf sie zukommt, als würde er nichts davon merken.
»Wir haben mal zusammengearbeitet«, sagt Rem, ohne den Blick von Yuji zu nehmen. Shiroma hat vorhin dasselbe behauptet, also sollte es nicht allzu große Wellen schlagen.
»Und wieso nennt er dich ‚Nee-san‘?«
Oder vielleicht schlägt es ein paar kleine Wellen. Rem stellt ihr Champagnerglas ab. Es ist jetzt eine Weile her, dass Yuji das O aus Onee-san gestrichen hat und seitdem klingt die Anrede sehr viel natürlicher, so als hätte er Rem als seine echte Schwester adoptiert. Was sie, in Anbetracht dessen, was Kohei ihm ermöglicht hat, nicht wundert. Und offenbar hat Kohei darüber hinaus auf ihn abgefärbt.
»Hallo Yuji. Ich wusste nicht, dass du hier bist«, sagt Rem, den Blick fest auf Yuji gerichtet.
Aber wenn er davon eingeschüchtert ist, zeigt er es nicht. Er lacht sogar fröhlich und hakt sich bei Rem unter. »Senpai hat so ein Treffen für mich organisiert, deswegen bin ich hier«, erklärt er und hebt dann seine freie Hand, um sie an seinen Mund zu halten. »Ich verstecke mich«, flüstert er Rem zu.
Rem runzelt die Stirn. Yuji ist niemand, der sich verstecken würde, schon gar nicht, nachdem Kohei ein Treffen mit sicherlich wichtigen Menschen organisiert hat.
»Oho, ich verstehe, weshalb du dich von Kurosawa getrennt hast, Aozora.«
Rem richtet ihren Blick auf Shiroma, die nur sehr schlecht ein Grinsen hinter ihrer Hand verbirgt. »Pass auf, was du sagst«, sagt Rem mit einem frostigen Blick auf Shiroma. »Solche Andeutungen könnten Yujis Karriere schaden.«
»Im Ernst«, stimmt Yuji mit dünner Stimme zu. »Ich könnte sterben.«
Rem blinzelt und wirft ihm einen zweifelnden Blick zu.
Yuji sieht ebenfalls zu ihr. »Wenn Senpai etwas davon hört, grillt er mich.«
Rem schüttelt den Kopf und sieht wieder zu Shiroma. »Yuji und ich haben ein paar Mal zusammengearbeitet und wir kommen sehr gut miteinander aus, aber das wars.«
Yuji nickt energisch. »Nee-san ist Senpais Freundin. Ich habe zu viel Respekt und Angst vor ihm, um etwas zu versuchen.«
»Wie auch immer«, sagt Rem, der es nicht gefällt, dass Yuji Kohei immer wieder in die Unterhaltung bringt. »Du solltest dich nicht vor wichtigen Treffen verstecken.«
»Ach was, das ist schon vorbei.« Er wedelt abtuend mit der Hand. »Ich verstecke mich nur vor dieser Frau, die mich unbedingt zu einem Drink einladen will.«
Rems Augen schmälern sich.
Asami, die plötzlich wieder neben Rem steht, räuspert sich und Rem beschließt, es vorerst gut sein zu lassen. Zumal um sie herum wieder die Gespräche einsetzen, auch wenn noch immer viel Aufmerksamkeit auf Yuji liegt. Sie deutet auf Asami und Kaho. »Das sind meine Schulfreundinnen, Miyako Asami und Kaho Umesaka.«
»Schön euch kennenzulernen, Nee-sans Schulfreundinnen«, sagt Yuji mit einem fröhlichen Grinsen.
Asami kichert. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich heute Abend jemand Berühmtes treffe. Würdest du mir ein Autogramm geben?«
Yuji blinzelt. »Eh? Ein Autogramm? Von mir?«
Rem runzelt die Stirn. »Yuji?«
Er hebt mit einem unbeholfenen Lachen die Hände. »Das ist kein Nein, ich bin nur überrascht, dass jemand nach meinem Autogramm fragt.«
»Bist du das nach deinem Schauspieldebüt nicht gewohnt?«, fragt Rem, die weiß, dass er in mehreren Shows mit Unmengen von Fans war, um seine erste Serie zu promoten.
Er sieht sie unsicher an. »Nein?«
Rem mustert ihn. Sie weiß nicht, ob er es absichtlich tut, aber seine unbeholfene Reaktion lässt ihn sympathisch und nahbar wirken. Sie zieht einen Stift aus ihrer Handtasche und hält ihn Yuji hin.
»Um, danke Nee-san.«
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«, fragt Kaho, eher an Rem gewandt, während Yuji Asami ihr Autogramm gibt.
»Einer meiner Klienten hat Yuji für ein Projekt angeheuert. Danach habe ich ihn in meine Kartei aufgenommen und ein paar Mal vermittelt.«
»Als was arbeitest du nochmal?«, fragt Kaho mit einem entschuldigenden Lächeln.
»Ich bin Werbeagentin.«
»Ohne Nee-san hätte ich nie so viele Jobs bekommen. Sogar meine erste Rolle als Schauspieler habe ich ihr zu verdanken«, sagt Yuji und strahlt Rem an, während er ihren Stift zurückgibt.
»Hast du Beziehungen zur Filmbranche?«, fragt Kaho mit einem beeindruckten Blick auf Rem, aber die schüttelt den Kopf. »Das war ich nicht.«
»Senpai hat mir geholfen«, sagt Yuji und Asami und Kaho sehen wieder ihn an.
»Oh ja!«, sagt Asami und ihre Augen blitzen neugierig. »Aozoras Freund, von dem sie noch gar nichts erzählt hat. Er hört sich nach einem einflussreichen Mann an.«
»Er ist ein Kollege von mir«, sagt Rem hastig, bevor Yuji antworten kann. »Er hat auch mal gemodelt, daher hat er ein paar Beziehungen.«
Asamis Augen weiten sich. »Du bist mit einem Model zusammen?!«
»Früheres Model«, sagt Rem, auch wenn Kohei technisch gesehen noch für Noué modelt.
»Oh, kann es sein, dass du auf ältere Männer stehst, Aozora?«, ertönt Shiromas Stimme, bevor sie sich zu ihrer Gruppe gesellt, als wären sie gute Freunde. Sie schenkt Rem ein falsches Lächeln. »Das passt zu dir. Du warst schon immer reifer als alle anderen.«
Rem ist nicht unbedingt glücklich über Shiromas Einmischung, aber die Art, wie Shiroma sie ansieht, ist ihr vertraut. Schon in ihrer Schulzeit hat Shiroma öfter versucht, einen Streit mit Rem anzufangen und obwohl Rem genervt von ihr war, schien das nichts im Vergleich zu Shiromas Wut auf Rem zu sein. Und wie damals fragt Rem sich, was genau sie getan hat, um Shiroma zu verärgern.
»Er ist tatsächlich etwas älter als ich«, antwortet Rem beiläufig, bevor sie sich an Yuji wendet. »Warst du nicht auf dem Weg irgendwohin?«
Yuji, der Shiroma mit einem nachdenklichen Ausdruck gemustert hat, richtet seinen Blick auf Rem. Das Lächeln kehrt auf seine Lippen zurück. »Nö. Mein Meeting ist vorbei und ich bleib die Nacht über hier.«
Rems Augen schmälern sich.
»Hey, hast du Lust mit uns zu essen?«, fragt Asami. »Ich glaube nicht, dass jemand ein Problem damit hätte, oder Shiroma?«
»Aber klar doch. Eine Person mehr oder weniger sollte für ein Luxushotel zu schaffen sein«, antwortet Shiroma und diesmal kann Rem gar nicht sagen, ob sie es ernst meint oder nicht.
Yuji grinst. »Wow! Vielen Dank für die Einladung!«
»Das ist sehr nett, aber ich muss vorher etwas mit Yuji besprechen«, sagt Rem und zieht an Yujis Arm, den er immer noch bei ihr untergehakt hat.
»Oh, sicher«, sagt Asami mit einem eigenartigen Blick auf Rem, während Shiroma ein Schnauben von sich gibt.
Kaho runzelt lediglich die Stirn.
»Okay!«, sagt Yuji enthusiastisch und lässt sich von Rem in eine Ecke ziehen, in der sie außer Hörweite der anderen sind.
»Kohei hat dich hergeschickt, stimmts?«
Er blinzelt. »Ja, ich hab doch gesagt, er hat ein Treffen für mich organisiert.«
Rem schüttelt den Kopf, noch bevor er geendet hat. »Nicht für ein Treffen, sondern um mich zu überwachen.«
»Was? Wieso?« Yuji hebt überrascht die Brauen. »Wieso sollte er das tun?«
»Weil er Kohei ist.«
Yuji hat bereits den Mund zu einer Antwort geöffnet, aber dann nickt er einfach. »Gut, aber ich würde das nicht tun.«
»Doch würdest du, wenn er dir dafür ein unwiderstehliches Angebot macht.«
Yuji zieht einen Flunsch. »Wie kannst du das denken, Nee-san? Ich dachte, du kennst mich.«
Rem schnaubt leise und verschränkt die Arme vor der Brust. »Oh, ich kenne dich gut genug. Zum Beispiel weiß ich, dass du nicht unsensibel genug bist, um dich in eine private Party einladen zu lassen, nachdem du viel zu offensichtlich Zuneigung zu mir gezeigt hast, ohne dabei an deine Karriere zu denken, oder um mehrmals meinen Freund zu erwähnen, in dem Wissen, dass ich nicht gerne über mein Privatleben rede.«
Yuji sagt nichts. Er hat die Lippen eingezogen und sieht Rem mit einem äußerst schuldbewussten Blick an.
Rem hebt auffordernd eine Braue.
»Haha!« Yuji lacht nervös und reibt sich den Hinterkopf. »Ich dachte immer, ich bin gut im Lügen. Du bist wirklich wie eine Schwester, Nee-san.«
»Was hat Kohei dir gesagt?«, fragt Rem unbeeindruckt, während sich wieder dieses Gefühl der Machtlosigkeit in ihr ausbreitet. Sie kann sich denken, weshalb Kohei sich Sorgen um sie gemacht hat, aber er hätte ihr sagen können, dass er Yuji schickt.
»Dass dein Ex heute hier sein könnte und dass ich ein Auge auf ihn haben soll, falls du mit ihm reden willst.«
Rem blinzelt. »Falls ich mit ihm reden will?« Sie hätte gedacht, Kohei würde versuchen, Kosuke von ihr fernzuhalten.
Aber Yuji nickt. »Er hat gesagt, dass du deinem Ex ein paar Dinge zu sagen hast und dass du danach vielleicht jemanden brauchst, auf den du dich verlassen kannst.«
»Das hat er gesagt?«, fragt Rem ungläubig. Es passt nicht zu Kohei, einen Mann wegen dem er schon ein paar Mal eifersüchtig war, zu ihr zu schicken, damit sie sich auf ihn ‚verlassen‘ kann.
»Sinngemäß«, räumt Yuji ein. »Immerhin bin ich sehr verlässlich.«
Rem spürt, wie sie lächeln muss, als sie Yujis stolzen Ausdruck sieht. Er scheint geschmeichelt davon zu sein, dass Kohei ihn um Hilfe gebeten hat. »Aber wenn das alles ist, hättet ihr mir das sagen können.«
Yuji zuckt mit den Schultern. »Senpai hat gesagt, du würdest das sagen. Und er hat gesagt, ich soll dir sagen, dass du mich davon abgehalten hättest herzukommen, um alles allein zu regeln und im Stillen zu leiden. Und das soll man nicht machen.«
Rems Augen weiten sich etwas. Etwas Ähnliches hat sie vor nicht allzu langer Zeit zu Kohei gesagt, weil sie weiß, dass er in Bezug auf ihren Vater viel zurückhält.
Sie legt die Stirn in Falten und räuspert sich, während sich eine kribbelnde Wärme in ihrer Brust ausbreitet. Wie soll sie jetzt noch wütend auf Kohei sein?
Kohei verlässt das Restaurant mit guter Laune. Mr. Aozora war grummelig bis zum Schluss, aber Kohei hat es geschafft, heimlich die Rechnung zu bezahlen und das gibt ihm wenigstens in dieser Hinsicht das Gefühl, gewonnen zu haben.
Auf dem Weg zu seinem Auto holt er sein Handy hervor, das er für sein Gespräch mit Mr. Aozora auf lautlos gestellt hat. Er hat zwei Nachrichten bekommen. Eine von Rem und eine von Yuji und ohne sie lesen zu müssen, weiß er, dass Yuji aufgeflogen ist.
>Nee-san hat mich sofort durchschaut T_T<, schreibt Yuji. >Aber ich wurde eingeladen und darf bleiben \(^o^)/ Und du hattest recht. Ihr Ex ist hier.<
Kohei legt die Stirn in Falten, als er Yujis mit Smileys gespickte Nachricht liest. Er weiß, dass Rem davon ausgegangen ist, dass ihr Bettler-Ex nicht auftauchen würde, aber Kohei hat befürchtet, dass er sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würde. Und er würde lügen, würde er behaupten, er hätte nicht in Erwägung gezogen, dem Kerl Hausverbot im Emerald zu erteilen, Rems Verbot, sich einzumischen, zum Trotz. Aber dann musste er an Rems Gesicht denken, als sie von dem Besuch erfahren hat, den Kohei ihrem Ex abgestattet hat. Es klang, als hätte sie noch einige Dinge zu ihm zu sagen, Dinge, die sie belasten.
So sehr er den Gedanken hasst, ihn in Rems Nähe zu lassen, er will Rem nicht die Möglichkeit nehmen, ihn ein für alle Mal loszuwerden.
Er öffnet Rems Nachricht: >Ich weiß, dass du Yuji geschickt hast und wenn es noch mehr gibt, das ich wissen sollte, sag es gleich!< Das Ausrufezeichen soll wohl unterstreichen, dass es ihr ernst ist, aber er kann nicht anders, als zu lächeln, als er an Rem denkt und wie sie ihn mit einem strengen Blick ansieht. Außerdem weiß er, dass sie nicht zu lange böse mit ihm sein kann, wenn er ihr von seinem Gespräch mit ihrem Vater erzählt.
>Ich fahre jetzt ins Emerald, dann kannst du jederzeit zu mir kommen und mich zur Schnecke machen<, schreibt er Rem, in dem Wissen, dass sie das nicht tun wird.
Und ihre Antwort kommt noch bevor er den Motor seines Wagens starten kann: >Wie ist es gelaufen?<
Er lächelt, als der Gedanke, dass Mr. Aozora ihn immer noch nicht leiden kann, in den Hintergrund rückt. Das Gespräch hat nicht damit geendet, dass Rems Vater ihn gebeten hat, sich von seiner Tochter fernzuhalten, und das ist es, was zählt. >Es ist alles in Ordnung. Ich erzähle es dir später<, schreibt Kohei und es fühlt sich an, als würde eine Last von ihm fallen, die sich in den letzten Wochen leise und kontinuierlich aufgebaut hat.
>Das freut mich. Bei mir dauert es noch eine Weile. Ein, zwei Stunden vielleicht, aber ich will alles hören. Ich schreibe dir, wenn der Nachtisch gegessen ist.<
Kohei gluckst, denn er kann in Rems Nachricht nicht mehr einen Hauch von Ärger lesen. Entgegen dem, wie sie manchmal wirkt, kann Rem sehr inkonsequent sein, wenn es darum geht, wütend auf ihn zu sein.
Er will sein Handy wegstecken, um loszufahren, aber dann ändert er seine Meinung und wählt eine Nummer.
»Yo, Kohei! Was gibts?«, ertönt Tomodas Stimme, nachdem es ein paar Mal geklingelt hat.
»Du klingst, als hättest du nichts zu tun«, sagt Kohei, da Tomoda dazu neigt, sein Handy zu überhören, wenn er beschäftigt ist.
»Doch, ich warte darauf, dass Hikari mich anruft, damit wir zocken können. Sie hat heute irgendwas mit einer Freundin gemacht.«
»Gut, dann kannst du ins Emerald kommen und mit mir trinken.«
»Und wenn Hikari anruft, sage ich ihr was? Ich hab sie den ganzen Tag nicht gesehen, Mann.«
»Dass du im Emerald eine Suite gebucht hast, damit ihr ein offline Date haben könnt und du sie nicht nur virtuell siehst.«
Daraufhin ist es einen Moment still. »Du spielst also wieder die Ich-bin-stinkreich-Karte, ja? Wieso willst du überhaupt, dass ich ins Emerald komme?«
»Weil ich dort auf Rem warten muss und mir sonst langweilig ist.«
»Wow, du bist so ein verzogen-«
»Du bezahlst keinen Cent.«
»...guter Freund! Ich bin schon auf dem Weg.«
Kohei schnaubt und legt mit einem Kopfschütteln auf. Jemand hatte mal ihm gegenüber erwähnt, dass gute Freunde nicht bestechlich sind, aber das ist nicht wahr. Alle Menschen sind bestechlich und Kohei ist es lieber, wenn sie keinen Hehl daraus machen. Insbesondere, da es in seiner Position sehr hilfreich ist, dass Leute so bestechlich sind.
Er kommt vor Tomoda im Emerald an, was wohl daran liegt, dass Tomoda sich herausgeputzt hat, sodass Kohei bereits mit einem Drink an der Bar sitzt.
»Also, wieso wartest du ausgerechnet im Emerald auf Ms. Aozora? Ich dachte, sie mag es nicht so gern, wenn du mit deinem Geld prahlst.«
»Wer prahlt? Ich sitze hier nur.«
»Sagt der Kerl, der eine Suite für mich und meine Freundin reserviert hat, damit ich ihn unterhalte.«
»Das ist nicht Prahlen, sondern Bestechen.«
»Wenn du das sagst«, erwidert Tomoda schulterzuckend, während er sich neben Kohei an die Bar setzt. »Martini«, sagt er zu dem Barkeeper.
»Rems Klassentreffen findet hier statt«, sagt Kohei, mit einem amüsierten Blick auf Tomoda, der für gewöhnlich nur Bier bestellt, es sei denn sie sind in einem hochklassigen Restaurant und Kohei bezahlt.
»Sie hat hier ein Klassentreffen? Wusste gar nicht, dass sie auf einer Nobelschule war.«
»War sie nicht, aber eine ihrer Klassenkameradinnen hat wohl einen Freund, der hier arbeitet und ihnen einen Rabatt gibt.«
Tomoda runzelt die Stirn. »Ich krieg eine Suite, aber deine Freundin muss sich auf den Rabatt von dem Freund einer ehemaligen Klassenkameradin verlassen? Hattet ihr Krach oder warum bist du so geizig?«
Kohei schnalzt verärgert mit der Zunge. »Sie hat mir verboten, mich einzumischen, klar?«
Tomoda schürzt die Lippen und Kohei richtet seinen Blick auf seinen Gin Tonik, um den bedauernden Blick in Tomodas Augen nicht sehen zu müssen.
»Pft, klar. Muss echt hart sein, wenn du Ms. Aozora nicht mit deinem Geld beeindrucken kannst. Aber ich frag mich, wie sie in der Schule war. Bestimmt eine Streberin.«
Kohei wirft Tomoda einen missbilligenden Blick zu, aber er hat recht. »Rem ist nicht so leicht zu bestechen wie du, was eine gute Eigenschaft von ihr ist. Und sie ist immer noch eine Streberin.«
»Stimmt und ich frag mich bis heute, wie du sie rumgekriegt hast. Oh, danke.« Das letzte richtet sich an den Barkeeper, der den Martini vor Tomoda abstellt.
Kohei lacht. »Wenn überhaupt hat sie mich rumgekriegt.«
Tomoda hebt die Brauen. »Jetzt, wo du es sagst, das macht mehr Sinn. Ms. Aozora ist nicht der Typ, der jemanden für zwei Jahre im Stillen anhimmelt.«
»Ich habe sie nicht zwei Jahre im Stillen angehimmelt!«
»Wer hat denn von dir geredet?« Tomoda grinst Kohei über den Rand seines Glases zu, während er ihm zuprostet.
Kohei spürt, wie eine seiner Augenbrauen zu zucken beginnt. »Zu deiner Information, Rem hat sich als erstes verliebt.«
»Ich verstehe nicht, weshalb du dich so standhaft weigerst es zuzugeben. Ihr seid doch eh ein Paar.«
»Es ist nicht wahr, deshalb.«
Tomoda seufzt. Er schüttelt den Kopf und trinkt noch einen Schluck Martini. Dann runzelt er die Stirn. »Ist Ms. Aozoras Ex nicht mit ihr in die Schule gegangen?«
Kohei hat das Thema zuvor nicht unbedingt gefallen, aber dieses ist noch schlimmer. »Ja. Und?«
Tomoda zuckt mit den Schultern. »Na ja, ich dachte nur, dass es dich vielleicht stört.«
Es wäre eine Lüge zu behaupten, das täte es nicht. Kohei weiß, dass Rem auf sich aufpassen kann. Dass sie einen standhaften Charakter hat und ihrem Ex nicht verzeihen wird. Er weiß das, aber gleichzeitig weiß er, wie sanftmütig sie ist und wie sie immer versucht, das Gute in einem zu sehen. Er weiß, dass sie ihrem Ex nicht vergeben wird, aber was, wenn sie sich aussprechen und sie dem einen Schritt näher kommt. »Wieso sollte es mich stören?«, fragt Kohei in einem Tonfall, bei dem sogar er selbst hören kann, wie sehr es ihn stört.
»Wen würde es nicht stören, wenn die Freundin ihren Ex sieht?«
Kohei sagt nichts.
»Ich dachte mir schon, dass du der eifersüchtige Typ bist.« Tomoda nickt wissend. »Hat sie dir etwas über ihre Schulzeit gesagt? Hast du Bilder gesehen? Ich wette, sie sah süß aus in einer Schuluniform.«
»Tut sie«, antwortet Kohei, der sofort an Rem in der sexy Schuluniform denken muss. Das Bild hebt seine Laune unwahrscheinlich.
»Oh, dann hat sie dir Bilder gezeigt? Hatte sie schon damals diesen strengen Blick?« Tomoda lacht. »Stell dir vor, du bist Lehrer und hast eine Schülerin, die dich ansieht, als würde sie dir eine Note geben und nicht andersherum.«
Kohei runzelt die Stirn, während er sich fragt, was für ein Bild Tomoda von Rem hat. Aber dann zuckt er mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie hat mir keine Bilder gezeigt.«
»Eh? Aber du hast gerade gesagt, dass du sie in einer Schuluniform gesehen hast.« Tomoda beendet seinen Satz und dann weiten sich seine Augen.
Kohei grinst.
»Warte, willst du sagen, dass Ms. Aozora…« Er lässt den Satz in der Luft hängen und sieht Kohei bedeutungsvoll an.
»Weißt du noch, wie vor einer Weile mein Computer abgestürzt ist und ich eine wichtige Datei nicht finden konnte. Ich habe eine Nacht durchgemacht, um sie neu zu machen. Rem ist bei mir zu Hause aufgetaucht und hat...mir geholfen, die Datei wiederzufinden.«
Tomoda blinzelt. »In einer Schuluniform?«
»Du wärst überrascht, wie effektiv das ist.« Kohei würde gerne mehr damit prahlen, was für eine tolle Frau Rem ist und was sie alles für ihn tut. Aber mehr als das würde zu sehr ins Private gehen.
Zumal Tomoda auch so versteht, was Kohei sagen will. »Alter, bist du sicher, dass du das nicht nur geträumt hast?«
»Neidisch?« Kohei wackelt mit den Augenbrauen. Es tut gut, mit Rem anzugeben, nachdem Tomoda ihren Ex erwähnt hat. Eigentlich tut es allgemein gut, mit ihr anzugeben. Er sollte das öfter tun.
»Nein. Hikari würde sich auch für mich verkleiden«, antwortet Tomoda etwas pampig.
Kohei lehnt sich etwas zu ihm hinüber und senkt die Stimme. »An meinem Geburtstag hat sie sich als Kitsune verkleidet.«
»Dein Ernst?«
Kohei lehnt sich mit einem Kichern wieder zurück. »Mit plüschigen Ohren und einem Fuchsschwanz. Sie sah so niedlich aus!«
»Alter, ich weiß nicht, wie du dir das verdient hast, aber dir ist klar, dass du sie heiraten solltest?«
»Ich arbeite dran.«
Tomoda schnaubt. »Was denn, schmilzt Ms. Aozora nicht dahin, wenn du ihr dein Gesicht vor die Nase hältst und ihr deine Liebe gestehst?«, säuselt er, wobei er auffällig mit den Wimpern klimpert.
Kohei legt die Stirn in Falten. Er greift sein Glas und trinkt. »Rem wäre von so etwas nicht beeindruckt.«
»Hm?« Tomoda lehnt sich über den Tresen, um Kohei ins Gesicht zu sehen. »Ich höre den Konjunktiv.«
»Denkst du wirklich, ich bräuchte Tipps, wie ich eine Frau verführe?« Kohei versucht selbstbewusst zu klingen, aber Tomodas Blick sagt ihm, wie erfolglos er damit ist.
»Offensichtlich tust du das. So wie du von ihr redest, hätte ich erwartet, dass du ihr jeden Tag sagst, was du für sie empfindest.«
»Sie weiß, was ich für sie empfinde.«
»Dann sollte es kein Problem sein, es ihr zu sagen.«
»Ist es nicht.« Er sieht Tomoda an und es ist keine Lüge. Immerhin plant er, es ihr heute zu sagen. Jetzt, wo mit ihrem Vater alles geklärt ist.
Tomoda lacht leise. »Du solltest dir über so was nicht zu viele Gedanken machen, sonst machst du eine größere Sache daraus, als es ist.«
»Ich hab gesagt, ich brauche keine Tipps.«
Tomoda zuckt mit den Schultern. »Wie du meinst. Übrigens, wo ist die Cocktailkarte? Hikari steht auf Cocktails und ich will ein paar empfehlen können, wenn sie herkommt.«
Kohei schiebt eine Karte, die auf seiner von Tomoda abgewandten Seite liegt, über den Tresen zu Tomoda. Und während sein Freund die aufgelisteten Cocktails mit dem Barkeeper durchgeht, schaut Kohei auf seinen Gin Tonik hinab.
Er macht keine große Sache daraus. Es gab nur ständig etwas, dass zwischen Rem und ihm stand, aber das ist jetzt vorbei. Er kann es ihr heute Abend sagen. Er wird es ihr heute Abend sagen!
Sein Handy klingelt und er sieht auf dem Display, dass er eine Nachricht von Yuji bekommen hat. Er runzelt die Stirn, denn er hat Yuji gesagt, dass er ihm nur schreiben soll, wenn es ein Problem gibt.
Er öffnet die Nachricht und überfliegt die Zeilen. Kälte breitet sich in seiner Brust aus, während er sein Handy so fest packt, dass es in seiner Hand zittert.
>Nee-san ist mit ihrem Ex rausgegangen, um zu reden. Sie wollte nicht, dass ich mitkomme, aber jetzt finde ich sie nicht mehr.<
»Hey, Aozora!«
Rem nimmt den Blick von Kaho und sieht mit gerunzelter Stirn zu Inugami, der eilig zu ihrem Tisch kommt. Shiroma folgt ihm in einigem Abstand und Rem, die froh darüber war, mit Kaho, Asami, Soma und Yuji zusammenzusitzen, ahnt, dass Inugami und Shiroma den Frieden an ihrem Tisch stören werden.
Die Kellner haben gerade das Geschirr vom Hauptgang abgeräumt und es wäre auch zu schön gewesen, wenn sie ohne weitere Zwischenfälle bis zum Nachtisch gekommen wären.
»Du hast wirklich keine Manieren, Inugami«, bemerkt Asami, deren Gespräch mit Yuji und Soma ebenfalls unterbrochen wurde.
Aber Inugami ignoriert sie und hält Rem ein Smartphone vor die Nase, das, gemessen an den rosa Glitzersteinen auf dessen Hülle, nicht ihm gehört. »Das bist du, oder?«
Rem wirft Shiroma einen Blick zu, die sie für die Eigentümerin des Smartphones hält, bevor sie auf den Bildschirm sieht. Darauf ist eins der Werbefotos für den Lippenstift von Syrene zu sehen, für den Yuji und Rem Model gestanden haben. »Ja. Und?« Rem sieht zu Inugami auf.
Seine Augen weiten sich. »Ich wusste es!« Er richtet sich auf und dreht sich zu Shiroma um. »Hab ichs nicht gesagt? Sie ist es!«
Shiroma legt die Stirn in Falten. »Es sieht überhaupt nicht aus wie sie.«
»Doch, voll! Ich bin an so nem Plakat mit nem Kumpel vorbeigegangen und meinte, die sieht aus wie eine alte Klassenkameradin von mir in heiß.« Inugami strahlt Rem an, als wäre das ein Kompliment.
»Wovon redet ihr da überhaupt?«, fragt Asami, die von ihrem Platz aus nicht sehen kann, was Inugami Rem zeigt.
Aber als Inugami sich ihr zuwenden will, packt Kaho sein Handgelenk. Sie ist aufgestanden und beugt sich nun mit schmalen Augen vor, um das Bild in Augenschein zu nehmen. Dann weiten sich ihre Augen. »Wow, Rem! Du hast nicht gesagt, dass du auch als Model arbeitest.«
»Tue ich nicht.«
»Was?!« Asami springt auf die Füße und umrundet eilig den Tisch. Als sie das Bild sieht, schnappt sie nach Luft. »Diese Werbung habe ich auch schon gesehen! Aber ich hab dich nicht erkannt. Diese Bilder sind immer so stark bearbeitet und wir hatten uns so lange nicht gesehen…«
»Wie kann man das nicht sehen? Sieh dir die Augen an! Das ist 100 % Aozora«, sagt Inugami und Rem fragt sich, ob sie geschmeichelt davon sein soll, dass er sie erkannt hat. Sogar einige ihrer Kollegen haben sie auf dem Bild nicht erkannt und die sehen Rem fast jeden Tag.
»Offensichtlich ist dir Aozora von uns allen am besten in Erinnerung geblieben«, sagt Shiroma mit einem Anflug von Hohn in der Stimme und einem bedeutungsvollen Grinsen auf den Lippen.
»Wie könnte ich sie vergessen, nachdem sie mich immer so vorwurfsvoll angestarrt hat? Diese Augen verfolgen mich!«
»Wirklich?«, fragt Rem, in deren Erinnerung sie Inugami nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt hat.
»Weißt du nicht mehr?« Inugami richtet seinen Blick auf sie. »Egal, was ich tun wollte, du hast mich mit diesem Blick angesehen, der sagt: Tue es und ich verpetz dich!«
Rem verschränkt die Arme vor der Brust. »Du meinst, wenn du kurz davor warst, irgendeinen Unsinn anzustellen und uns allen Ärger zu machen.«
»Genau! Woher wusstest du das immer?«
»Weil du praktisch nichts anderes getan hast.« Kaho nimmt den Blick von dem Handydisplay.
»Mh-hm«, macht auch Asami, die jedoch immer noch dabei ist, dass Werbefoto zu begutachten. »Es ist schon ein bisschen überraschend, dass du überhaupt hier bist und nicht irgendwo eingesperrt.«
Inugami macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ach was! So schlimm war ich nicht.«
Drei skeptische Augenpaare richten sich auf ihn.
»Aber jetzt erzähl doch mal«, sagt Asami dann und sieht Rem an. »Wie bist du zu diesem Job gekommen?«
»Ja, genau!«, sagt nun auch Shiroma und schenkt Rem ein falsches Lächeln. »War das bevor oder nachdem du mit Kurosawa Schluss gemacht hast?«
»Syrene ist einer meiner Kunden«, sagt Rem und sieht dabei Asami an, als hätte sie Shiroma nicht gehört. »Bei einem unserer Projekte gab es ein Missverständnis mit dem Model und damit sich das Shooting nicht in die Länge zieht, bin ich als Lichtdouble eingesprungen. Danach wurde mir der Job angeboten.« Rem fasst die Umstände so knapp und ungenau wie möglich zusammen, um Shiroma nicht noch mehr Nährboden zum Tratschen zu geben.
»Wow! Wie cool!« Kaho strahlt Rem begeistert an und auch Asamis Augen glühen vor Neugier.
Aber Shiroma schnaubt. »Quatsch. Ich arbeite auch in der Branche und sowas passiert vielleicht in einem Film, aber niemand würde einen Amateur als Model anheuern, weil er mal ein Lichtdouble war. Gibs zu Aozora, du hast mit dem Produzenten geschlafen oder so was.« Shiroma wackelt provokant mit den Brauen.
Rem unterdrückt ein Seufzen, während sie überlegt, ob es überhaupt etwas bringt, darauf zu antworten.
»Ich denke, Mr. Blake hat Nee-san ausgesucht, weil sie so professionell ist«, sagt Yuji plötzlich und seine Stimme klingt gelassen und leicht. »Bei einem erotischen Motiv denken Laien oft, dass irgendwer mit irgendwem geschlafen hat, als ob man damit zu einem guten Ergebnis käme.« Yuji sieht beim Sprechen Shiroma an, deren Grinsen daraufhin gefriert. »Dabei ist es gerade bei solchen Motiven wichtig professionell zu bleiben. Nee-san hat immer darauf geachtet, dass ich mich nicht unwohl fühle, sodass ich mich auf die Arbeit konzentrieren konnte. Ich habe nie mit jemandem zusammengearbeitet, der rücksichtsvoller war.« Yuji schenkt Rem ein fröhliches Grinsen. »Und weil es nicht komisch zwischen uns war, war die Stimmung am ganzen Set toll.«
Rem erwidert sein Grinsen mit einem dankbaren Lächeln. »Das war aber dein Verdienst, weil du ständig Witze gerissen hast.«
Yuji kichert. »Und dann hat Mr. Blake sich beschwert. ‚Mr. Sawada, lassen Sie diesen Unsinn! Und Ms. Aozora, hören Sie auf zu lachen.‘« Yuji imitiert Mr. Blakes tiefe Stimme und das bringt auch Rem zum Lachen.
»Das klingt, als hättet ihr Spaß gehabt«, sagt Kaho mit einem Lächeln, während sie Rem und Yuji beobachtet.
»Ich finds abgefahren!«, sagt Inugami und strahlt Rem an. »Jetzt kann ich damit angeben, dass ich mit einem Model befreundet bin!«
»Wie schön für dich! Kann ich jetzt mein Handy wieder haben?«, fragt Shiroma, die mit einem Mal sehr verärgert aussieht.
Inugami reicht es ihr und sie stolziert zu ihrem Tisch zurück.
»Ich bin kein Model, Inugami«, sagt Rem, als sie weg ist. »Und seit wann sind wir befreundet?«
»Seit jetzt?«
»Nein.«
»Ach komm schon, Aozora! Ich war der Einzige, der dich erkannt hat!«
Nachdem auch der Nachtisch serviert ist, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Rem sich verabschieden wollte. Sie weiß, dass Kohei auf sie wartet und es wäre auch insofern kein Problem, als sie mit Kaho Nummern ausgetauscht und sich zur Genüge mit ihren Klassenkameraden unterhalten hat. Aber eine Sache beschäftigt sie noch. Oder besser gesagt, jemand.
Ihr Blick huscht zu Kosuke, der an seinem Tisch sitzt und auf sein Handy schaut. Es ist ironisch, da er auch während ihrer Schulzeit oft allein dasaß, ohne sich an den Gesprächen der anderen zu beteiligen. Nur dass er dabei meistens neben Rem gesessen hat, um nicht ganz allein zu sein.
Es gibt noch einige ungesagte Dinge zwischen ihnen, zumindest von Rems Seite, aber nach ihrem letzten Treffen zögert sie. Sie fürchtet sich nicht davor, dass etwas Ähnliches ein zweites Mal passiert, sondern davor eine Situation zu verschlimmern, mit der sie sich abgefunden hat. Was, wenn ihre Probleme mit Kosuke wieder in ihr Leben treten? Wenn sie Kohei damit verunsichert?
Mit einem Seufzen reibt sie sich über die Stirn. Sie wollte einen schönen Abend mit Kohei verbringen, aber wie soll sie das, wenn sie emotional von ihrem Gespräch mit Kosuke erschöpft ist?
»Gehts dir nicht gut?« Kaho legt Rem eine Hand auf den Arm.
Rem hebt den Kopf und schenkt ihr ein schwaches Lächeln. »Doch, doch. Aber ich denke, ich geh ein bisschen an die frische Luft.« Sie steht auf, wobei ihr auffällt, dass Yuji sie fragend ansieht. Er scheint zu wissen, was sie vorhat und Rem schüttelt knapp den Kopf, um ihm zu signalisieren, dass sie seine Hilfe nicht braucht. Sie hofft aber, dass Kaho und die anderen annehmen, der Nachtisch läge ihr schwer im Magen. Was nicht stimmt. Der Nachtisch sowie alle anderen Gänge und die begleitenden Weine sind so vorzüglich gewesen, dass sie sich fragt, wie das das billigste Menü gewesen sein kann.
Ihre Bewegung erregt außerdem Kosukes Aufmerksamkeit, denn er schaut von seinem Handy auf. Und als er bemerkt, dass Rem ihn ansieht, senkt er den Blick nicht sofort wieder.
Sie sieht bedeutungsvoll zur Terrasse, bevor sie nach draußen geht. Dort sucht sie sich einen Platz, den man vom Wintergarten aus nicht sehen kann und wartet darauf, dass Kosuke kommt.
Er lässt sie nicht lange warten und obwohl er, die Hände in den Hosentaschen, wohl einen gelassenen Eindruck machen will, kann Rem sehen, dass er sich beeilt hat.
»Hi«, sagt er, als er vor ihr stehen bleibt und sein Blick huscht umher, als würde auch er sichergehen, dass man sie vom Wintergarten aus nicht beobachten kann.
»Hi«, erwidert Rem, um höflich zu sein und schluckt dann. Sie hat sich ein paar Worte zurechtgelegt, die ihr aber jetzt nicht mehr einfallen wollen. »Ich, ähm, dachte, wir sollten noch einmal reden, wegen -«
»Ist der Kerl auch hier irgendwo?«, unterbricht Kosuke sie und Rem blinzelt verdutzt. »Wer?«
»Na, dein Kerl, dieser reiche Bastard.«
Rems Miene verdüstert sich. »Ich will mit dir nicht über Kohei reden!«, sagt sie streng, verärgert, dass Kosuke abwertend über Kohei spricht. Aber es würde wohl nichts bringen, ihn dafür zu maßregeln.
»Aber ich will!« Kosuke funkelt Rem an und macht einen Schritt auf sie zu. »Hat er dir erzählt, dass er mir einen ‚Besuch’ abgestattet hat?« Seine Stimme klingt verächtlich, aber es schwingt Genugtuung darin mit, die Rem verrät, dass Kosuke sich darauf verlassen hat, dass er damit einen Keil zwischen Kohei und sie treiben kann.
»Du meinst, ob ich weiß, dass er dich geschlagen hat? Ja, ich weiß davon.«
Kosukes Augen weiten sich und er starrt Rem ungläubig an.
»Es war nicht seine beste Entscheidung, aber wie du dir vorstellen kannst, ist es mir nicht schwergefallen, ihm zu verzeihen«, erklärt Rem entschlossen und mit Wut im Bauch, als ihr klar wird, dass Kosukes Beweggrund mit ihr zu sprechen, mehr mit Kohei zu tun hat als mit ihr.
Kosuke starrt sie entgeistert an. »Der Dreckskerl ist zu mir nach Hause gekommen und hat mich geschlagen und du nennst das ‚nicht seine beste Entscheidung‘?!«
Rem kommt ein bitteres Lachen über die Lippen, als sie versteht, dass Kosuke tatsächlich dachte, sie würde sich auf seine Seite stellen. »Hast du erwartet, dass ich mich bei dir entschuldige? Oder dachtest du, ich wäre enttäuscht von Kohei? Deswegen wolltest du es mir doch erzählen, oder?« Sie schüttelt den Kopf, als ihr der Gedanke kommt, dass er nur deswegen hergekommen ist.
Kosuke schnaubt und tritt wieder einen Schritt zurück, wobei er eine ausschweifende Geste macht. »Ich weiß auch nicht, wieso ich dachte, dass es dich interessieren würde, dass dein neuer Freund ein gewalttätiger Freak ist!«
»Weil er einen Mann geschlagen hat, der mich vergewaltigen wollte?«, faucht Rem und macht nun ihrerseits einen Schritt auf ihn zu. »Ich glaube nicht, dass dir viele Leute zustimmen würden!«
Kosukes Miene verhärtet sich. »Ich wollte dich nicht vergewaltigen!«, sagt er mit kontrollierter Stimme. »Das weißt du, du kennst mich. Ich war betrunken und ich habe -«
»Und du hast dich einfach so verhalten, wie du dich immer verhalten hast«, sagt Rem mit resignierter aber frostiger Stimme.
»Was?!« Er schüttelt den Kopf. »Das stimmt doch nicht! Wieso tust du so, als hätte ich dich schlecht behandelt?«
Rem atmet aus, um sich zu beruhigen. Sie hat Kosuke nicht hergerufen, um mit ihm zu streiten und sie will ihre letzte Chance mit ihm zu reden, nicht verschwenden. »Weil ich genug Zeit zum Nachdenken hatte. Und der einzige Unterschied zwischen diesem Abend und allen anderen war, dass ich klar Nein gesagt habe.«
»Was soll das?! Willst du sagen, ich hätte dich zu irgendwas gezwungen?!« Er schüttelt vehement den Kopf. »Und wenn du etwas nicht mochtest, hättest du es sagen sollen. Woher sollte ich wissen, dass dir etwas nicht gefällt, wenn du es nicht sagst?!« Kosukes Stimme ist nach wie vor aufgebracht, aber Rem fühlt sich plötzlich kraftlos. »Ja«, murmelt sie und fährt sich mit der Hand durchs Haar. Vielleicht hätte sie es doch gut sein lassen sollen.
Kosuke, der ihren Stimmungswechsel bemerkt hat, bleibt still.
Rems Blick huscht zu dem hübsch angelegten Garten vor der Terrasse, der nun von kleinen Laternen beleuchtet wird. »Du hast mir immer vorgeworfen, ich hätte nie Zeit für dich und ich habe dir immer geglaubt und mich schuldig gefühlt. Ich habe versucht Spaß an deinen Hobbys zu haben, dir teure Geschenke gekauft und nur Dinge unternommen, die du magst, wenn wir ausgegangen sind. Ich habe sogar versucht, mich an deine komischen Erotik-Mangas zu halten, wenn wir miteinander geschlafen haben, selbst wenn es unangenehm war oder ich gar nicht mit dir schlafen wollte.« Ihr Blick kehrt zu Kosuke zurück und sie spürt einen Knoten im Hals. »Du hast dich so daran gewöhnt, dass ich mich nach dir richte, dass du aufgehört hast, auf mich zu achten. Das oder es war dir einfach egal. Und ich habe angefangen zu verstehen, wie du mich sehen musst.« Rem legt sich eine Hand über die Augen, als sie spürt, wie sich Tränen darin sammeln.
Sie war so geschockt davon, dass Kosuke sich ihr aufgedrängt hatte, dass es eine ganze Weile gedauert hat, bis ihr aufgefallen ist, dass nicht er es war, der sich anders verhalten hat. Und dieser Gedanke hat sie zu der Frage gebracht, was wohl passiert wäre, wenn sie Nein zu Kosuke gesagt hätte, als sie noch zusammen gewesen sind.
Sie atmet aus und lässt ihre Hand sinken. »Wenn du mich nicht betrogen hättest, würde ich mir immer noch ein Bein für dich ausreißen wie eine Idiotin und nicht einmal merken, wie erbärmlich das ist.«
Kosuke schüttelt den Kopf. »Das stimmt nicht! Das habe ich nie gedacht! Du hast mir immer viel bedeutet, das weißt du!«
»Wirklich?«, fragt Rem, aber der Zweifel in ihrer Stimme lässt es mehr wie eine Feststellung klingen, während sie Kosuke mit einem hoffnungslosen Blick betrachtet. »Dann bist du heute hergekommen, um zu sehen, wie es mir geht und dich für das zu entschuldigen, was du mir angetan hast?«
Er schluckt und leckt sich über die Lippen, bevor er antwortet. »Ja. Ich meine, ich wollte dir nie etwas tun, aber ich verstehe, dass ich dich verletzt habe.«
Rems Sicht verschwimmt und sie schüttelt den Kopf. »Nein«, sagt sie mit schwerer Stimme, beraubt vom letzten Rest Hoffnung. »Du bist nicht meinetwegen hergekommen. Du bist wütend auf Kohei und wolltest dich an ihm rächen, deswegen bist du hier.« Eine Träne kullert ihr über die Wange, als sie begreift, dass die Befürchtungen, die ihr nach ihrem letzten Treffen mit Kosuke durch den Kopf gegeistert sind, sich nun doch bewahrheiten.
»Das ist nicht wahr!« Panik schwingt in Kosukes Stimme mit und er packt ihren Arm. »Rem, hör mir zu, ich weiß nicht, wie du darauf kommst oder weshalb du gerade so emotional bist, aber du steigerst dich da in etwas hinein!«
Rem starrt ihn an. Als sie zusammen waren, hat er ihr oft vorgeworfen, zu kalt und zu rational zu sein und jetzt ist sie zu emotional? Sie ist sich der Tatsache, dass sie vor ihm steht und weint nur allzu bewusst, aber mit einem Mal fühlt sie sich so bescheuert und erbärmlich, dass sie ihm kaum noch in die Augen sehen kann.
Sie windet ihren Arm aus seinem Griff und weicht vor ihm zurück. Dann schüttelt sie den Kopf und dreht sich um. Mit schnellen Schritten geht sie auf den Garten zu, ohne Plan, einfach nur um Kosuke zu entkommen.
»Warte, Rem!« Er folgt ihr.
Was soll sie tun? Sie ist mit Kohei verabredet und er wartet bereits an der Bar auf sie. Aber wie kann sie ihm so unter die Augen treten? Kohei, der so oft betont, wie attraktiv er ihren starken Charakter findet, und nachdem sie ihm so selbstsicher erklärt hat, dass sie sich um Kosuke kümmern würde. Was soll er denken, wenn sie jedes Mal die Fassung verliert, wenn es um Kosuke geht? Noch dazu jetzt, wo Kosuke ihr nichts mehr bedeuten sollte. Sie kann sich nicht so von ihm sehen lassen!
Kohei geht hastig durch das Hotel, sein Handy an sein Ohr gedrückt, um den Wintergarten zu umrunden und in den Garten dahinter zu gelangen. Nach Yujis Nachricht hat er Tomoda sitzen lassen, um Rem suchen zu gehen, auch wenn er zuerst nicht sicher war, ob das nötig ist. Aber Rem nimmt nicht ab. Rem, die für gewöhnlich auf jede Nachricht oder jeden verpassen Anruf innerhalb weniger Minuten mindestens mit einer Zeile antwortet, reagiert nicht. Was bedeutet, Kohei muss in den Garten und er bereut es, den Wintergarten gemieden zu haben. Es wäre der kürzeste Weg gewesen und keiner von Rems Klassenkameraden hätte erraten, dass Rem und er ein Paar sind, nur weil er den Wintergarten als Abkürzung benutzt.
Auf diese Weise wäre es auch einfacher Rem aufzuspüren, denn der Garten ist zu seinem Leidwesen nicht gerade klein. Da er vermutet, dass sie in der Nähe des Wintergartens ist, geht er darauf zu, während er sie ein weiteres Mal anruft, mit der leisen Hoffnung, dass sie vergessen hat, ihr Handy auf lautlos zu stellen. Einer sehr leisen Hoffnung, denn Rem würde so etwas nicht vergessen.
Allerdings hat er den Wintergarten noch nicht erreicht, als er fündig wird. Nur ist es nicht Rem, die er findet.
Kosuke stampft mit grimmiger Miene und eingezogenem Kopf den Weg entlang, bis er Kohei bemerkt. Er bleibt abrupt stehen und für eine Sekunde zeichnet sich Schock auf seinem Gesicht ab. Dann schnaubt er. »Wusste ich doch, dass du hier herumschleichst wie ein Stalker«, knurrt er und versucht dabei wohl gehässig zu klingen. Aber seine Stimme ist zu leise, um deswegen beunruhigt zu sein.
Kohei steckt sein Handy zurück in seine Hosentasche. Wenn Kosuke hier ist, kann er nicht bei Rem sein und zumindest das ist eine Erleichterung. »Ich bin hier, weil Rem und ich ein Date nach dem Klassentreffen haben und sie mich eingeladen hat«, erwidert Kohei mit gelassener und lauterer Stimme.
»Tja, das Klassentreffen ist noch nicht vorbei. Oder bist du hier, um mir wieder zu drohen, weil ich Rem getroffen habe?« Er scheint sich Mühe zu geben, furchtlos zu wirken, aber er steht gut zwei Meter von Kohei entfernt, als wolle er einen Sicherheitsabstand halten.
Kohei grinst amüsiert. »Hätte ich verhindern wollen, dass du Rem triffst, wärst du jetzt nicht hier.«
Kosukes Augen schmälern sich. Dann schnaubt er erneut. »Ja, klar! Du bist ein reiches Arschloch und du kennst Leute, die für dich mein Leben ruinieren können. Oder wolltest du sagen, dass du ein paar Gangster angeheuert hättest, um mich zu entführen?« Er schüttelt verächtlich den Kopf.
Kohei runzelt überrascht die Stirn. Nicht weil Kosukes Ausführungen sehr kreativ sind, sondern weil er offensichtlich nicht auf die naheliegendste Lösung kommt. Kohei hat sich schon gewundert, dass er so selbstsicher hier herein marschiert ist. »Nein, ich will sagen, dass dieses Hotel meiner Familie gehört und ich dir Hausverbot gegeben hätte.« Er belächelt das dämliche Gesicht, das Kosuke daraufhin macht, der wohl wirklich nicht gewusst hat, wer der Eigentümer des Emerald ist. »Und wenn überhaupt, hätte ich dich von unserem privaten Sicherheitsdienst entführen lassen und nicht von irgendwelchen Gangstern mit fragwürdiger Loyalität.«
Kosuke knirscht mit den Zähnen und Kohei lacht leise. »Keine Sorge, ich habe nicht vor, dich wieder zu verprügeln.«
»Und was willst du dann von mir?«, faucht Kosuke, fast schon als hätte Kohei ihn beleidigt.
»Überhaupt nichts. Je weniger Zeit ich mit dir verschwende, desto besser.« Er tritt an den Rand des Weges und gestikuliert mit der Hand an sich vorbei. »Geh deines Weges.«
Kosukes Augen schmälern sich misstrauisch. »Das soll ich glauben? Nachdem, wie du das letzte Mal bei mir zu Hause aufgetaucht bist?!«
Kohei lässt die Hand sinken und das Lächeln verschwindet von seinen Lippen. »Hast du schon wieder versucht, Rem zu vergewaltigen?«
»Ich habe NIE versucht Rem zu vergewaltigen!« Kosuke hebt die Stimme und macht sogar einen Schritt auf Kohei zu.
»Ja, ich bin sicher, du siehst es so«, erwidert Kohei abfällig. »Aber wäre es an den Tätern, eine Vergewaltigung zu definieren, gäbe es keine Vergewaltigungen.«
»Das...ist etwas anderes. Ich habe Rem nichts getan!«
Kohei rollt mit den Augen. Er hat gesagt, er würde ihn nicht noch einmal verprügeln, aber in diesem Moment fällt es ihm schwer, sich daran zu halten. Denn so wie es aussieht, hat Kosuke sich auch vor Rem gerechtfertigt, anstatt sich zu entschuldigen. »Nicht einmal bei eurem letzten Treffen hast du die Eier, dazu zu stehen.«
»Letztes Treffen?«, wiederholt Kosuke. »Willst du mir doch drohen, damit ich mich von ihr fernhalte?«
Kohei richtet seinen Blick wieder auf Kosuke. »Nein. Es ist das letzte Treffen, weil du von jetzt an keine Bedeutung mehr hast.«
Kosuke verzieht das Gesicht, aber sein Blick ist verwirrt auf Kohei gerichtet.
Kohei lacht auf. »Hast du es immer noch nicht begriffen? Du warst acht Jahre mit ihr zusammen und verstehst sie trotzdem so wenig?«
»Was für ein Unsinn«, sagt Kosuke, aber Unsicherheit lässt seine Stimme leiser klingen.
»Du hast Rem ausgenutzt, sie betrogen und dann verlassen, aber all das hat sie dir vergeben. Und du dankst es ihr, indem du versuchst, sie zu vergewaltigen. Trotzdem gibt sie dir noch eine Chance und trifft sich mit dir, um mit dir zu reden und so nutzt du sie?« Kohei schüttelt den Kopf und seine Fassungslosigkeit übersteigt sogar seinen Wunsch, Kosuke zu schlagen. »Dachtest du, Rem würde immer hinter dir stehen und dir alles vergeben, ganz egal, wie scheiße du sie behandelst?«
Kosuke gibt einen abfälligen Laut von sich. »Das muss ich mir nicht anhören«, murmelt er und will an Kohei vorbeigehen, aber Kohei stellt sich ihm in den Weg. »Dachtest du, dass Rem sich selbstverständlich auf deine Seite stellen würde, als du hergekommen bist, um ihr zu erzählen, was ich getan habe?«
»Ich dachte, sie könnte unparteiisch beurteilen, was sie davon hält, wenn jemand in das Haus von jemand anderem einbricht und ihn zusammenschlägt.« Kosuke sieht wütend zu Kohei auf, ohne vor ihm zurückzuweichen.
»Ah, sie soll also unparteiisch und objektiv sein, wenn du das Opfer bist, aber bei dir als Täter soll sie deine subjektiven Beweggründe und Absichten vor die Tatsache stellen, dass sie das objektive Opfer ist? Hörst du dir beim Reden eigentlich zu oder bist du nur zu blöd, um zu verstehen, was aus deinem Mund herauskommt?« Kohei hebt in einer fragenden Geste die Hände.
»Das sind zwei verschiedene Dinge!«
Kohei schüttelt erneut den Kopf. »Du checkst es nicht, oder?« Dass Kosuke vor Kohei nicht klein beigibt, versteht er, aber vor Rem? Und dass Kosuke sich vor Rem uneinsichtig gegeben hat, schlussfolgert Kohei aus der Tatsache, dass Kosuke sich vehement und ohne den Hauch von Schuld zu rechtfertigen versucht, und Rem nicht an ihr Handy geht.
Jeder hat seinen Stolz und Kohei würde sich nicht als Paradebeispiel bezeichnen, wenn es darum geht, seinen Stolz herunterzuschlucken. Aber er würde auf Knien vor Rem im Dreck kriechen, wenn er in Kosukes Position wäre und wenn es nur darum ginge, den kleinsten Funken Hoffnung auf Rems Vergebung zu bekommen.
»Rem hat mir erzählt, dass du dachtest, wir hätten eine Affäre, als ihr noch zusammen wart. Und abgesehen von deiner Dummheit zu glauben, Rem könnte ihren Freund betrügen, verstehe ich diese Sorge.«
Kosuke verzieht das Gesicht, aber Kohei hebt seine Hand, bevor er etwas sagen kann. »Nicht, weil ich besser aussehe, erfolgreicher, klüger und in jeder anderen Beziehung ein besserer Fang bin als du. Ich sage das, weil du nicht der Einzige bist, der dachte, da wäre etwas zwischen Rem und mir.«
Kosuke, der bei Koheis erstem Satz noch die Augen verdreht hat, sieht ihn jetzt scharf an.
»Und es stimmt, dass ich empfindlich reagiert habe, wenn du zur Sprache kamst oder sie mal wieder Geschenke für dich ins Büro hatte liefern lassen. Aber nicht, weil ich verliebt in Rem war und es nicht ertragen konnte, dass sie mit dir zusammen war.« Tomoda hat Kohei oft genug damit aufgezogen und es hatte Kohei irritiert, dass seine Argumentation diesbezüglich so schlüssig war. Aber nachdem er einmal dahinter gekommen ist, ist die Antwort so offensichtlich, dass es ihn überrascht, dass er so lange gebraucht hat, um darauf zu kommen.
Kohei sieht mit bitterer Miene auf Kosuke hinab. »Ich habe dich beneidet. Dafür, dass du eine Frau in deinem Leben hattest, die so loyal und so verlässlich auf deiner Seite stand, ohne dabei den geringsten Zweifel daran zu lassen. Denn wenn es eine Sache gab, die jeder in unserer Abteilung über Rem wusste, dann war es, dass sie ihren Freund liebt. So sehr, dass sie nicht einmal das kleinste Interesse an mir gezeigt hat, obwohl ich ihr so viel Aufmerksamkeit geschenkt habe. Also, herzlichen Glückwunsch.« Kohei legt Kosuke eine Hand auf die Schulter, während er ihn mit einem spöttischen Blick fixiert. »Du hast es geschafft, das Einzige in deinem Leben zu verlieren, um das sogar jemand wie ich dich beneidet hat.«
Kosuke schüttelt Koheis Hand ab und funkelt in verärgert an. Aber er presst die Lippen aufeinander, als hätte er nichts mehr zu sagen, dass er Kohei entgegensetzen könnte.
Kohei schnaubt und tritt zur Seite. »Jetzt verschwinde. Oder ich vergesse noch, dass ich versprochen habe, dich nicht zu schlagen.«
Kosuke gibt ein Zischen von sich und sein wütender Blick verschwindet nicht. Aber er beeilt sich, an Kohei vorbeizulaufen.
Kohei sieht ihm hinterher und überlegt, ob er diese Begegnung Rem gegenüber erwähnen sollte. Aber in diesem Moment ist Rem wichtiger und ob es ihr gut geht. Die Vorstellung, dass Rem sich irgendwo verkrochen hat und im Geheimen leidet gefällt ihm nicht. Sie wirft ihm ständig vor, dass er seine Sorgen in sich hineinfrisst und nicht mit ihr teilt. Dabei ist sie kein Stück besser.
Er zieht sein Handy aus der Hosentasche und wählt erneut Rems Nummer.
Vielleicht ist er aufdringlich, da Rem seine Anrufe offenbar ignoriert, weil sie nicht mit ihm sprechen will, aber er kann nicht zulassen, dass sie ihn ignoriert und dafür über diesen Bettler nachdenkt und sich schlecht fühlt.
Er hat Kosuke erzählt, dass Rem ihn ab heute vergessen wird und er wird dafür sorgen, dass sie so glücklich ist, dass sie bei ihrem nächsten Treffen mit Kosuke an ihm vorbeigehen wird, ohne ihn zu sehen.
Das Freizeichen ertönt, aber als Kohei schon denkt, dass sein Anruf erneut erfolglos bleibt, nimmt Rem ab.
»INUGAMI!«
Kohei zuckt erschrocken zusammen und hält das Handy von seinem Ohr fern.
»...gib es sofort zurück!« Neben Rems lauter Stimme hört er das tiefe Kichern eines Mannes.
Kohei starrt sein Handy an. Was zum …?
Rem bleibt bei einer Baumgruppe abseits des Weges stehen, wo es keine Laternen gibt und es dunkler ist. Nachdem sie sich versichert hat, dass Kosuke ihr nicht mehr folgt, sollte sie hier für eine Weile ungestört sein. Sie will sich mit dem Rücken gegen einen Stamm lehnen, erinnert sich aber wieder daran, dass sie weiße Kleidung trägt und entscheidet sich dagegen. Dann schließt sie die Augen und atmet ein paar Mal tief durch.
Sie sollte sich zusammenreißen. Wenn sie noch mehr weint, verläuft ihr Make-up und sie will nicht darauf angesprochen werden, was gerade passiert ist. Und zurück in den Wintergarten muss sie, denn sie kann nicht gehen, ohne sich zu verabschieden. Außerdem ist da noch Yuji, der gemerkt hat, weshalb sie hinausgegangen ist und von Kohei geschickt wurde, um ein Auge auf sie zu haben. Das Letzte, was sie will, ist, dass Kohei erfährt, dass sie wegen Kosuke geweint hat.
Also tupft sie ihre Tränen vorsichtig mit den Fingern weg, und das so nah am Auge wie möglich, um dem Make-up wenig Platz zum Verwischen zu geben.
Dann hört sie die Vibration ihres Handys in ihrer Tasche und Rem hält den Atem an. Ohne es herauszuholen, weiß sie, dass es Kohei ist. Und obwohl der Gedanke, seine Stimme zu hören, in diesem Moment verlockend ist, kann sie nicht abnehmen. Denn sie weiß, dass ihre Stimme sie verraten würde.
Das Vibrieren verstummt und Rem atmet aus. Sie sollte ihm wenigstens eine Nachricht schreiben, damit er weiß, dass alles in Ordnung ist. Trotz dieser Entscheidung greift Rem nicht in ihre Tasche.
Ihr Handy beginnt erneut zu vibrieren. Rem ballt die Fäuste und kneift die Augen zu.
Kohei weiß schon, dass etwas nicht in Ordnung ist und Rem muss sich etwas Überzeugendes ausdenken, damit er sich keine Sorgen macht. Aber sie will ihn nicht anlügen, besonders in diesem Fall nicht.
Ihr Handy ist wieder still.
Rem rauft sich die Haare. Sie muss zurück ins Haus gehen, eine Toilette finden und dafür sorgen, dass sie okay aussieht, damit sie mit Kohei reden kann. Aber was, wenn er sie suchen gekommen ist und sie ihn auf dem Weg trifft? Außerdem ist sie immer noch so aufgewühlt, dass er merken würde, dass etwas nicht stimmt, selbst wenn sie keine verweinten Augen hat.
Sie greift in ihre Tasche, um nun doch ihr Handy hervorzuholen. Eine Nachricht zu schreiben ist doch die beste Entscheidung. Denn wenn er sie tatsächlich sucht, könnte er sie im schlimmsten Fall finden. Hier, im Dunkeln, ganz allein.
»Aozora?«
Rem wirbelt erschrocken herum.
Inugami kommt auf sie zu und bleibt ein paar Schritte von ihr entfernt stehen. »Alles klar?«
»O-Oh, sicher«, murmelt Rem und versucht dabei, ihn nicht direkt anzusehen, damit er ihr Gesicht nicht zu gut sieht, ohne dass es zu auffällig ist.
»Kurosawa?«
Rem versteift sich. Ihr Blick richtet sich auf Inugami, während sich ihr die Kehle zuschnürt. Hat er sie gesehen? Oder schlimmer noch, gehört?
»Verstehe« Inugami kommt näher und klopft ihr auf die Schulter. »Kopf hoch, Aozora! Wenn du dieses Werbefoto von dir ein bisschen herumzeigst, werden die Männer Schlange stehen, um -«
»Wenn du nichts zu sagen hast, wäre ich jetzt gern allein«, unterbricht Rem ihn resigniert und schiebt seine Hand von ihrer Schulter.
»Okay, das war nicht die beste Aufheiterung«, gibt er zu. »Aber du stehst so mitleiderregend in deinen weißen Klamotten in diesem dunklen Miniwald herum. Wie soll ich da einfach vorbeigehen?«
»Es wäre mir neu, dass es dir schwerfällt, dein Gewissen zu ignorieren«, sagt Rem trocken.
Inugami hebt einen Finger und deutet anklagend auf Rem. »Und du bist immer noch so gemein wie früher!« Er lässt den Finger wieder sinken. »Aber jetzt im Ernst, Aozora, vergiss Kurosawa. Wenn er dich zum Weinen bringt, ist er es nicht wert.«
»Ich weine nicht!«
»Und es stimmt, dass du hübsch genug bist, um easy-peasy einen neuen Freund zu finden. Wenn du willst, stell ich dir ein paar Freunde vor -«
»Ich habe einen Freund, danke!«, unterbricht Rem ihn zum zweiten Mal.
Inugami breitet die Arme aus. »Wieso muss ich dich dann aufheitern? Ruf den Kerl an und sag ihm, dein Ex hat dich zum Weinen gebracht.«
Rem verzieht verärgert das Gesicht. Sie versucht ihr Bestes, um vor Kohei zu verheimlichen, wie schlecht es ihr gerade geht. Der Gedanke ihn anzurufen und ihm die Ohren vollzuheulen ist schon an sich so beschämend, dass sie erschaudert. »Wer hat gesagt, dass du mich aufheitern musst?«
»Mein Gewissen.«
Rem könnte ihn am Kragen packen und schütteln. Jetzt erinnert sie sich wieder daran, weshalb sie ihn in der Schule nicht ignorieren konnte.
»Du bist nicht die einzige, die ne scheiß Trennung hinter sich hat. Niemand fühlt sich danach gut.«
Rem hält die bissige Antwort zurück, die ihr schon auf der Zunge lag, und mustert Inugami.
Er seufzt und zieht ein Päckchen Zigaretten aus seiner Brusttasche. »Meine letzte Freundin hat mit mir Schluss gemacht, weil sie sich dafür geschämt hat, wie dumm ich bin.« Er senkt den Kopf, als er sich eine Zigarette zwischen die Lippen klemmt. »Das war direkt nachdem ich meinen Job verloren habe. Schön Salz in die Wunde streuen.«
Rem runzelt die Stirn. Sie hat nicht erwartet, dass er ihr etwas so Persönliches anvertraut. »Das ist Unsinn! Du bist nicht dumm, du bist einfach faul.«
Inugami, der in seiner Hosentasche wohl nach seinem Feuerzeug gekramt hat, hält inne um Rem verdutzt anzusehen. »Danke.« Seine Augen schmälern sich. »Denke ich.«
Rem seufzt und macht einen Schritt vor, um ihm die Zigarette aus dem Mund zu zupfen. »Lass den Mist.«
Inugami blinzelt. Dann sieht er auf die Zigarette in Rems Hand hinab. Er schnaubt. »Du hast dich wirklich nicht verändert.«
Rem rümpft leicht die Nase, da Kosuke genau dasselbe zu ihr gesagt hat.
»Tough Love nennt man das, glaube ich.«
»Was?«, fragt Rem skeptisch, aber in diesem Moment beginnt ihr Handy, das sie immer noch in der Hand hält, zu vibrieren. Sie sieht unwillkürlich nach unten und überprüft den Namen auf dem Display. Es ist Kohei und sie erinnert sich wieder an die Misere, in der sie sich befindet.
»Dein Freund?«, frag Inugami und beugt sich neugierig vor.
»Das geht dich nichts an!«, sagt Rem und kippt das Handy, sodass er das Display nicht sehen kann.
Allerdings ist Inugamis Blick plötzlich auf etwas hinter ihr gerichtet. »Ist er das?«
Rem reißt erschrocken den Kopf herum, um in die Richtung zu sehen, in die Inugami schaut. Aber es ist niemand dort. Und während sie das begreift, wird ihr das Handy aus der Hand gerissen.
»Hey!« Sie wirbelt wieder zu Inugami herum und versucht, seinen Arm zu packen.
Aber er hält das Handy hoch in die Luft, sodass Rem nicht herankommt. »Mr. Inouye? Du hast deinen Freund nicht ernsthaft mit seinem Nachnamen eingespeichert!«
»Gib es wieder her!« Rem zieht an seinem Arm, in der Hoffnung ihr Handy dadurch erreichen zu können.
Aber Inugami behält den Arm gelassen in die Höhe gestreckt. »Ich gebs dir wieder, wenn du mir sagst, ob das dein Freund ist«, sagt er mit einem Grinsen.
Rem funkelt ihn wütend an. »Ja, ist er!«, faucht sie. Es gefällt ihr nicht, tun zu müssen, was er verlangt, aber sie will auch nicht mit ihm um ihr Handy kämpfen.
»Gut!« Anstatt den Arm zu senken, drückt Inugami den grünen Knopf auf dem Display.
»INUGAMI!« In Panik gerät Rems Stimme etwas lauter als beabsichtigt, während Inugami nur vergnügt kichert. »Gib es sofort zurück!«
Aber anstatt das zu tun, hält Inugami sich das Handy ans Ohr. »Hallo? Aozoras Freund?«
»Lass das!« Rem versucht nach ihrem Handy zu greifen, aber Inugami dreht sich von ihr weg und hält sie sich mit seinem freien Arm vom Leib.
»Ich habe Aozora weinend im Garten gefunden, nachdem sie sich mit ihrem Ex gestritten hat. Sie braucht jetzt Aufmunterung. Als ihr Freund sollten Sie – argh!« Inugami gibt einen Schmerzensschrei von sich, als Rem ihm fest auf den Fuß tritt. Dabei beugt er sich vornüber, sodass Rem ihm ihr Handy abnehmen kann.
»Ich habe dir gesagt, gib es zurück! Man nimmt nicht private Gespräche für andere an!«, sagt sie in strengem Tonfall zu Inugami, der nun vor ihr kniet und sich den Fuß hält.
»Ich glaub, ich hab ein Loch im Fuß«, jammert er.
»Rem?« Koheis verwirrte Stimme ertönt aus ihrem Handy und erinnert sie daran, dass er all das mithören kann.
Sie schluckt schwer und wirft Inugami noch einen letzten wütenden Blick zu, bevor sie ihm den Rücken zukehrt und sich ihr Handy ans Ohr hält. »Ja, ich bin dran.«
»Was ist los? Geht es dir gut?«
»Ja, ja. Es ist alles in Ordnung. Das war nur ein Klassenkamerad von mir, der nichts Besseres zu tun hatte. Vergiss einfach, was er gesagt hat.«
»Er hat gesagt, dass du geweint hast. Wie soll ich das vergessen?«
Rem schluckt erneut, als sie mit einem Mal einen Kloß im Hals spürt. »Ich habe nicht… Das stimmt nicht.«
Kohei sagt nichts.
»Wirklich. Ich brauchte nur etwas Zeit zum Nachdenken.« Sie kneift die Augen zusammen, als ihr wieder einfällt, dass sie seine Anrufe ignoriert hat. »Tut mir leid, dass ich nicht früher rangegangen bin, es war nur…«
»Ist schon in Ordnung.« Koheis Stimme klingt überraschend ruhig. »Um ehrlich zu sein habe ich dir auch nicht ganz die Wahrheit über mein Treffen mit deinem Vater erzählt.«
Rem öffnet die Augen und schielt zu ihrem Handy. »Was meinst du?«
Kohei seufzt tief. »Er hat mir nicht wieder gesagt, dass ich mich von dir fernhalten soll, aber nur weil ich ihn mehr oder weniger unter Druck gesetzt habe. Er hasst mich wahrscheinlich mehr als vorher.« Er lacht ein bitteres Lachen und Rem kann praktisch vor sich sehen, was für ein Gesicht er macht. »Mach dir deswegen keine Sorgen. Juro ist stur und ich habe nicht erwartet, dass er seine Meinung so einfach ändert. Aber er wird es mit der Zeit akzeptieren.«
»Also bist du nicht enttäuscht von mir?«
Rem schüttelt heftig den Kopf, obwohl er sie nicht sehen kann. »Natürlich nicht. Ich habe dir doch gesagt, dass es nichts ändert, egal, wie das Gespräch verläuft.«
»Ja«, sagt Kohei und seine Stimme klingt sanft, als würde er lächeln. »Genau das denke ich auch.«
Rem runzelt die Stirn.
»Egal, was dieser Kerl zu dir gesagt hat oder wie du dich deswegen fühlst, es ändert nichts für mich. Du musst dich nicht vor mir verstecken.«
Rems Atem stockt. Sie würde Kohei nie das Verhalten ihres Vaters vorwerfen. Wenn überhaupt, ärgert sie sich über Juro, dafür, dass er es Kohei so schwer macht. Aber ihre Situation mit Kosuke ist eine völlig andere.
»Es ist in Ordnung, wenn du Zeit für dich brauchst, aber lass dir von diesem Bettler nichts einreden. Er ist der idiotische Bastard, der seine letzte Chance verpatzt hat, ohne sie überhaupt verdient zu haben. Du dagegen bist ein Engel, vergiss das nicht.«
Rem schnaubt leise über seine Worte. Er muss erraten haben, dass ihr Treffen mit Kosuke nicht gut verlaufen ist. Wie könnte er das nicht, nachdem sie seine Anrufe ignoriert und Inugami ihm diesen Mist erzählt hat?
»Wenn du so weit bist, warte ich an der Bar.« Bei diesen Worten klingt seine Stimme so vertraut und einladend, dass Rem plötzlich das dringende Bedürfnis verspürt, ihn zu sehen. Sie möchte zu ihm gehen, das Gesicht in seiner Schulter vergraben und vergessen, dass sie Kosuke getroffen hat.
»Okay«, sagt sie mit schwächlicher Stimme. Diesmal ist es ihre Erleichterung, die ihr beinah erneut Tränen in die Augen treibt und sie kann nicht anders, als Kosuke recht zu geben. Sie ist gerade schrecklich emotional.
»Gut, dann bis gleich.« Kohei klingt noch immer, als würde er lächeln, was Rem erneut bereuen lässt, dass sie nicht bei ihm ist. Aber obwohl sie am liebsten sofort zu ihm gegangen wäre, geht sie nicht ins Haus zurück, nachdem sie aufgelegt hat.
Als erstes verstaut sie ihr Handy in ihrer Tasche und zieht stattdessen einen kleinen Handspiegel hervor. Dann geht sie zum Weg zurück, um sich im Licht einer der Laternen zu begutachten.
»Oh je!«, murmelt sie, als sie ihr verwischtes Make-up sieht und zieht ein Taschentuch hervor. Es war eine gute Idee, nicht direkt eine Toilette zu suchen, denn offenbar hat ihr Getupfe zuvor nicht den gewünschten Effekt gehabt. Jeder, den sie auf dem Weg getroffen hätte, hätte sehen können, dass sie geweint hat.
Nachdem sie den größten Schaden behoben hat, macht sie einen Bogen um den Wintergarten und betritt das Hotel durch einen anderen Eingang. Von dort aus findet sie mithilfe eines Angestellten schnell eine Toilette.
Ihre Vergangenheit mit schlimmen Augenringen hilft ihr, die schlimmsten Spuren gekonnt zu verdecken und als sie die Toilette wieder verlässt, sieht man ihr die Tränen nicht mehr an. Allerdings braucht sie eine Ausrede, wo sie so lange war.
Sie verzieht das Gesicht, als sie daran denkt, dass jemandem aufgefallen sein könnte, dass Kosuke ebenfalls verschwunden ist. Nachdem Shiroma jede Gelegenheit genutzt hat, um ihre Trennung mit Kosuke zu erwähnen, überlegt sie sogar, einfach direkt zu Kohei zu gehen. Aber das wäre unhöflich. Außerdem wäre da noch Inugami. Sie glaubt zwar nicht, dass er über sie tratschen würde, aber er war schon immer unberechenbar.
Doch sie hat Glück. Als sie in den Wintergarten zurückkehrt, ist die Stimmung ruhig, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass Shiroma nirgends zu sehen ist. Sie entdeckt Yuji, der von einer Traube ihrer Klassenkameradinnen umringt ist und wohl von seiner Arbeit erzählt. Kaho und Asami stehen etwas abseits davon, beide mit einem Cocktail in der Hand und Rem geht auf sie zu.
»Da bist du ja wieder«, begrüßt Kaho sie mit einem Lächeln.
»Ja, ich dachte schon, du wärst auch gegangen«, sagt Asami.
»Auch?«, fragt Rem, die in Gedanken schon annimmt, dass sie von Kosuke spricht.
»Soma ist kurz nach dir gegangen«, sagt Kaho. »Ich glaube, er wollte nicht zu lange bleiben, wegen seiner Familie.«
Rem nickt erleichtert.
»Aw, er wirkt wie so ein toller Vater. Und er ist so nett geworden.« Asami lächelt gut gelaunt. »Ich will ihn unbedingt mal besuchen und seinen Sohn kennenlernen. Denkt ihr, das wäre aufdringlich von mir?«
»Nicht so lange er damit einverstanden ist«, sagt Kaho.
Asami nickt. »Ich werde ihn fragen. Seine Nummer habe ich ja.« Sie grinst und sieht dann Rem an. »Wo warst du so lange? Hast du dich im Garten verlaufen?«
Rem schluckt. »Nicht wirklich, aber der Garten ist wirklich schön…« Noch während sie spricht, weiß sie, wie schlecht diese Ausrede ist.
»Sie hat mit ihrem Freund geflirtet!«, ertönt eine Stimme hinter ihr und Rem spürt, wie ihr Blutdruck in die Höhe schießt. »Inugami!«, knurrt sie und dreht sich mit einem wütenden Blick zu ihm um.
Aber Inugami lässt sich davon nicht beeindrucken und stellt sich neben sie. »Ein Mr. Ino-irgendwas. Sie hat ihn wirklich mit seinem Nachnamen in ihrem Handy eingespeichert«, sagt er kichernd.
»Was interessiert es dich?!«
»Tut es nicht, aber dein Freund tut mir leid.« Er zuckt mit den Schultern. »Du könntest wenigstens ein Herz hinter seinen Namen machen oder so.«
»Vielleicht sind sie noch nicht lange zusammen«, sagt Kaho, in schlichtendem Tonfall, aber ihr Blick ist neugierig auf Rem gerichtet.
»Oder sie ist höflich, weil er älter ist«, sagt Asami, ebenfalls mit neugierigen Augen. »Du hast doch gesagt, dass er etwas älter ist. Ein früheres Model.«
Rem presst verärgert die Lippen aufeinander. Wieso interessieren sich alle so für ihr Privatleben?! »Wir haben telefoniert, weil wir nachher noch verabredet sind«, gibt sie zu.
»So lange?«, fragt Asami mit einem wissenden Grinsen. »Ich dachte schon, du hättest dich mit Kurosawa verdrückt, aber wenn du deinen heißen, älteren Freund am Handy hattest, erklärt das natürlich alles.«
Rem verzieht das Gesicht, sagt aber nichts, da ihr diese Erklärung lieber ist, als die Wahrheit. »Deswegen würde ich mich -«, aber gerade als sie damit beginnen will, sich zu verabschieden, ertönt ein Kreischen vom Eingang des Wintergartens.
Shiroma kommt zur Tür herein, offensichtlich in aufgeregter Stimmung. »Ihr glaubt niemals, mit wem ich mich gerade unterhalten habe!«, ruft sie laut genug, damit alle im Wintergarten es hören können. »Kohei Inouye sitzt draußen an der Bar und er ist so heiß! Ihr wisst schon, Toshiro Inouyes Enkel! Der Milliardär, dem dieses Hotel gehört!«
Rem starrt Shiroma entgeistert an. Sie war bei Kohei?!
Als Kohei an die Bar zurückkehrt, ist Tomoda verschwunden. Wahrscheinlich ist seine Freundin aufgetaucht und sie haben sich verdrückt, was Kohei unter den Umständen aber gelegen kommt. Er weiß nicht, wie lange Rem brauchen wird, aber wenn sie kommt, sind Tomodas Sprüche das Letzte, was sie braucht.
Er bestellt einen weiteren Gin Tonik, während er unruhig mit dem Bein wippt. Bei seinem Gespräch mit Rem hat er versucht, zuversichtlich zu klingen, aber dieser Klassenkamerad von ihr hat gesagt, sie hätte geweint. Was, wenn dieser dreckige Bettler doch schon wieder etwas versucht hat, so wie das letzte Mal? Wäre er damals nicht zufällig vor Ort gewesen, hätte Rem ihm wohl nie etwas davon erzählt. Vielleicht hätte er ihm doch Hausverbot geben sollen…
»Verzeihung?« Jemand setzt sich neben Kohei und er nimmt den Blick von seinem Gin Tonik.
Es ist eine Frau, mit kinnlangem Haar, Ringohrringen und einer Pelzjacke, die sie über ihr knappes Kleid gezogen hat.
Kohei runzelt die Stirn, da er sie nicht kennt.
»Mein Name ist Hana Shiroma und ich arbeite für Asuka, deswegen habe ich Sie sofort erkannt. Sie sind Kohei Inouye, richtig?« Ihre Augen glühen vor Erwartung und Aufregung und es ist eine ganze Weile her, dass ihn jemand auf diese Weise angesehen hat. Es ist recht dreist und er ist nicht wirklich in Stimmung, mit einer Fremden zu plaudern, aber er hat auch keinen guten Grund, sie abzuwimmeln.
»Asuka, sagen Sie?«, sagt er, weil er nicht versteht, was ihr Job dort mit ihm zu tun hat. Asuka ist eine bekannte Modemarke, für die er in der Vergangenheit gemodelt hat, aber das ist Jahre her.
»Richtig. Einen Moment.« Sie stellt ihre Handtasche auf ihrem Schoß ab und wühlt kurz darin herum, bevor sie eine Karte hervorholt und sie Kohei reicht.
Kohei senkt den Blick auf die Karte. Das Logo von Asuka ziert die rechte obere Ecke, aber Kohei starrt den aufgedruckten Namen an. Shiroma. War das nicht der Name von Rems Klassenkameradin, mit der sie in der Schule nicht so gut ausgekommen ist?
»Ich verstehe. Aber wieso haben Sie mich deswegen erkannt?«, fragt Kohei, nun mit einem höflichen Lächeln.
Shiromas Augen weiten sich, als von neuem Aufregung darin aufblitzt. »Bei uns im Büro hängen so viele Poster von Ihnen, wie könnte ich Sie nicht erkennen? Sie sind eins der besten Models, die wir je hatten.«
»Sie schmeicheln mir zu sehr. Ich war jung und nicht sehr professionell. Mein Name hat eine größere Rolle gespielt, als mein Können«, antwortet Kohei, der sich weniger für das Kompliment als viel mehr für die Tatsache interessiert, dass Asuka Poster von ihm in ihrem Bürogebäude ausstellt. Und das, obwohl sie nach Ablauf seines Vertrags nicht mehr die Befugnis dazu haben, Bilder von ihm zu verwenden oder auszustellen, insbesondere wenn dadurch eine Verbindung zwischen Kohei und Asuka hergestellt wird.
Toshiros Anwälte haben sich damals um seine Verträge gekümmert und dafür gesorgt, dass kein Unternehmen, für das Kohei gemodelt hat, einen Vorteil aus dem Namen Inouye ziehen konnte, nachdem der Vertrag ausgelaufen ist.
»Ich meine es ernst!«, sagt Shiroma, wobei sie hektisch mit der Hand wedelt, als wolle sie eine Fliege verscheuchen. »Wir versuchen heute noch, alte Werbefotos von Ihnen nachzustellen. Nicht, dass je etwas an die Originale heranreicht. Deswegen kann ich kaum glauben, dass ich Sie persönlich treffe! Und dass Sie in echt noch besser aussehen!«
Kohei lächelt höflich, aber er versteht, wieso Shiroma und Rem nicht miteinander ausgekommen sind und es wohl immer noch nicht tun. Wäre Rem hier, würde sie Shiroma mit diesem missbilligenden Blick ansehen, weil sie ihr Verhalten als unhöflich und aufdringlich empfinden würde.
»Und was machen Sie heute hier, Ms. Shiroma?«, fragt Kohei, der sich weniger an ihr stört. Im Gegenteil, ihre Anwesenheit kommt ihm gelegen, da er sich nicht nur die Zeit vertreiben kann, bis Rem kommt, er kann außerdem von Shiroma erfahren, wie Rem in ihrer Schulzeit war.
»Ich habe ein Klassentreffen organisiert und es war die beste Idee meines Lebens, das Emerald als Location zu wählen. Dieses Hotel ist der Hammer! Ich sollte öfter herkommen.«
»Es freut mich, dass es Ihnen gefällt. Und ein Klassentreffen klingt aufregend. Wie ist es, alte Klassenkameraden wiederzutreffen?«
»Ach, es ist weniger aufregend, als ich dachte.« Sie zuckt etwas enttäuscht mit den Schultern. »Bei einigen freut man sich, sie wiederzusehen und bei anderen wünscht man sich, sie wären nicht gekommen, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Sie lehnt sich etwas zu Kohei herüber und senkt beim letzten Teil die Stimme.
»Natürlich«, sagt Kohei mit einem charmanten Lächeln und winkt dem Barkeeper. »Wollen Sie etwas trinken?«
»Oh!« Shiroma macht ein überraschtes Gesicht und fummelt an ihrer Handtasche herum, als wäre sie plötzlich nervös. Offenbar hat sie nicht erwartet, dass er sie zu einem Drink einlädt. Aber schließlich will Kohei, dass sie eine Weile bleibt.
»Vielen Dank. Dann nehme ich dasselbe wie Sie.« Sie deutet auf seinen Gin Tonik und der Barkeeper nickt.
»Also«, sagt Kohei, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihr Gespräch zu lenken. »Ihre Schulzeit war sicherlich anders als meine, aber ich wette, Sie hatten auch eine Streberin in der Klasse.«
»Oh ja!« Shiroma nickt heftig und ihr Gesicht zeigt ein erleichtertes Lächeln, als wäre sie froh darüber, dass Kohei gerade dieses Thema anspricht. »Wir hatten eine schreckliche Streberin in der Klasse. Können Sie sich vorstellen, dass Sie sogar vor den Lehrern die Klugscheißerin gegeben hat?«
»Wirklich? Was hat sie getan?«, fragt Kohei, dessen Lächeln zu einem Grinsen zu werden droht, und hebt sein Glas an die Lippen.
»Da war dieses eine Mal, wo sie vor der ganzen Klasse aufgedeckt hat, dass einer unserer Lehrer eine Affäre hat.«
Kohei verschluckt sich beinah an seinem Gin Tonik und es kostet ihn einige Mühe, Shiroma nicht ins Gesicht zu spucken.
»Er ist immer mit dem Fahrrad zur Schule gekommen, aber irgendwie hat sie herausgefunden, dass ihn seine Geliebte mit dem Auto gefahren hat und er nur für die letzten Meter das Fahrrad genommen hat. Das Dumme war, dass Aozora – das ist ihr Name – das nicht einmal gecheckt hat. Und so etwas hat sie ständig gemacht.«
Kohei bemüht sich um einen angemessen überraschten Gesichtsausdruck, der nicht verrät, wie sehr er lachen muss. Er kann sich so gut vorstellen, wie Rem ihrem Lehrer die Fakten und die daraus resultierende Schlussfolgerung darlegt, dass er nicht anders kann, als zu lachen. »Was meinen Sie damit, dass sie es selbst nicht gecheckt hat?«
Shiroma zuckt mit den Schultern und macht ein mürrisches Gesicht. »Sie war halt ne Klugscheißerin, die alle verbessern musste, auch wenn sie nicht wusste, worum es ging. Unserer Lehrer hat nur gesagt, wie lang der Weg ist, den er mit seinem Fahrrad zur Schule fährt, und Aozora meinte, dass er sich bis an die nächste Ecke der Schule fahren lässt und dann erst mit dem Fahrrad fährt.« Shiroma macht eine kurze Pause, um dem Barkeeper zuzunicken, der ihr ihren Gin Tonik hinstellt. »Ich weiß nicht mehr genau wie das war, nur dass es Mr. Omori voll aufgeregt hat und sie irgendwann darüber gesprochen haben, dass seine Frau ihn von der Schule abholt. Aber egal wie es war, über so etwas redet man doch nicht im Unterricht mit seinem Lehrer.«
Kohei nickt nur und hebt sein Glas, um Shiroma zuzuprosten und sie davon abzulenken, dass er schon wieder in Gelächter ausbrechen möchte. Denn die Geschichte, die Shiroma ihm erzählt hat, sagt ihm schon alles, was er wissen muss, um zu verstehen, wie Rem in der Schule war.
Sie hat ihren Lehrer berichtigt, weil er gelogen hat und wahrscheinlich, weil ihr aufgefallen ist, dass er unnötig oft betont hat, dass er mit dem Fahrrad fährt, um seine Affäre geheim zu halten. Rem ist sehr aufmerksam und nachdem Kohei ihre Eltern kennengelernt hat, versteht er, dass sie besonders empfindlich ist, wenn jemand sie mit falschen Tatsachen belügt. In ihrer Schulzeit, als sie noch bei ihren Eltern gelebt hat, war das vermutlich noch stärker der Fall.
Was ihn aber überrascht, ist, dass Rem dieses Gespräch im Unterricht geführt hat, wo sie doch so großen Wert darauf legt, das während der Arbeit möglichst nur über die Arbeit gesprochen wird. Und dass sie nicht sofort darauf gekommen ist, was ihr Lehrer zu verbergen versucht.
Es lässt ihn zwei Dinge vermuten, die es mit Shiromas Hilfe noch zu überprüfen gilt. Erstens: Die kleine Rem war noch zu unerfahren und zu jung, um auf den Gedanken zu kommen, dass ihr Lehrer eine Affäre haben könnte. Zweitens: Trotz ihrer Intelligenz und Aufmerksamkeit war sie begriffsstutzig, wenn es um andere Menschen und deren Gefühle und Beweggründe ging.
Der zweite Grund trifft heute noch teilweise zu, nur dass sie gelernt hat, einige Dinge für sich zu behalten. Rem meint es grundsätzlich gut, aber ihre Direktheit und Ehrlichkeit ist nicht immer willkommen und offenbar hat ihr das schon in der Schule Probleme bereitet. Er fragt sich, ob sie das damit gemeint hat, als sie sagte, sie wäre ungeschickt gewesen.
Kohei setzt sein Glas ab und stellt es auf den Tresen zurück, wobei er den Ellbogen aufstützt und seinen Oberkörper in Shiromas Richtung dreht. »Erzählen Sie mir mehr«, sagt er mit weicher Stimme und einem einladenden Lächeln. Rem wird ihn dafür später vermutlich schimpfen, aber das Bild von ihr als Schulmädchen, das sich mithilfe von Shiromas Erzählung in Koheis Kopf zu formen beginnt, ist zu unwiderstehlich, um sich davon abschrecken zu lassen.
»...weil es nur fair ist! Wie selbstgerecht muss man sein, um einem Lehrer zu sagen, dass man eine Strafe verdient hat. Sie wusste, dass sie nicht darum herumkommt und hat lieber so getan, als wäre sie voll damit einverstanden.« Shiroma schüttelt mit einem abfälligen Blick den Kopf, bevor sie ihr Glas leert.
»Ich verstehe, was Sie sagen wollen«, sagt Kohei, der während ihrer gesamten Unterhaltung nicht mit Grinsen aufhören kann, und er versteht es wirklich.
Es ist offensichtlich, dass Shiroma wenig für Rem übrig hat und so stellt sie Rem in einem schlechten Licht dar, während sie erzählt. Aber Kohei kennt Rem zu gut, um nicht trotzdem zu verstehen, was wirklich geschehen ist.
In ihrer letzten Geschichte zum Beispiel, in der Rem sich selbst und ein paar Jungen verpetzt hat, als sie in eine Schlägerei geraten sind. Der Gedanke allein, dass Rem in ihrer Schulzeit in eine Schlägerei verwickelt war, hat Kohei so sehr amüsiert, dass Shiroma ihm eigenartige Blicke zugeworfen hat, weil er seine Miene kaum unter Kontrolle halten konnte.
Leider weiß Shiroma nicht, weshalb Rem sich geprügelt hat, denn diesen Teil hatte Rem nicht verraten. Shiroma mutmaßt, dass es Rem peinlich gewesen sei, aber Kohei glaubt, dass Rem geschwiegen hat, weil es nicht um sie gegangen ist. Da sie aber auf diese Weise, den Lehrern die Möglichkeit genommen hat, die Situation zu beurteilen, war es nach ihrem Verständnis selbstverständlich, bestraft zu werden. Es hatte nichts mit Selbstgerechtigkeit oder Stolz zu tun.
»Wow, Sie sind so ein geduldiger Zuhörer, Mr. Inouye!« Shiroma lächelt ihn mit klimpernden Wimpern an und lehnt sich etwas vor, sodass sie ihre Hand auf seinem Arm platzieren kann. »Da setze ich mich zu Ihnen und kotze mich über jemanden aus, den Sie gar nicht kennen, und das bei unserem ersten Treffen.«
Koheis Blick huscht zu ihrer Hand auf seinem Arm. »Keine Sorge, ich habe die Unterhaltung mit Ihnen genossen«, antwortet er und greift nach seinem Glas, wobei er beiläufig seinen Arm unter ihrer Hand hervorzieht. »Aber jetzt will ich Sie nicht länger von ihren Klassenkameraden fernhalten. Nach all den Erinnerungen wäre es eine Schande, wenn Sie diesen Abend nicht ausschöpfen, denken Sie nicht?«
Shiroma blinzelt überrascht und Kohei bereitet sich schon darauf vor, dass sie seinen sanften Anstoß ignoriert, aber dann steht sie tatsächlich auf. »Sie haben recht. Ich will nicht, dass jemand geht, von dem ich mich noch verabschieden will.«
Kohei sieht sie mit gerunzelter Stirn an. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wirkt plötzlich etwas hämisch, aber dann streicht sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und ihr Lächeln ist wieder so fröhlich wie es vorher war. »Aber bevor ich gehe, würden Sie mir ihre Karte geben? Als Abschiedsgeschenk.«
»Meine Karte?«, wiederholt Kohei, in der Hoffnung, dass sie seinen Widerwillen bemerkt. Da sie ihm ihre gegeben hat, wäre es höflich den Gefallen zu erwidern, aber da sie im Grunde nichts miteinander zu tun haben, will er keinen falschen Eindruck vermitteln.
Shiroma lehnt sich etwas vor. »Falls ich mich noch einmal über Aozora auskotzen muss«, sagt sie mit gesenkter Stimme und einem Zwinkern.
Kohei lacht leise. »Natürlich.« Er zieht sein Portemonnaie heraus und reicht ihr eine seiner Karten.
Shiroma nimmt seine Karte mit einem aufgeregten Quietschen entgegen. »Ich danke Ihnen vielmals! Ich schwöre, Sie zu treffen, war das Beste, was mir je passiert ist!«
Kohei lacht, und das nicht nur wegen Shiromas überschwänglicher Freude. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Ms. Shiroma.«
»Ich wünsche Ihnen einen noch viel besseren!«, erwidert Shiroma und winkt ihm aufgeregt zu, bevor sie sich beschwingten Schrittes auf den Weg in den Wintergarten macht.
»Oh, den werde ich haben«, murmelt Kohei, während er ihr hinterher sieht. Er hat das Gespräch absichtlich auf Rem gelenkt, aber Shiroma hat sich nicht geziert, vor einem fremden Mann in größter Ausführlichkeit über Rem herzuziehen. Und es war nicht zu übersehen, welch Erleichterung und Freude es ihr bereitet hat, was Kohei zeigt, dass sie kein besonders guter Mensch ist. Zu ihrem Unglück aber ist Kohei das auch nicht.
»Inouye?«, wiederholt Inugami und zieht nachdenklich die Brauen zusammen. Dann sieht er Rem an. »Ist das nicht -«
»Toshiro Inouye ist der Eigentümer des Emerald, wusstest du das nicht?«, sagt Rem, bevor er erwähnen kann, dass sie von jemandem mit demselben Namen angerufen wurde. Immerhin scheint sein Gedächtnis nicht das beste zu sein. »Es ist also nicht ungewöhnlich, seinen Enkel hier zu treffen, auch wenn ich dachte, dass solche Leute eher unter sich bleiben.«
Inugami macht ein verdutztes Gesicht. Dann zuckt er mit den Schultern.
»Aber Shiroma hat gesagt, sie hat sich mit ihm unterhalten«, sagt Asami mit ehrfürchtiger Stimme. »Und dass er draußen an der Bar sitzt.« Sie nimmt den Blick von Shiroma, die noch immer aufgeregt von ihrer Begegnung mit Kohei redet, und sieht Kaho und Rem an. »Wollen wir auch zur Bar gehen? Er sitzt vielleicht immer noch da.«
»Wieso?«, fragt Rem, genervt davon, dass Kohei nun mehr eine Attraktion für ihre Klassenkameraden geworden ist.
»Sie hat recht. Wir sollten uns nicht wie Touris benehmen, die eine Sehenswürdigkeit bewundern«, sagt Kaho und Rem nickt bestärkend.
»Seid ihr sicher?«, fragt Asami, während sie ihr Smartphone aus der Tasche zieht. Sie tippt ein paar Mal darauf herum, bevor sie es Kaho und Rem hinhält.
Rem richtet ihren Blick auf das Display, auf dem ein Schwarzweißbild zu sehen ist. Kohei ist darauf abgebildet, einen Arm lässig hinter dem Kopf angewinkelt und mit einem unschuldigen, verspielten Lächeln auf dem Gesicht. Er trägt kein Oberteil und seine zerzausten Haare lassen es wirken, als sei er gerade aus dem Bett gestiegen. Und er sieht jünger aus. Seine Gesichtszüge sind weicher und jugendlicher, und sein Oberkörper schmaler und weniger muskulös. Aber er strahlt denselben unwiderstehlichen Charme aus wie heute.
»Lass uns gehen!«, sagt Kaho inbrünstig und Rem sieht sie empört an.
»Verurteile mich nicht, Rem. Wir haben nicht alle ein Model als Freund.«
»Genau!«, stimmt Asami energisch zu. »Oder willst du behaupten, dein Typ ist noch heißer?«
»Ähm«, macht Rem, die nicht weiß, wie sie darauf antworten soll. Dann schüttelt sie den Kopf. »Nur weil er gut aussieht, sollten wir ihm nicht nachstellen. Er musste schon Shiroma ertragen«, sagt Rem, die die Frage, worüber Shiroma mit Kohei geredet hat, das ihr so unerträglich gute Laune macht, lieber auf später verschiebt.
»Ihr macht einen Aufstand wegen diesem Burschen. Der sieht niemals in echt so aus!«, sagt Inugami, der über Kaho hinweg auf Asamis Handy schaut. Er klingt mürrisch.
»Sagt der Kerl, der vorhin wegen dem Bild von Rem ganz aus dem Häuschen war«, sagt Kaho.
»Das ist etwas anderes. Ich kenne Aozora!«
»Wir hatten sowieso nicht vor, dich mitzunehmen«, sagt Asami mit einer wegwerfenden Handbewegung in seine Richtung.
»Ich will auch gar nicht mitkommen!«, erwidert Inugami etwas patzig. Dann schnaubt er. »Wenn ich das mit ein paar Freunden bei einer Frau machen würde, würde man es ‚nachstellen‘ nennen.«
»Weil Männer es selten bei ‚nur gucken‘ belassen können«, ruft Asami ihm hinterher, während Inugami sich grummelnd vom Acker macht.
»Dann los«, flötet Kaho und hakt sich, bei Rem unter.
»Einen Moment, ich habe noch nicht zugestimmt!«, beharrt Rem, wird jedoch ungeachtet dessen von Kaho und Asami Richtung Ausgang gezogen.
Rem versucht, kein allzu trotziges Gesicht zu machen. Sie kann sich vorstellen, dass Kohei sie bemerken wird und nachher wird er sich damit brüsten, dass sie mit ihren Freundinnen gekommen ist, um ihn anzuhimmeln.
Allerdings nimmt ihr Widerwillen erheblich ab, als sie an Kohei denkt und den selbstgefälligen Ausdruck auf seinem Gesicht, der nur schlecht seine Freude darüber verbirgt, dass sie ihm mit ihren Freundinnen ‚nachstellt‘. Und mit einem Mal gefällt ihr der Gedanke, Kohei zu sehen und wenn es nur ein kurzer Blick ist. Doch noch bevor sie den Wintergarten verlassen, werden sie aufgehalten, von niemand anderem als Mr. Isobe.
Rem, die nicht erwartet hat, dass der Hotelmanager hier auftauchen würde, hat nicht die Zeit, auch nur in Erwägung zu ziehen, sich zu verstecken, bevor Mr. Isobes Augen sich auf sie richten.
Er lächelt höflich und scheint kein bisschen überrascht, sie hier zu sehen.
Rem flucht innerlich. Sie wusste es! Das Essen war viel zu gut für das billigste Menü!
Mr. Isobe bleibt vor ihnen stehen. »Bitte verzeihen Sie die Störung, ich wollte nur nachsehen, ob alles zu Ihrer Zufriedenheit ist.«
Rem bemerkt, dass er beim Sprechen zu ihr schaut, aber sie richtet ihren Blick fest auf Asami.
»Oh, ja, natürlich.« Asami stottert etwas und streicht sich nervös ein paar Haare zurück. »Wie freundlich von Ihnen. Der Wintergarten ist wunderschön und das Essen war unglaublich. Es war noch viel besser, als ich erwartet habe.«
»Es freut mich, dass Ihnen Ihr Aufenthalt gefällt und falls Sie noch etwas benötigen, zögern Sie nicht, unsere Angestellten anzusprechen.« Mr. Isobes Stimme klingt weich und ruhig, aber Rem starrt weiterhin stur Asami an.
Steckt Kohei dahinter? Aber dann hätte er Mr. Isobe gesagt, dass er nicht herkommen darf, weil er sich damit verraten würde.
»Vielen Dank! Und was die Rechnung angeht, die schicken Sie mir zu, richtig?« Asamis Stimme klingt noch nervöser als zuvor und Rem tippt, dass auch ihr aufgefallen ist, dass das Essen luxuriöser war, als es sein sollte.
Diesmal antwortet Mr. Isobe nicht sofort und Rem wirft ihm einen Blick zu.
»Verzeihung, aber von welcher Rechnung sprechen Sie?«
Asami macht ein verdutztes Gesicht. »Für unsere Buchung. Man hat mir gesagt, die Rechnung würde mir zugeschickt.«
»Oh, ich verstehe!« Mr. Isobe legt sich eine Hand auf die Brust und lächelt Asami an, die recht steif ein Nicken zustande bringt. »Als Sie die Buchung vorgenommen haben, war uns nicht klar, dass es sich bei Ihnen um Hausgäste handelt, daher verzeihen Sie die Falschinformation. Selbstverständlich wird das Haus für Ihre Kosten aufkommen.« Mr. Isobe lächelt wohlwollend, wobei er erneut Rem einen Blick zuwirft, als wolle er sagen, dass sie sich um nichts zu sorgen braucht.
Rem jedoch verspürt keineswegs Erleichterung. Sie beißt sich auf die Lippe, während sie innerlich Kohei verflucht. Sie hätte es wissen müssen! Er hat viel zu leicht aufgegeben!
»Eh?« Asamis ungläubige Stimme lässt Rem wieder zu ihr sehen. »Hausgäste? Nein, das muss ein Missverständnis sein. Wir sind hier für ein Klassentreffen. Wir sind keine Hausgäste.«
»Verzeihung?« Mr. Isobe runzelt fragend die Stirn. Dann sieht er zu Rem, die ihrerseits ihr Bestes tut, um Mr. Isobe per Augenkontakt über die Situation zu informieren.
Mr. Isobe neigt leicht den Kopf, bevor er sich wieder an Asami wendet. »Seien Sie versichert, es handelt sich nicht um ein Missverständnis. Bitte machen Sie sich keine Sorgen und genießen Sie den Rest des Abends.«
Asami öffnet den Mund, aber sie ist offenbar sprachlos, denn es kommt kein Ton heraus.
Mr. Isobe verneigt sich höflich, doch bevor er sich abwenden kann, tritt jemand neben Rem.
»Warten Sie einen Moment!« Shiroma spricht mit lauter Stimme und sie hat ein eigenartiges Glühen in den Augen, als wäre sie aufgeregt. »Wollen Sie sagen, wir bezahlen für diesen gesamten Abend, die Location, das Essen und das alles, überhaupt nichts? Rein gar nichts?«
Mr. Isobe schenkt auch ihr ein Lächeln. »Das ist korrekt.«
»Das kommt sehr plötzlich! Und Sie scheinen erst kürzlich darüber informiert worden zu sein.«
Mr. Isobe neigt fragend den Kopf. »Wie meinen Sie?«
Ein verschmitztes Lächeln erscheint auf Shiromas Lippen und sie macht einen Schritt auf Mr. Isobe zu. »Liege ich richtig damit, dass wir Gäste von Mr. Kohei Inouye sind?«, fragt sie, wobei sie Rem mit einem herausfordernden Blick ansieht.
»Wie ich sehe, wissen Sie Bescheid«, sagt Mr. Isobe, der Shiromas Blick offensichtlich falsch gedeutet hat. »Bitte entschuldigen Sie mich.« Er verbeugt sich ein weiteres Mal, bevor er sich umdreht und zurück in Richtung Haupthalle des Hotels geht.
Einen Moment ist es still.
»Was ist gerade passiert?«, fragt Kaho dann in nüchternem Tonfall, als wüsste sie nicht, welche Emotion in dieser Situation angebracht wäre.
Dann stößt Shiroma einen schrillen Freudenschrei aus. »Ahh! Ich wusste es! Es hat total gefunkt!«
»Was?!« Rem, die bei Shiromas Schrei einen Schritt von ihr weg getreten ist, sieht sie nun empört an.
»Würdest du uns sagen, was hier los ist?«, fragt Asami reichlich verwirrt. Auch die meisten ihrer Klassenkameraden haben sich um den Eingang herum versammelt und beobachten, was vor sich geht. Nur Yuji entdeckt Rem nicht, worüber sie in diesem Moment ganz froh ist.
»Das ist doch offensichtlich!«, sagt Shiroma mit lauter Stimme und mit vor Aufregung geröteten Wangen. »Habe ich nicht gesagt, dass ich Mr. Inouye getroffen habe und wir ewig gequatscht haben. Er war so ein Gentleman! Aber ich wusste ja nicht, dass er unsere Unterhaltung so genossen hat.«
»Und du glaubst, deswegen hat er die Kosten für die gesamte Klasse übernommen?«, fragt Asami skeptisch und Rem schnaubt. »Natürlich nicht! Wieso sollte er so viel Geld für jemanden ausgeben, mit dem er sich nur ein paar Minuten unterhalten hat.« Ihre Stimme klingt um einiges frostiger als beabsichtigt.
Shiromas Blick richtet sich spöttisch auf sie. »Ach bitte! Seine Familie ist so reich, was sind da schon ein oder zwei Millionen Yen? Für ihn ist das gar nichts!«
»Es sind mindestens vier Millionen«, sagt Rem. Koheis Schätzung von zwei Millionen Yen wäre sogar für das billigste Menü bescheiden gewesen. »Das ist viel Geld und deine Schlussfolgerung, dass er es ohne Weiteres für dich ausgegeben hat, ist sehr weit hergeholt.«
»Wieso regst du dich denn so auf, Aozora?« Shiromas Grinsen wird breiter. »Du hast den Mann doch gehört. Wir sind Gäste von Kohei Inouye.« Sie breitet die Arme aus und sieht zu ihren Mitschülern um sie herum. »Wenn einer von euch Kohei Inouye persönlich kennt, auch wenn es nur eine kurze Unterhaltung war, soll er jetzt etwas sagen!«, sagt sie mit lauter Stimme.
Einige ihrer Klassenkameraden tuscheln daraufhin miteinander, aber niemand ergreift das Wort.
Shiromas Blick richtet sich wieder auf Rem und ein zufriedenes Grinsen verzieht ihre Lippen. »Hat jemand ihn je in Person gesehen?«, fragt sie, weiterhin mit lauter Stimme, aber auch diesmal meldet sich niemand.
»Das heißt, niemand hier hat irgendeine Verbindung zu Kohei Inouye, hat mit ihm gesprochen oder ihn auch nur gesehen?« Shiroma hebt den Arm und streckt ihn Rem entgegen. »Außer mir natürlich, der er sogar seine Karte gegeben hat, damit wir in Kontakt bleiben können.«
Rem starrt die Karte an, die Shiroma ihr vor die Nase hält. Es ist definitiv Koheis und dieser Umstand wirft so viele Fragen auf, dass sie nur wie erstarrt da stehen kann. Warum sollte er ihr seine Karte geben? Konnte es sein, dass Shiroma ihn in so kurzer Zeit so sehr beeindruckt hat, dass er sie besser kennenlernen will? Er ist nicht der Typ, der leicht zu beeindrucken ist und schon gar nicht von oberflächlichen Charakteren wie Shiroma. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass sie ohne sein Wissen an seine Karte herangekommen ist?
Nein, er muss sie ihr selbst gegeben haben. Vielleicht weil er weiß, dass Shiroma eine ihrer Klassenkameradinnen war. Aber weshalb sollte er ihr deswegen seine Karte geben? Und ausgerechnet Shiroma?
»Noué?«, sagt Kaho dann plötzlich, die noch immer bei Rem untergehakt ist, und Rem versteift sich, als sie sich daran erinnert, dass sie Kaho ihre Karte gegeben hat, als sie sich über ihre Jobs unterhalten haben.
Kahos Blick richtet sich auf Rem. »Arbeitest du nicht auch da?«
Rem presst fest die Lippen aufeinander.
»Was?!« Shiromas selbstbewusstes Grinsen rutscht von ihrem Gesicht.
»Ja, es ist sogar dieselbe Abteilung.«
Rem spürt Kahos fragenden Blick auf sich, aber sie sieht absichtlich woanders hin. Ihr Blick fällt auf Inugami, der ein Gesicht macht, als wäre ihm ein Licht aufgegangen. »Eh?! Dann war der Kerl -«
»Noch ein Wort, Inugami, und du hast wirklich ein Loch im Fuß!«, faucht sie ihn an und er muss den Ernst der Situation zur Abwechslung begreifen, denn er macht einen Schritt rückwärts und hebt schützend die Arme vor die Brust. »Okay«, piepst er.
»Wie jetzt?«, fragt nun auch Asami und Rem richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf die drei Frauen. »Du kennst Kohei Inouye?«
Rem öffnet den Mund, aber jemand anderes kommt ihr zuvor.
»Nein, tut sie nicht!« Shiromas Stimme ist so energisch, dass Rem sie verdutzt ansieht.
Shiroma hebt eine Hand und deutet in die Richtung, in der die Bar liegt. »Ich habe über dich geredet! Ich habe sogar deinen Namen gesagt, während ich ihm erzählt habe, wie unglaublich nervig du in der Schule warst und er hat nicht mit einem Wort erwähnt, dass er dich kennt!« Sie senkt den Arm und macht einen Schritt vor. »Er hat sogar gelacht!«
»Ihr habt über mich geredet?!«, fragt Rem, die Shiromas intensiven Blick kaum bemerkt. »Was hast du ihm gesagt?«
Shiroma blinzelt, wohl irritiert von der Schärfe in Rems Stimme. Sie lehnt sich wieder zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. »Ich habe ihm erzählt, was für eine Klugscheißerin du warst und wie du allen das Leben schwer gemacht hast. Und?«
»Was genau?!«, beharrt Rem mit einer bösen Vorahnung.
Shiroma mustert sie eingehend. »Keine Ahnung, die alten Geschichten halt. Wie du Mr. Omori bloßgestellt hast und von der Prügelei mit dem Fußballclub…«
Rem gibt ein Zischen von sich und fährt sich mit einer Hand durchs Haar, in der Hoffnung, dass es von der Röte ablenkt, die ihr in die Wangen steigt. »Wieso erzählst du ihm das?!«, faucht sie Shiroma an, wobei sie ihre Hand über ihrem Gesicht lässt. Kohei hat also mit Shiroma geredet, weil sie ihm von Rem erzählt hat. Aber wieso ausgerechnet Shiroma? Sie hat ihm bestimmt nur die peinlichsten Geschichten erzählt, wobei sie Rem auf die schlimmst mögliche Art dargestellt hat.
»Was ist los mit dir, Aozora?« Shiromas Stimme hat einen spöttischen Unterton. »Du bist ganz rot im Gesicht.«
Rem beißt sich auf die Lippe und weicht Shiromas Blick aus. An diesem Punkt gibt es wohl keinen Grund, weiter ein Geheimnis daraus zu machen. Zumal Rem Shiromas offensichtliches Interesse an Kohei nicht gefällt.
»Sag bloß!« Shiroma kichert und Rem wirft ihr einen Blick zu.
»Ist das Eifersucht?«
Rem verzieht genervt das Gesicht und als wäre das eine Errungenschaft, klatscht Shiroma begeistert in die Hände. »Ist das der Grund, weshalb du nicht erzählt hast, dass du Mr. Inouye kennst? Weil du heimlich in ihn verknallt bist?«
»Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht«, sagt Kaho, wobei sie Rems Arm drückt, als wolle sie ihr ihre Unterstützung zusichern.
Shiroma hebt in einer unschuldigen Geste die Hände. »Sag das nicht so, als wäre ich hier die Böse. Ich gebe Aozora nur einen gut gemeinten Rat, um ihr Leid zu ersparen. Denn Mr. Inouye scheint sie leider überhaupt nicht zu mögen.« Für jemanden, der einen gut gemeinten Rat gibt, hat sie ein viel zu schadenfrohes Grinsen auf dem Gesicht.
»Denkst du nicht, dass das ein bisschen zu weit geht, Shiroma?«, sagt nun auch Asami. »Du hast doch mitbekommen, dass Aozora einen Freund hat. Sie und Mr. Inouye arbeiten vielleicht zusammen, aber das heißt doch noch nichts.«
Shiroma gibt ein amüsiertes Schnauben von sich. »Du meinst, dieser ältere Mann, mit dem sie wahrscheinlich nur ausgeht, um ihre Karriere zu verbessern? Wieso sollte sie deswegen keine Gefühle für Mr. Inouye haben? Das macht es doch eher noch wahrscheinlicher.«
»Du gehst wirklich zu weit!«, sagt Kaho energischer als zuvor.
Währenddessen sieht Rem sich um. Es ist nicht überraschend, dass sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, so wie Shiroma es am liebsten hat.
»Wieso geht ihr beide auf mich los?«, sagt Shiroma in derselben Lautstärke wie Kaho, wobei die Empörung in ihrer Stimme nicht überzeugend ist. »Aozora kann für sich selbst sprechen!«
Alle Augenpaare richten sich auf Rem.
»Sei ehrlich«, sagt Shiroma in herausforderndem Tonfall. »Bist du oder bist du nicht in Mr. Inouye verliebt?«
Rem seufzt. »Bin ich.«
Shiroma blinzelt verdutzt und auch Kaho und Asami werfen Rem verwirrte Blicke zu, aber Rem sieht weiter Shiroma an. »Würdest du jetzt bitte mit diesem Zirkus aufhören? Es ist peinlich.«
Shiromas Augen weiten sich. Dann vertieft sich das aufgeregte Rot auf ihren Wangen, auch wenn es diesmal nicht von Aufregung zu stammen scheint. »Ich bin peinlich?! Nachdem du vor allen zugegeben hast, in einen Mann verliebt zu sein, der nicht dein Freund ist?! Du solltest dich schämen!«
Rem legt die Stirn in Falten. Vielleicht ist sie dafür zu aufgebracht, aber Shiroma scheint nicht in der Lage zu sein, eins und eins zusammenzuzählen.
»Ich glaube, sie hat das nur gesagt, damit du aufhörst, Shiroma«, sagt Asami und hebt schlichtend die Hände.
Rem wirft ihr einen Blick zu und denkt sich, dass die Schlussfolgerung, dass Kohei und ihr älterer Freund ein und dieselbe Person sind, wohl doch nicht so naheliegend ist.
»Willst du mich verarschen?!« Shiroma sieht zwischen Rem und Asami hin und her. Dann gibt sie ein lautes Stöhnen von sich, wobei sie sich mit der Hand Luft zufächelt, als müsse sie sich beruhigen. »Das ist wirklich dumm von dir, Aozora! Als seine Kollegin solltest du das eigentlich wissen, aber Mr. Inouye ist eine hochgestellte Persönlichkeit. Glaubst du, er würde sich freuen, wenn er wüsste, dass du Lügen in aller Öffentlichkeit über ihn erzählst.«
»Das habe ich nicht«, antwortet Rem knapp.
»Haha! Du bist wirklich schamlos!« Shiroma klatscht in die Hände. »Willst du Gerüchte darüber verbreiten, dass ihr eine Affäre habt? Muss ich dich daran erinnern, wie es Mr. Omori ergangen ist?«
Daraufhin sagt Rem nichts. Sie ist sich nicht ganz sicher, weil sie sich nie für Tratschblätter interessiert hat, aber wenn Gerüchte über Kohei so leicht entstehen, wie Shiroma sagt, dann gibt es sie bestimmt schon. Es klingt jedenfalls, als würde sie Rem nicht glauben, selbst wenn sie ihr geradeheraus sagen würde, dass sie mit Kohei zusammen ist.
Shiroma deutet auf den Eingang des Wintergartens, vor dem sie noch immer stehen. »Gehen wir und fragen wir ihn. Er sitzt bestimmt noch an der Bar. Es spricht doch nichts dagegen, ihn persönlich zu fragen.«
»Ich denke nicht, dass wir Mr. Inouye hier mit hineinziehen sollten«, sagt Asami.
»Ja, ich denke auch, dass du dich beruhigen solltest, Shiroma«, sagt Kaho.
Shiroma hebt abwehrend die Hände. »Ich bin ruhig. Und ich glaube nicht, dass Mr. Inouye ein Problem damit hätte. Im Gegenteil, es wird ihn brennend interessieren.«
»Oh, ich bin in der Tat sehr interessiert.«
Rems Blick zuckt zum Eingang, durch den in diesem Moment Kohei den Wintergarten betritt. Mit der blauen Krawatte, die Rem ihm geschenkt hat, locker um den Kragen gebunden und einer Hand in der Hosentasche seines dunkelblauen Anzugs, macht er einen lässigen Eindruck, ohne es dabei zu versäumen, zu beweisen, wie ausgezeichnet ihm der Anzug passt.
Seine goldenen Augen sind mit einem amüsierten Funkeln auf Rem gerichtet und ein schwaches Lächeln umspielt seine Lippen, was Rem verrät, dass dieser Teil des Abends genauso verlaufen ist, wie er es wollte. Und trotzdem spürt Rem, wie ihre Unruhe, der Ärger und das ungute Gefühl in ihrem Bauch, das der Verlauf des Abends mit sich gebracht hat, dahinschmelzen.
»Oh mein Gott!«, hört sie dann Asami wispern und auch Kaho schnappt leise nach Luft.
»Mr. Inouye!«, flötet Shiroma, deren Stimme plötzlich eine Oktave höher klingt und Rem spürt, wie sich eine Falte auf ihrer Stirn bildet.
Koheis Blick zuckt zu Shiroma, die ihm entgegenkommt. »Ms. Shiroma«, sagt er viel zu freundlich für Rems Geschmack. »Mr. Isobe hat mich darüber informiert, dass es einige Unklarheiten gibt und ich dachte, ich könnte helfen, sie aufzuklären.«
»Oh, wow, das ist so freundlich von Ihnen!« Shiroma strahlt Kohei überschwänglich an und Rems Miene verdüstert sich weiter.
»Aber Sie hätten mir sagen sollen, dass Sie Ms. Aozora kennen. Sie haben mich in eine unangenehme Lage gebracht.« Shiromas Tonfall wechselt zu schmollend.
Kohei schenkt ihr daraufhin ein perfektes Lächeln. »Tatsächlich?«
Rems Augen schmälern sich. Sie kennt dieses Lächeln. Und mit einem Mal versteht sie, weshalb Kohei Shiroma seine Karte gegeben hat. Sie hat ihn wütend gemacht.
»Ich vergebe Ihnen, weil Sie so gut aussehen.« Shiroma zwinkert ihm zu und Rems Miene verdüstert sich wieder. Aber diesmal nimmt Shiroma den Blick von Kohei, um zu Rem zu sehen und ihr Lächeln verzieht sich zu einem hämischen Grinsen. »Außerdem sind Sie so großzügig. Sie bezahlen diesen Abend doch für uns, weil Ms. Aozora Ihre Kollegin ist, oder nicht?« Shiromas Blick kehrt zu Kohei zurück.
»Ich fürchte, ich bin nicht derart entgegenkommend gegenüber meinen Kollegen«, antwortet er, nach wie vor lächelnd.
»Wirklich?« Shiromas Miene hellt sich sichtlich auf und sie hebt eine Hand, um Koheis Arm zu berühren. »Aber die einzige Person in diesem Raum, die Sie abgesehen von Ms. Aozora kennen, bin ich, oder nicht?«
Kohei blinzelt und sein Lächeln verblasst mit seiner Überraschung etwas. Aber dann lacht er leise. »Worauf wollen Sie hinaus?«
Shiroma lächelt kokett und sieht wieder zu Rem. »Auf gar nichts. Aber Ms. Aozora tut mir leid. Wo sie doch gerade zugegeben hat, in Sie verliebt zu sein.«
»Shiroma!« Kaho lässt Rems Arm los, um einen wütenden Schritt auf Shiroma zuzumachen. »Du weißt genau, dass Rem es nicht -« Sie bricht ab, als Rem ihr eine Hand auf die Schulter legt. Aber ihr Blick ist auf Kohei gerichtet, der seinerseits sie mit vor Überraschung geweiteten Augen ansieht.
»Was ist dein Problem, Umesaka?«, sagt Shiroma mit kaum unterdrückter Genugtuung in der Stimme. »Ich helfe Aozora nur, sodass sie hören kann, was Mr. Inouye davon hält. Und er sollte es wissen, denkst du nicht auch, Aozora? Du magst es doch, wenn die Karten offen auf dem Tisch liegen.«
Rem ignoriert Shiroma und sieht Kohei mit vor der Brust verschränkten Armen an.
»Ist das wahr, Ms. Aozora?«, fragt Kohei, der sich offensichtlich Mühe geben muss, um nicht zu grinsen. Denn seine Augen sprühen vor Vergnügen. »Haben Sie vor all diesen Leuten zugegeben, in mich verliebt zu sein?«
Rem erwidert seinen Blick mürrisch. »Hast du ein Problem damit?«, fragt sie, nicht daran interessiert bei seinem Spiel mitzuspielen.
»R-Rem?«, stammelt Kaho und aus dem Augenwinkel sieht Rem, wie sie ihr einen verdatterten Blick zu wirft.
Auch Kohei macht ein verdutztes Gesicht. Aber dann entkommt ihm ein Kichern, das er zu verbergen versucht, indem er seine Faust vor seinen Mund hält und sich vernehmlich räuspert. »Für jemanden der in mich verliebt sein soll, sind Sie sehr unfreundlich.«
Rem verdreht die Augen. »Musst du die Situation so dramatisch machen?«
Koheis Lippen verziehen sich auf eigenartige Weise, als er erneut ein Lachen zurückhält. »Aber die Situation ist dramatisch«, sagt er, während er beiläufig seinen Arm aus Shiromas Griff zieht und sich vor Rem stellt. Er sieht auf sie hinab und diesmal ist seine Miene völlig ernst. Dann hebt er die Hand. »Wie kannst du vor so vielen Menschen deine Gefühle für mich gestehen...« Seine Finger umfassen ihr Handgelenk und er zieht sanft, sodass sie ihre verschränkten Arme löst. Ein Lächeln beginnt seine Lippen zu umspielen und ohne den Blick von Rems Augen zu nehmen, beugt er sich über ihre Hand, sein freier Arm hinter dem Rücken, als würde er sich verbeugen. »Und es mir vorenthalten?«, fügt er mit samtweicher Stimme hinzu, bevor er einen Kuss auf ihre Knöchel setzt. Dabei sieht er sie über ihre Hand hinweg an und zwinkert ihr zu.
Rem würde über die Theatralik schnauben, aber sie ist zu beschäftigt, von seinem Charme bezaubert zu sein. Er ist attraktiver als gut für ihn ist, denkt sie, als auch der letzte Rest Ärger verfliegt, den sie seinetwegen verspürt hat.
»Oh Senpai! Du bist hier!« Die Stille, die auf Koheis letzte Worte folgte, wird von Yuji unterbrochen, der, offenbar ohne die Spannung im Raum zu bemerken, den Wintergarten betritt.
Kohei richtet sich auf und sieht Yuji an, ohne Rems Hand loszulassen. »Yuji?«, sagt er mit einem leichten Stirnrunzeln. »Was tust du hier?«
Rem wirft ihm einen Blick zu. Sie ist sich nicht sicher, ob er überrascht tut, da Yuji offiziell rein zufällig hier ist oder ob er Yuji signalisieren will, dass er gehen soll.
Yuji jedenfalls grinst ihn unbekümmert an. »Nee-sans Freunde haben mich eingeladen. Ist das nicht nett, Senpai?«
Kohei lächelt nur nichtssagend.
»Moment, ‚Senpai‘?«, wiederholt Asami und ihre Stimme klingt etwas rau. »Hast du nicht Aozoras Freund so genannt?«
Yuji blinzelt und legt verwirrt den Kopf schief. »Ja. Kohei-Senpai ist Nee-sans Freund.«
Asami reißt den Kopf herum, um Rem mit Entsetzen anzusehen und sie ist nicht die einzige.
»Ich wusste es!«, ertönt Inugamis Stimme. »Das ist der Kerl, der Aozora vorhin angerufen hat!«
Rem wirft ihm einen missbilligenden Blick zu.
»Ah!« Auch Kohei richtet seine Aufmerksamkeit auf Inugami. »Dann sind es Sie, dessen Namen meine Freundin mir vorhin ins Ohr gebrüllt hat.« Er lächelt, aber es wirkt nicht unbedingt freundlich.
Inugami jedoch scheint das nicht zu bemerken. »Ich wusste doch, dass es ‚Mr. Inouye‘ war! Ich dachte schon, jetzt kann ich mich gar nicht mehr auf mein Gedächtnis verlassen!«
»Mr. Inouye?«, wiederholt Kohei und sieht Rem an. »Bin ich immer noch mit meinem Nachnamen in deinem Handy eingespeichert?«
Rem zieht ihre Hand aus Koheis Griff, um erneut ihre Arme vor der Brust zu verschränken und sieht zur Seite. »So wie es sich für einen Kollegen gehört.« Sie ist nicht mehr wütend auf ihn, aber diese ganze Situation ist trotzdem seine Schuld.
»Eh?«
Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie Kohei sich versteift.
»Rem? Bist du wütend auf mich?«
Aber Rem antwortet ihm nicht, da ihr Blick auf Kaho gefallen ist, die neben ihr steht und mit leicht geöffnetem Mund zwischen Kohei und ihr hin und her sieht.
»Ähm«, macht sie, als sie Rems Blick bemerkt. »Bist du wirklich mit Kohei Inouye zusammen?«
»W-Warte mal!« Shiromas zittrige Stimme kommt Rem zuvor. Shiroma hat die Hände erhoben und ihre Mundwinkel beben unter der Anstrengung, ein Lächeln auf den Lippen zu behalten. Nicht, dass es so aussehen würde, als fände sie etwas an dieser Situation erheiternd. »Du hast gesagt, du gehst mit einem alten ausrangierten Model aus!«
Neben Rem versteift sich Kohei. »Alt und ausrangiert?«, wiederholt er mit etwas dünner Stimme.
»Ich habe gesagt, mein Freund hat bestimmte Beziehungen, weil er früher gemodelt hat und dass er älter ist als ich«, antwortet Rem mit ruhiger Stimme. »Ich weiß, dass du das missverstanden hast, aber mein Privatleben geht dich nichts an.«
Shiroma lacht auf, wobei sie etwas hysterisch klingt, und verschränkt die Arme vor der Brust. »Ja, das sehe ich! Deswegen musst du es uns gerade allen unter die Nase reiben!« Sie sieht zu Kohei und ihr Gesichtsausdruck, den sie gerade wieder unter Kontrolle bekommen hat, beginnt zu bröckeln. »Sie haben mich ganz schön reingelegt! Und vorhin haben Sie eindeutig gelogen, als Sie gesagt haben, Sie würden unsere Rechnung nicht ihretwegen bezahlen!«
»Nein, ich habe gesagt, dass ich für keinen meiner Kollegen so entgegenkommend wäre. Und Rem ist kein Hausgast, weil sie meine Kollegin ist.«
Shiroma schnaubt. »Und davor? Sie haben sich mit mir über sie lustig gemacht! Sie haben sie ausgelacht! Und Sie haben gesagt, Sie haben die Unterhaltung mit mir genossen!«
Jemand zieht scharf die Luft ein, aber es ist nicht Kohei. »Sie haben sich vor Senpai über Nee-san lustig gemacht?«, fragt Yuji mit großen Augen und legt dann die Hände vor der Brust zusammen, als würde er beten. »Rest in Peace, Lady.«
Shiroma wirft Yuji einen irritierten Blick zu.
»Sie haben recht, Ms. Shiroma, aber Sie haben die falschen Schlüsse aus ihren Beobachtungen gezogen«, sagt Kohei, ohne Yuji Beachtung zu schenken. »Ich habe mich mit Ihnen unterhalten, weil ich wusste, dass Sie mit Rem zur Schule gegangen sind und dachte, Sie könnten mir etwas über sie erzählen. Wie ich zu Rem stehe, habe ich verschwiegen, weil Rem mich darum gebeten hat. Sie haben dieses Treffen organisiert und sie wollte Ihre Arbeit nicht durch mich zunichtemachen.« Er legt Rem beim Sprechen eine Hand um die Taille und schenkt ihr ein Lächeln. »Und das, worüber ich mich amüsiert habe, waren die Geschichten über Rem, die Sie erzählt haben.« Sein Blick kehrt zu Shiroma zurück. »Natürlich ist mir Ihre Einstellung zu Rem nicht entgangen, aber es ist Ihr gutes Recht, jemanden nicht zu mögen. Zumal meine Freundin noch nie jemand war, der mich gebraucht hat, um sich zu verteidigen.«
Rem verdreht die Augen, als Kohei ihr mit einem fröhlichen Grinsen einen Blick zuwirft, aber auch sie muss lächeln.
»Aber jetzt sollte ich mich wohl entschuldigen, dass ich so in Ihr Klassentreffen platze.« Kohei richtet seinen Blick auf Asami. Aber auch wenn er mit Asami zu sprechen scheint, ist seine Stimme laut genug, sodass alle im Wintergarten sie hören können. »Wie schon gesagt, wollte Rem nicht, dass Ihre harte Arbeit, dieses Treffen zu organisieren, davon überschattet wird, dass sie eine besondere Behandlung im Emerald bekommt. Daher haben wir nichts gesagt, aber Mr. Isobe lässt sich nicht so leicht täuschen.« Er grinst und reibt sich den Hinterkopf, wie ein Junge, der bei einem Streich erwischt wurde. Dabei ist Rem sich sicher, dass er ihrer Bitte, nichts zu sagen, so einfach nachgekommen ist, weil er wusste, dass er Mr. Isobe gar nicht informieren müsste. Aber es ist wohl ihre eigene Schuld, den Manager des Emerald zu unterschätzen, denkt sie, mit einem geschlagenen Lächeln auf den Lippen.
»Aber der Vorteil ist, dass ich jetzt in einem Raum voller Menschen stehe, dir mir etwas über Rems Schulzeit erzählen können.«
Rems Lächeln gefriert. »Ich denke, es wäre besser, wenn wir uns verabschieden. Es ist spät«, sagt sie mit nachdrücklicher Stimme, während sie Kohei warnend ansieht.
Er grinst verspielt. »Und ich denke, deine Freunde würden sich gerne noch mit dir unterhalten. Ich werde mich in der Zwischenzeit beschäftigen.«
»Das kann ich nachholen!«
»Wozu, wenn du schon hier bist?« Er tritt einen Schritt zurück. »Und du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde nichts tun, wie Tickets für zwei für ein Wellnesswochenende an den zu verschenken, der mir die schönste Geschichte über dich erzählt.« Bei dem letzten Teil hebt er die Stimme, damit es auch jeder hört, als ob der viel zu detaillierte Vorschlag nicht schon eindeutig genug wäre.
Rem funkelt ihn warnend an.
»Haha, das war nur ein Witz!« Kohei wedelt abtuend mit der Hand und hat dabei ein so entwaffnendes Lächeln auf dem Gesicht, dass Rem ihm so ziemlich alles vergeben hätte.
Sie atmet geräuschvoll aus und macht ein mürrisches Gesicht, um ihn das nicht wissen zu lassen. »Gib mir fünf Minuten«, grummelt sie und wendet sich wieder Kaho und Asami zu.
Die beiden sehen Kohei an und während Kaho lächelt, kichert Asami leise, als fänden sie Koheis Witz tatsächlich lustig.
Rem legt die Stirn in Falten und sieht wieder zu Kohei, der ausgerechnet auf Inugami zugeht. Aber obwohl ihm sämtliche Blicke dabei folgen, wirkt die Stimmung im Raum mit einem Mal viel lockerer.
Rems Blick huscht zu Shiroma, die immer noch dort vor dem Eingang steht. Sie hat den Kopf eingezogen und ihre Schultern beben, als würde sie um ihre Fassung kämpfen. Aber sie sieht nicht so aus, als würde sie Gesellschaft haben wollen, ganz besonders nicht Rems.
»Wow!« Asamis atemlose Stimme zieht Rems Aufmerksamkeit zurück auf sie und Kaho. »Das war so krass!«
Auch Kaho lässt ein Seufzen hören. »Es war definitiv mehr Drama, als ich erwartet habe.«
»Tut mir leid, das war wirklich nicht geplant«, sagt Rem, die Kaho nur zustimmen kann. Sie hätte doch nicht noch einmal zurück in den Wintergarten kommen sollen.
»Ich kann nicht glauben, dass du mit Kohei Inouye ausgehst! Und es geheim gehalten hast!«, sagt Asami, deren Wangen leicht gerötet sind. »Ich meine, ich kann verstehen, wieso du ihn verstecken wolltest.« Ihr Blick huscht an Rem vorbei zu Kohei und sie legt sich die Hände über den Mund. »Wie kann jemand so heiß sein? Ich meine, er hat diese Model-Vibes. Ich habe das Bedürfnis, so einen Anzug zu kaufen und meinem Freund zu schenken. Dabei bin ich single.«
Rem runzelt die Stirn und Kaho prustet. »Sie hat aber recht«, sagt sie und sieht Rem an. »Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du mal mit jemandem ausgehen würdest, der so…extravagant ist.«
»Im Ernst, wie ist das passiert?« Asami nimmt den Blick von Kohei, um Rem mit vor Neugier glühenden Augen anzusehen.
Rem zuckt mit den Schultern. »Wir arbeiten zusammen und es ist halt passiert.«
Kaho und Asami sehen sie daraufhin beide mit einem resignierten Blick an.
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«, fragt Asami enttäuscht, aber Kaho kichert. »Das ist Rem.«
»Aber ist er nicht voll der Playboy? Ich glaube, das habe ich mal gelesen…« Asami legt sich eine Hand ans Kinn.
»Das sind nur die Gerüchte aus den Medien«, murmelt Rem, wobei sie Kohei einen Blick zuwirft. Er unterhält sich immer noch mit Inugami, auch wenn noch weitere ihrer Klassenkameraden dazugestoßen sind.
»Dann ist das zwischen euch was Ernstes?«, fragt Asami und Rem runzelt die Stirn. Vielleicht hat sie Shiromas Geschichte zu viel Glauben geschenkt. »Das Haus würde nicht für mein Klassentreffen aufkommen, wenn ich nur eine x-beliebige Freundin wäre.« Rem kann sich vorstellen, dass sie nicht die erste Frau ist, mit der Kohei das familieneigenen Hotel besucht hat, aber nach ihrem ersten Treffen mit Mr. Inouye, glaubt sie nicht, dass er damit einverstanden gewesen wäre, eine Party für eine dieser Frauen zu bezahlen, zu der Kohei noch nicht einmal eingeladen ist.
»Stimmt, das Hotel gehört seinem Großvater, oder?«, sagt Kaho mit ehrfürchtiger Stimme. »Ist das nicht ein unheimlicher Druck, wenn jemand wie er mit deinem Freund verwandt ist? Ich hätte riesigen Bammel vor dem Kennenlernen.«
Rem sieht Kaho an. »So schlimm war es nicht. Er war am Anfang unhöflich, aber danach hat er mir sogar geholfen und er kann überraschend aufmerksam sein…« Rems Stimme verliert sich am Ende des Satzes, als ihr auffällt, dass all ihre Treffen stattgefunden haben, bevor sie offiziell mit Kohei zusammen war.
»Du hast ihn schon getroffen?!«
Rem richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf Kaho, die sie entsetzt ansieht. »Natürlich. Ich habe alle aus seiner Familie kennengelernt, außer seinen Vater.«
Kaho und Asami starren sie an, als wäre das ein genauso großer Schock wie ihre Beziehung mit Kohei.
Rem seufzt, als ihr klar wird, dass fünf Minuten wohl doch nicht ausreichen.
Nachdem Rem sich von Kaho und Asami verabschiedet hat, geht sie zu Kohei, der sich, sehr zu ihrem Ärger, immer noch mit Inugami unterhält. Daher scheut sie sich nicht, die Unterhaltung zu unterbrechen.
»Ich bin fertig«, sagt sie und wirft Inugami einen Blick zu, der ihm signalisieren soll, dass er jetzt gehen kann.
Inugami erwidert ihren Blick missbilligend. »Du hast wirklich Probleme, Aozora!«
Rem runzelt die Stirn. Dann wirft sie Kohei einen Blick zu. »Wieso? Worüber habt ihr gesprochen?«
Aber Kohei lächelt nur.
»Das meine ich nicht!«, sagt Inugami. Dann sieht er sich um, bevor er mit gesenkter Stimme zu sprechen beginnt. »Wie kannst du herumheulen, weil du einen alten Fiat zu Schrott gefahren hast, während du einen scheiß Ferrari in der Garage hast«, flüstert er energisch und gestikuliert in Koheis Richtung als er ‚Ferrari‘ sagt.
»Du vergleichst nicht gerade meine Beziehungen mit Autos«, sagt Rem und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Es ist wirklich ein schlechter Vergleich«, sagt Kohei und Rem sieht ihn überrascht über den abfälligen Ton in seiner Stimme an, als er hinzufügt. »Ein Fiat, bitte! Der Kerl ist höchstens ein Tretroller. Mit zwei kaputten Rädern.«
Rem blinzelt verdutzt.
»Ooh!« Inugami hebt eine Hand vor den Mund, ohne dabei das breite Grinsen auf seinem Gesicht zu verdecken. Er hat einen wissenden Blick in den Augen und Rem will gar nicht wissen, was er weiß.
Sie packt Koheis Hand. »Es war fast schön, dich wiederzusehen, Inugami«, sagt sie mit ihrem Arbeitslächeln.
»Hast du gerade ‚fast schön‘ gesagt?«, fragt Inugami empört.
»Aber es ist spät und wir müssen jetzt gehen.«
Neben ihr lässt Kohei ein leises Kichern hören. »Danke für die Unterhaltung, Mr. Inugami, aber ich schätze, ich muss mich verabschieden.«
Rem wirft ihm wegen seiner Wortwahl einen Blick zu, aber als er sie nur unschuldig anlächelt, belässt sie es dabei.
Sie verlassen den Wintergarten und Rem führt Kohei weiter ins Hotel hinein.
»Hm? Wo gehen wir hin?«, fragt Kohei, aber Rem hört den amüsierten Unterton in seiner Stimme.
»Tu nicht so, als wüsstest du das nicht«, antwortet sie etwas resigniert. Sie hat nicht wirklich erwartet, ihn überraschen zu können, aber enttäuscht ist sie trotzdem.
Kohei lacht leise. »Mr. Isobe hat es mir vorhin gesagt. Ich hätte nie gedacht, dass du uns das Penthouse reservierst.«
Rem wirft ihm einen tadelnden Blick zu. »Als ob ich hier irgendetwas anderes reservieren könnte!« Sie hat recht zügig, nachdem sie Asami zugesagt hat, im Hotel angerufen, um ein Zimmer zu reservieren. Dabei hat sie das Penthouse gar nicht erwähnt.
»Gefällt dir das Penthouse nicht?«
»Doch. Ich beschwere mich doch gar nicht.«
»Hm…« Kohei runzelt die Stirn, während er sie nachdenklich von der Seite mustert. Sie haben den Fahrstuhl erreicht, der ausschließlich für das Penthouse genutzt wird, und Rem zieht die Schlüsselkarte hervor, um ihn zu bedienen.
»Weshalb hast du dann so schlechte Laune?«, fragt Kohei, als sie im Fahrstuhl sind.
Rem öffnet den Mund, um ihm zu widersprechen, überlegt es sich dann jedoch anders. Sie sieht Kohei streng an. »Worüber hast du mit Inugami gesprochen?«
Er hebt die Brauen. »Über dies und das.«
Rems Miene verdüstert sich.
»Wir haben nur ein bisschen geplaudert«, sagt Kohei und streckt die Hand nach ihr aus, um ihr eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen.
»Über mich?«
Daraufhin grinst er nur.
Rem stöhnt leise und richtet ihren Blick auf die Fahrstuhltür. »Wie schön, dass du dich amüsiert hast!« Ihre Stimme klingt schnippisch und sie weiß, dass Kohei sie anstarrt. Sie ist kindisch. Aber sie weiß, dass Shiroma nicht gelogen hat, als sie davon erzählt hat, wie Kohei mit ihr gelacht hat, als sie über Rem gesprochen haben. Und auch wenn es wohl kein böswilliges Lachen gewesen ist, hat der Gedanke von Kohei ausgelacht zu werden, dieses blöde Gefühl, das sie nach ihrem Gespräch mit Kosuke hatte, wieder an die Oberfläche geholt.
»Das habe ich«, sagt Kohei, als wäre ihm Rems Ärger entgangen. »So sehr, dass ich es bereue, dass wir nicht auf derselben Schule waren.«
»Wieso? Weil deine Schulzeit dann amüsanter gewesen wäre?« Rems Stimme klingt nach wie vor abfällig und sie sieht aus dem Augenwinkel wie Kohei sie ansieht.
»Nein«, sagt er und seine Stimme klingt im Gegensatz zu ihrer völlig ruhig. »Weil ich bei meiner ersten Liebe nicht die falsche Wahl getroffen hätte.«
Rem dreht den Kopf, um ihn anzusehen.
Er erwidert ihren Blick völlig ernst, aber Rem schnaubt. »Das klappt nicht!«
»Ich meine es ernst.« Kohei schiebt die Hände in seine Hosentaschen und sieht zu der Stockwerkanzeige des Fahrstuhls hinauf. »Du hast dich mit dem Fußballclub wegen diesem Bettler geprügelt, oder?«
Sie versteift sich.
»Deswegen hast du nicht gesagt, worum es dabei ging. Weil es ihn in Verlegenheit gebracht hätte.«
Rem zögert. Aber dann seufzt sie. »Sie haben sich über seine Zeichnungen lustig gemacht, von denen er nicht wollte, dass irgendwer sie sieht. So wie die Jungs aus dem Fußballclub darüber gescherzt haben, hat er wohl eine nicht oder nur leicht bekleidete Frau gezeichnet. Wie hätte ich das den Lehrern sagen sollen?« Kosuke hat sich damals fast überschlagen, um ihr zu erklären, dass er nur geübt hat, um seine Zeichenkünste zu verbessern, und gleichzeitig beteuert, dass die Zeichnungen viel zu schlecht wären, um sie zu begutachten, sodass er sie ihr nicht zeigen könne. Es war recht offensichtlich.
»Ich denke, er hat dich gezeichnet«, sagt Kohei plötzlich und Rem sieht ihn an.
Kohei nimmt den Blick von der Anzeige. »Du hast dich für ihn geprügelt, vor den Lehrern die Schuld auf dich genommen und dich bestrafen lassen, und dann nicht einmal eine Erklärung von ihm verlangt. Kannst du dir nicht vorstellen, was für ein Gefühl es ist, wenn dir jemand so bedingungslos vertraut?«
Rem öffnet den Mund, aber Koheis Blick ist so ehrlich, dass ihr keine Widerworte einfallen.
Kohei stellt sich vor sie und umfasst ihr Gesicht. »Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, dass es etwas an deiner Vergangenheit gibt, das dir peinlich sein sollte, denn alles, was ich gehört habe, hat mir gezeigt, dass du genau dieselbe aufrichtige und gutherzige Person warst wie heute. Du warst vielleicht unerfahrener und etwas ungeschickt, aber damals wie heute bist du...du bist…« Kohei bricht ab und sein Atem klingt plötzlich schwer.
»Was ist los?« Rem mustert besorgt sein Gesicht, das nun sehr blass wirkt. Aber mehr als das beunruhigt sie der Ausdruck von Panik, der in seine Augen tritt.
Kohei starrt in Rems besorgte Augen, während sich ihm die Kehle zuschnürt. Was passiert gerade?
Er hebt seine rechte Hand vor den Mund und dreht sich von Rem weg, während er sich zum Husten zwingt. Es klingt überzeugend, als hätte er sich beim Sprechen an seinem eigenen Speichel verschluckt. Nicht, dass es die Situation angenehmer machen würde.
»Kohei…?«, hört er Rems sanfte Stimme und er streckt seine linke Hand in ihre Richtung, um ihr zu signalisieren, dass er nur einen Moment braucht.
»Hab mich nur verschluckt«, murmelt er dann und versucht, nicht zu sehr darüber nachzudenken, wie idiotisch er gerade wirken muss. Trotzdem zwingt er ein Lächeln auf sein Gesicht, bevor er wieder zur Rem sieht. »Tu mir einen Gefallen und vergiss das.«
Eine Sorgenfalte erscheint zwischen Rems Brauen.
»Ich meine es ernst«, fügt Kohei hinzu. »Lösch diese peinliche Erinnerung.«
Rem runzelt die Stirn. »Wie ungewöhnlich. Würdest du normalerweise nicht versuchen, besonders dick aufzutragen, damit ich mir Sorgen mache?«
Kohei lacht bitter auf, bei dem Gedanken, an seine Versuche, Rems Aufmerksamkeit zu bekommen. »Ja, aber nicht, nachdem ich mich grundlos verschluckt habe wie ein Idiot. Ich besitze auch Schamgefühl.«
Rem mustert ihn nach wie vor aufmerksam, aber ein Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln. »Das ist mir neu.«
Kohei bedenkt ihren Kommentar mit einem missbilligenden Blick, aber er ist froh, dass sie nicht weiter darauf beharrt. »Solltest du nicht netter zu deinem Freund sein, der sich gerade mies fühlt?«, fragt er und legt einen Arm um Rems Rücken, als der Fahrstuhl hält und sich die Türen öffnen.
»Du willst also doch, dass ich mir Sorgen mache?«, fragt Rem, während sie sich aus dem Fahrstuhl führen lässt. »Wo ist dein Schamgefühl jetzt?«
Kohei bleibt stehen, kaum dass sie das Penthouse betreten haben und dreht sich zu Rem. Er umfasst ihr Gesicht mit beiden Händen. »Vielleicht hätte ich mich doch noch länger mit Mr. Inugami unterhalten sollen. Er hat einige interessante Geschichten über dich zu erzählen.«
Rems Miene verhärtet sich. »Du solltest nicht alles glauben, was Inugami erzählt.«
Kohei grinst. »Wieso? Weil ihr eine sehr lebhafte Vergangenheit habt?«
Rems Augen schmälern sich. Aber sie mustert ihn mit etwas Verwirrung im Blick. »Stört es dich nicht?«
»Was?«
Sie zuckt mit den Schultern und neigt den Kopf zur Seite, wobei sie ihre Wange gegen seine Hand drückt. »Er ist ein Mann.«
Kohei blinzelt. »Fragst du mich, ob ich eifersüchtig bin?«
»Überrascht dich das?«, fragt sie mit einem skeptischen Blick auf ihn und Kohei muss lachen. »Nein, aber ich habe keinen Grund, eifersüchtig zu sein.«
Rem starrt ihn an, als hätte er behauptet, dass Schweine fliegen können.
»Sieh mich nicht so an. So eifersüchtig bin ich dann auch wieder nicht«, sagt er, obwohl er nicht abstreiten kann, dass er sich vorgenommen hat diesen Inugami genauer unter die Lupe zu nehmen, nachdem Rem ihm seinen Namen entgegen gebrüllt hat. Das ist auch der Grund, warum er sich mit ihm unterhalten wollte, nachdem er Rem ihren Freundinnen überlassen hat und die Erkenntnis, dass Rem und Inugami viel miteinander zu tun hatten, als sie noch in der Schule waren, hat das Störgefühl, das Inugami bei Kohei auslöst, nur verstärkt. Und dann ist ihm aufgefallen, wie Rem ihn nicht aus den Augen lassen konnte. Kohei, nicht Inugami. Sogar nachdem sie zu ihnen gekommen ist und mit Inugami gesprochen hat, lag ihre Aufmerksamkeit auf Kohei.
Er würde darauf tippen, dass sie seine Gedanken erraten wollte, nachdem er von ihrem Schulleben erfahren hat, das sie geheim halten wollte. Und die Tatsache, dass sie so mit ihm beschäftigt war, dass sie sich Inugami gegenüber schon unhöflich verhielt, hat ihn so glücklich gemacht, dass seine Eifersucht Inugami gegenüber davon überschattet wurde.
Um das Thema nicht zu vertiefen, beugt er sich vor und drückt Rem einen Kuss auf die Lippen. »Hast du nicht etwas von einer Überraschung gesagt?«, fragt er mit einem erwartungsvollen Grinsen. »Dass du das Penthouse gebucht hast, ist doch nicht alles, oder?« Das war zwar überraschend, aber nicht so sehr, dass Kohei es als eine Überraschung von Rem akzeptieren würde.
Rem schnaubt leise. Dann umfasst sie sein Handgelenk und zieht es von ihrem Gesicht. Dabei hat sie ein Lächeln auf den Lippen, das an das erinnert, mit dem sie ihn ansieht, wenn sie die Monatsendauswertung gewinnt.
Sie zieht ihn mit sich zur Couch, wo sie ihn auf das Sitzpolster drückt und sich dann neben ihn setzt.
Kohei beobachtet, wie sie nach der Karaffe mit Wasser greift, die auf dem Couchtisch steht und ein Glas füllt. Er runzelt fragend die Stirn, als sie es ihm reicht.
Ein freches Glimmern tritt in Rems Augen. »Nur für den Fall, dass du dich noch einmal verschluckst.«
Kohei öffnet empört den Mund. Aber er muss lachen, als sie ihm zuzwinkert und dann aufsteht.
»Ich bin gleich wieder da«, sagt sie, mit einem aufgeregten Unterton, der ihn neugierig auf das macht, was sie vorhat. Sie verschwindet Richtung Badezimmer und Kohei senkt den Blick auf das Glas in seiner Hand. Sein Lächeln verblasst.
Er ist sich nicht sicher, ob Rem ihm die Ausrede, er hätte sich verschluckt, abgekauft hat oder ob sie nur so tut, um ihn nicht zu bedrängen.
Er berührt mit seiner freien Hand seine Kehle. Wieso hatte er es nicht sagen können? Es ist der perfekte Moment gewesen, um Rem wissen zu lassen, was sie ihm bedeutet.
Er wollte ihr sagen, wie glücklich es ihn gemacht hat, mehr über sie zu erfahren und dass es nichts gibt, für das sie sich schämen muss. Aber gerade als er zu dem Teil gekommen ist, bei dem er ihr gestehen wollte, dass er sich nur noch mehr in sie verliebt hat, sind ihm die Worte im Hals stecken geblieben.
Er schließt die Augen und denkt an Rems Gesicht. »Ich li…« Er bricht mit einem Räuspern ab. Nur daran zu denken, lässt seine Kehle eng werden und er stellt das Wasserglas auf dem Tisch ab, denn er bezweifelt, jetzt trinken zu können.
Was ist los mit ihm? Er liebt Rem und sie liebt ihn. Sie hat es ihm schon mehrmals gesagt, also wieso steigt dieses Gefühl in ihm auf, wenn er nur daran denkt, Rem ein Geständnis zu machen? Dieses unerträgliche Gefühl von Scham und Demütigung.
Er vergräbt das Gesicht in den Händen. Rem ist nicht Marika. Und nachdem sie von ihrem Bettler-Ex so achtlos behandelt wurde, verdient sie es, dass er sich um sie bemüht. Außerdem hat er es schon einmal zu ihr gesagt und das macht es noch wichtiger, dass er es wiederholt. Denn damals hat er es vor sich hingemurmelt, während sie miteinander geschlafen haben, als hätte er es zu ihrem Körper gesagt. Natürlich hat Rem es nicht ernst genommen, denn nicht einmal ihm war klar, dass er es ernst gemeint hat. Aber jetzt wird sie es ernst nehmen. Und sie weiß es ja sowieso schon. Es ist keine große Sache!
Koheis Hände rutschen in seine Haare und er bohrt frustriert seine Nägel in seine Kopfhaut. Rem tut so viel für ihn. Wieso kann er nicht einmal etwas so Einfaches für sie tun? Es ist jämmerlich!
»Kohei?« Rems Stimme lässt ihn hochschrecken und er hebt den Kopf, in der Erwartung sie auf sich zukommen zu sehen. Aber er sieht sie nicht.
»Würdest du die Augen zumachen?«, ertönt ihre Stimme erneut aus dem Flur, der ins Badezimmer führt.
Kohei runzelt die Stirn. Dann atmet er tief durch und setzt eine entspannte Miene auf. »Okay«, sagt er, nachdem er sich entspannt zurückgelehnt und die Augen geschlossen hat.
Einen Moment ist es still, dann hört er Rems leise Schritte. Da ist noch ein anderes Geräusch, dass er nicht einordnen kann. Dann erreicht sie den Tisch und er hört, wie sie etwas darauf abstellt. Das Geräusch eines Reißverschlusses ertönt, begleitet von einem Rascheln. Dann wird noch etwas auf dem Tisch abgestellt.
Kohei, der nicht länger warten kann, öffnet ein Auge. Und sobald er Rem sieht, öffnet er auch das andere Auge, ohne darüber nachzudenken.
Das, was sie auf dem Tisch abgestellt hat, ist ihr Fuß. Ihr Fuß, der in einem hohen Lacklederstiefel steckt, dessen Reißverschluss sie in diesem Moment ihr Bein hinaufzieht. Dazu trägt sie knappe schwarze Shorts, an deren Gürtel ein Paar Handschellen befestigt ist, ein dunkelblaues Oberteil mit Schulterklappen und einem Polizeiemblem auf der linken Seite der Brust, fingerlose Handschuhe und eine Polizeikappe.
»Habe ich gesagt, du kannst die Augen aufmachen?«, fragt Rem in tadelndem Tonfall, während sie das letzte Stück des Reißverschlusses zu ihrem Oberschenkel hinauf schließt.
Kohei, der noch damit beschäftigt ist, sie ausgiebig in Augenschein zu nehmen antwortet nicht sofort. Als er schließlich bei ihrem Gesicht und ihren Augen ankommt, die mit einem stechenden Blick auf ihn gerichtet sind, breitet sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Aber du wolltest doch, dass ich dir heimlich zuschaue? Warum sonst hast du diese schicken Stiefel hier angezogen und nicht im Bad?«
Rem blinzelt und sieht auf die Stiefel hinab. »Das wollte ich eigentlich, aber siehst du diese Absätze?« Sie deutet auf die hohen und recht dünnen Absätze. »Hier ist ein Teppich, aber wenn ich damit über den Boden gelaufen wäre, hätte ich das Parkett beschädigen können.«
Koheis Blick huscht zu dem Parkettboden vor der Couch. Dann muss er kichern. Das ist so ein Rem-Grund. »Natürlich. Das wäre Vandalismus und dann müsstest du dich selbst verhaften«, sagt er, immer noch lachend.
Rem verschränkt die Arme vor der Brust und macht ein beleidigtes Gesicht. »Vielleicht hätte ich sie gar nicht erst anziehen sollen!« Ihre Wangen sind gerötet und sie sieht zur Seite.
Kohei steht auf. »Aber sie stehen dir ausgezeichnet. Es wäre so eine Verschwendung, sie nicht zu tragen.« Er streckt die Hand nach ihr aus, nur um einen Schlag auf die Finger zu bekommen. Und während er noch verdutzt auf seine Finger schaut, packt Rem seine Krawatte.
»Ich bin wütend auf dich, Kohei Inouye!«
»Eh?«, macht Kohei und starrt in Rems glühende Augen. »Weil ich Vandalismus nicht ernst nehme?«, fragt er verwirrt, da Rem normalerweise nicht so leicht wütend wird.
»Nein!«, widerspricht Rem energisch und zieht fester an seiner Krawatte.
Kohei lehnt sich weiter vor und packt ihr Handgelenk, um sie davon abzuhalten, noch kräftiger zu ziehen. »Okay, aber bitte lass deine Wut nicht an meiner Krawatte aus. Du machst Falten rein!«
Rems Blick zuckt zu der Krawatte, die sie ihm geschenkt hat, und ein Hauch von Zufriedenheit lindert den Ärger in ihren Augen. Trotzdem lässt sie nicht los. Sie lehnt den Kopf zurück und bringt ihr Gesicht vor seins. »Dann musst du sie später eben bügeln«, raunt sie und Kohei starrt ihre Lippen an. »Das klingt verdammt sexy. Ich wusste nicht, dass bügeln sexy sein kann.« Obwohl in diesem Moment wohl alles aus Rems Mund sexy in seinen Ohren geklungen hätte.
»Das ist jetzt nicht der Punkt«, sagt Rem und zwischen ihren Brauen bildet sich eine kleine Falte.
»Wenn du eine ernsthafte Diskussion mit mir führen wolltest, hättest du das machen sollen, bevor du dich umgezogen hast. Jetzt kann ich mich nicht mehr konzentrieren.«
Sie schnaubt leise. »Das ist aber dein Problem«, erwidert sie und legt ihm eine Hand auf die Schulter.
Kohei beobachtet fasziniert den geschäftsmäßigen Blick in ihren Augen. »Wird das ein Verhör, Frau Polizistin?«, fragt er, während er sich von ihr zurück auf die Couch drücken lässt.
Rem bleibt stehen und sieht drohend auf ihn herab. »Dachtest du, ich würde einfach vergessen, was du heute getan hast?«
»Was habe ich getan?«, fragt er, nicht bei der Sache. Sein Blick rutscht an ihr hinunter. Die Uniform ist nicht so freizügig wie zum Beispiel das Schulmädchenkostüm, aber die strenge, dominierende Ausstrahlung einer Polizistin passt besser zu Rem als das naive Schulmädchen. Die Handschuhe sind ein nettes Accessoire und Kohei bemerkt zum ersten Mal, dass Rem Hüte ausgezeichnet stehen. Aber am besten gefallen ihm die Druckknöpfe des Oberteils.
Aber während er noch darüber sinniert, was sie wohl darunter trägt, klettert Rem auf die Couch, die Knie jeweils links und rechts von seinen Beinen. Ihre Hände umfassen sein Gesicht und neigen seinen Kopf nach hinten, sodass er ihr in die Augen sieht, während sie über ihm kniet. »Du hast Yuji geschickt, um mir hinterherzuspionieren«, sagt sie, aber in diesem Moment löst ihr strenger Blick nicht das kleinste Schuldgefühl in ihm aus.
»Schuldig«, murmelt er und schmiegt seine Wange gegen ihre Hand. »Ich bin eifersüchtig und sehr besitzergreifend, und verdiene es, bestraft zu werden.« Er grinst fröhlich zu ihr auf und kann ein Kichern nicht zurückhalten, als Rem etwas irritiert die Stirn in Falten legt, als wäre das nicht die Antwort, die sie hatte hören wollen.
Sie räuspert sich und der Anflug von Röte auf ihrem Gesicht ist so niedlich, dass es ihm schwerfällt, ruhig sitzen zu bleiben. Und als würde Rem das erahnen, legt sie ihre Hände auf seine Schultern und drückt ihn gegen die Rückenlehne. »Du wolltest also ein Auge auf mich haben, für den Fall, dass andere Männer mit mir flirten?«
»Immer«, gibt Kohei schamlos zu, auch wenn es ihm diesmal ganz besonders um einen Mann ging, der nicht direkt vorhatte, mit Rem zu flirten.
Rem beugt sich zu ihm herunter, sodass einige ihrer Haarsträhnen sein Gesicht kitzeln. »Während du mit anderen Frauen flirtest?«
Kohei blinzelt. Tatsächlich braucht er einen Moment, bis er versteht, was Rem meint. »Eigentlich war das mehr aushorchen als flirten«, sagt er, da er nie mit Shiroma gesprochen hätte, wäre sie nicht Rems frühere Klassenkameradin gewesen.
»Du hast ihr deine Karte gegeben«, sagt Rem, deren linke Hand in sein Haar gewandert ist.
»Höre ich da Eifersucht, Officer?«, fragt Kohei keck.
Rems Brauen ziehen sich zusammen und ein warnendes Funkeln liegt in ihren Augen.
»Das war nur eine kleine Strafe von mir«, sagt Kohei, obwohl er sich sicher ist, dass Rem das bereits herausgefunden hat. »Ich wusste, dass sie damit angeben würde und dass du mindestens einer Person deine Karte gegeben hast, sodass herauskommen würde, dass wir zusammenarbeiten. Und nachdem sie sich so über dich ausgelassen hat, hat sie eine Demütigung verdient, oder nicht?« Ehrlich gesagt findet Kohei nicht, dass Shiromas Strafe hart genug war. Natürlich hat er einen falschen Eindruck erweckt, indem er ihr seine Karte gegeben hat, aber niemand hat sie dazu gezwungen, sofort in den Wintergarten zu rennen und damit anzugeben. Und trotzdem hätte Rem wohl nichts dazu gesagt, wenn Koheis Karte nicht verraten hätte, dass sie mit ihm arbeitet.
»Aber du hast ihr trotzdem deine Karte gegeben und sie glauben lassen, du hättest ein Interesse an ihr.«
»Ja, aber das war ihr Missverständnis. Ich habe mich nur nicht bemüht, es aufzuklären.«
Ihre Hand an seinem Hinterkopf packt seine Haare. »Jede Frau würde das missverstehen und das weißt du!«
»Das war ja der Punkt -« Er bricht ab und schnappt nach Luft, als Rem seinen Kopf an seinen Haaren nach hinten zieht. »Aber du bist mein Freund!« Ihr Gesicht ist jetzt so dicht vor seinem, dass sich ihre Nasen beinahe berühren und ihr Blick bohrt sich in seinen.
Koheis Atem stockt. Die Art, wie Rem das Wort ‚mein‘ betont, wie sie ihn ansieht und wie sie ihn unter sich auf die Couch drückt, als würde sie ihn nicht gehen lassen, selbst wenn er es wollte. Die Andeutung, dass sie ihm gegenüber auch besitzergreifend sein kann, ist so berauschend und schmeichelnd, dass er für einen Moment alles andere vergisst. Er starrt zu Rem auf und dem intensiven Blick, mit dem sie zurückstarrt.
»Gib nicht einfach irgendwelchen Frauen deine Karte und lass sie falsche Dinge glauben!«
Koheis Augen weiten sich. Er hat nicht erwartet, dass Rem glücklich über sein Vorgehen mit Shiroma sein würde, aber weil sie die öffentliche Demütigung nicht gutheißen würde. Weil Rem niemand ist, der sich an Leuten rächt. Aber davon spricht sie in diesem Moment nicht.
Er hat darüber gescherzt, aber er kann den Blick in Rems Augen so gut nachvollziehen, dass es schon lächerlich ist. Es ist dasselbe Gefühl, das er hatte, als er beobachten musste, wie Rem Mr. Blake ihre private Nummer und E-Mail-Adresse gegeben hat. Das Gefühl von Verwirrung, Ärger, Verrat und Angst, das in ihm das Bedürfnis weckt, Rem festzuhalten und nicht mehr loszulassen. So ähnlich wie sie ihn gerade unter sich auf die Couch drückt.
»Okay« Sehr zu seiner eigenen Überraschung kommt ihm seine Antwort nur schwach über die Lippen. Er dachte, das Gefühl, wenn Rem eifersüchtig ist, wäre erfüllend. Und auch wenn sein Herz vor Aufregung in seiner Brust hämmert und er die Worte ‚Du bist mein Freund!‘ in Dauerschleife in seinem Kopf abspielt, war ihm eine Sache nicht bewusst. Wie unangenehm es ist, dass Rem denken könnte, er hätte Interesse an einer anderen Frau. Was, wenn sie deswegen über die Möglichkeit nachdenkt, dass er sie verlassen könnte und sie sich darauf einstellt?
Er legt die Hände auf ihre Oberschenkel, sanft, aber jederzeit in der Lage, sie davon abzuhalten, von ihm hinunterzusteigen. »Ich habe nicht nachgedacht, aber ich werde es nie wieder tun.«
»Das ist nicht das Problem!«
Kohei blinzelt. »Ist es nicht?«
Der Schirm der Polizeikappe stößt gegen seine Stirn. »Das Problem ist, dass sie deine Karte haben wollte! Wieso hast du überhaupt mit ihr gesprochen? Dir ist doch klar, was sie wollte? Wie kannst du dich einfach von irgendwelchen Frauen anbaggern lassen?!«
Er weiß, dass er gerade noch Sorgen hatte, Rem könnte denken, er wäre an einer anderen Frau interessiert, aber er kann nichts dafür, dass Rem so süß ist, wenn sie eifersüchtig ist. »Ich gestehe, dass ich mich auf ein Gespräch mit ihr eingelassen habe, aber sie hat mich von ganz allein angesprochen. Ich habe sie gar nicht bemerkt, bis sie etwas gesagt hat.«
Rems Blick bohrt sich weiterhin in seinen.
»Das ist die Wahrheit. Ich saß nur an der Bar und habe auf dich gewartet.«
Rem lässt seine Haare los und umfasst sein Gesicht mit beiden Händen. »Das ist das Problem. Du verführst Leute, ohne etwas dafür zu tun. Sogar Asami und Kaho waren interessiert an dir, noch bevor du sie getroffen hast. Du bist zu attraktiv!«
»Oh«, macht Kohei, der sich beim besten Willen nicht darüber ärgern kann, dass Rem ihn zu attraktiv findet. Außerdem ist er überrascht, dass Rem ihm das alles erzählt. Egal wie sehr es sie stört, er hätte erwartet, dass sie einfach eine Weile grummelig ist, so wie bisher, wenn sie eifersüchtig war.
Seine Finger spielen mit den Handschellen an ihrem Gürtel. »Habe ich dir schon gesagt, wie sehr mir dein Kostümfetisch gefällt?«, sagt er grinsend, während er denkt, dass sie unter dem Deckmantel ihrer Verkleidung weniger Probleme damit zu haben scheint, ehrlich mit ihm zu sein.
»Ich habe keinen Kostümfetisch«, sagt Rem und hebt den Kopf etwas, um ihn tadelnd anzusehen.
Koheis Blick huscht an ihr hinab. »Das ist im Moment nicht gerade überzeugend, denkst du nicht?« Er sieht ihr wieder in die Augen und hebt herausfordernd die Brauen.
Rem schnaubt leise und streicht mit den Fingern über sein Kinn. »Hätte ich einen Kostümfetisch«, raunt sie, während sie ihren Daumen gegen seine Unterlippe drückt. »Würdest du ein Kostüm tragen, nicht ich.«
Kohei blinzelt.
Ein Grinsen breitet sich auf Rems Lippen aus. »Frag dich selbst, weshalb du ‚meinen‘ Kostümfetisch so magst.«
»Ich habe dich nie gebeten, ein Kostüm für mich anzuziehen«, widerspricht Kohei, denn vor Rem hat er nie auch nur daran gedacht, mit einer Frau in einem Kostüm zu schlafen.
»Doch, du wolltest, dass ich das Maidkostüm anziehe.«
Kohei hält inne, als er daran zurückdenkt. »Okay, aber es ist dein Kostüm.«
Rem neigt den Kopf leicht zur Seite, während sie ihn skeptisch mustert. »Dann soll ich aufhören, mich zu verkleiden?«
Kohei blinzelt. Er denkt an die Kostüme, die sie bisher getragen hat, insbesondere das Kitsunekostüm, dass sie, wie die Polizistin, für ihn gekauft hat. Daran, wie gut sie darin aussieht und daran, wie aufregend es ist, dass sie diese Kostüme nicht nur für ihn anzieht, sondern ihn sie ihr auch wieder ausziehen lässt.
Dann richtet er seinen Blick wieder auf Rem und ihre Polizeiuniform, in der sie so umwerfend aussieht. »Jetzt, wo du es sagst, ich glaube, ich habe einen Kostümfetisch.« Er grinst. »Mit einer besonderen Schwäche für eifersüchtige Polizistinnen.«
Rem legt die Stirn in Falten, als wäre sie nicht zufrieden mit seinem Geständnis. Dann lehnt sie sich zurück, sodass sie aufrecht über ihm kniet. »Streck die Hände aus.«
Kohei sieht sie fragend an, aber sie hilft ihm auf die Sprünge, indem sie seine Hände von ihren Hüften zieht und vor ihrem Bauch zusammenführt. Dann beobachtet er, wie sie ihm die Handschellen anlegt. »Bin ich jetzt verhaftet?«
»Ja.«
»Weswegen?«
»Respektlosigkeit gegenüber einer Amtsperson.«
Am nächsten Morgen schläft Rem, während Kohei wach ist, so wie ihr Morgen häufig beginnt. Nur, dass Kohei diesmal nicht vor ihr aufgewacht ist. Er hat überhaupt nicht geschlafen.
Der Abend mit Rem hat seine Sorgen für eine Weile in den Hintergrund gerückt, aber weg sind sie deshalb nicht. Und wie könnte er sie vergessen, während Rem bei ihm ist?
Er hätte nie gedacht, dass er jemals der Typ sein würde, der wegen dieser drei mickrigen Wörter ein Drama machen würde. Und rein logisch weiß er, dass es keinen gewaltigen Unterschied macht, ob er sie sagt oder nicht. So gesehen spielt es auch keine Rolle, dass er es gestern nicht gesagt hat, obwohl er es sich vorgenommen hat. Rem ist bei ihm, er kann es ihr jederzeit sagen. Nur, dass er das eben nicht kann.
Es ist so bescheuert! Kohei fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Die ganze Nacht hat er sich darüber den Kopf zerbrochen, nur um sich an Tomodas Worte zu erinnern, dass er ein Geständnis nicht planen sollte. Ein verdammt guter Rat! Ihm schnürt sich die Kehle zu, wenn er nur daran denkt, die Worte laut auszusprechen und wie soll er etwas sagen, ohne vorher daran zu denken? Zumal er sich mittlerweile so in die Sache hineingesteigert hat, dass er nicht nicht darüber nachdenken kann.
Er senkt seine Hand und richtet seinen Blick auf Rem, die seelenruhig schläft. Er fragt sich, was sie dazu sagen würde, aber gleichzeitig will er es nicht wissen. Nur der Gedanke daran, es ihr zu sagen, ist so peinlich, dass er lieber nicht darüber nachdenken will.
Er dreht sich auf den Rücken und bedeckt seine Augen mit seinem Unterarm. Rem wird merken, dass er kein Auge zugetan hat und da er sich gestern mit ihrem Vater getroffen hat, wird sie annehmen, dass es damit zusammenhängt.
Er schnaubt leise, als ihm auffällt, dass er keine einzige Sekunde mehr an Mr. Aozora gedacht hat. Das ist immerhin etwas Positives. Das und die Tatsache, dass er das Treffen mit Mr. Aozora hinter sich hat. Rückblickend war er schrecklich arrogant. ‚Ich werde Ihrer Tochter niemals sagen, dass ich sie liebe, aber ich werde sie auch nie verlassen!‘ Welcher Vater würde seine Tochter so einem Mann überlassen? Kohei würde das nicht und Mr. Aozora sicher auch nicht.
Die einzige Möglichkeit, die ihm nach einer langen Nacht des Nachdenkens eingefallen ist, ist, Rem auf jede nonverbale Art wissen zu lassen, was sie ihm bedeutet, bis er sich endlich zusammenreißen kann.
Rem hat bald Geburtstag und er hat ohnehin etwas Besonderes geplant. Aber diesmal nichts, dass sie in Verlegenheit bringt. Sondern etwas, dass sie wirklich und ehrlich glücklich macht…
»...Kohei.«
Eine sanfte Stimme kitzelt Koheis Ohr und etwas Schweres drückt gegen seine Brust. Er seufzt und legt die Stirn in Falten, während der Traum, den er gerade hatte, verschwimmt.
»Wach auf.«
Etwas Weiches wird gegen seine Wange gedrückt.
Kohei blinzelt. Er will eine Hand heben, um sich den Schlaf aus den Augen zu reiben, nur um festzustellen, dass das gar nicht so einfach ist. Er blinzelt erneut und sieht in Rems Gesicht, das über seinem schwebt. Seine erhobene Hand ertastet ihre Seite und er begreift, dass sie auf ihm liegt.
Rem kichert leise und gibt ihm erneut einen Kuss auf die Wange. »Guten Morgen«, flüstert sie und Kohei schließt sein rechtes Auge, als sie einen weiteren Kuss auf seinen Wangenknochen setzt. »Was tust du?«, murmelt er, noch immer nicht völlig wach und verwirrt.
»Dich aufwecken«, antwortet sie mit fröhlicher, überhaupt nicht verschlafener Stimme.
Kohei runzelt die Stirn. Rem ist vor ihm wach? Nicht nur das, unter seiner Hand, die nun auf ihrem Rücken liegt, spürt er Stoff, was bedeutet, sie ist aufgestanden und hat sich angezogen. »Wie spät ist es?«, fragt er, als ihm klar wird, dass er doch noch eingeschlafen ist, während er über Rems Geburtstag nachgedacht hat.
»Es ist gleich Mittag«, antwortet sie. »Ich wusste nicht, dass du so müde bist. Sollen wir heute etwas Entspanntes machen?«
Kohei sieht zu Rem auf. Nicht nur weckt sie ihn auf die beste Art, auf die man jemanden wecken kann, sie sagt ihm auch noch, dass sie vorhat, den Tag mit ihm zu verbringen, egal wie.
Er streckt die Hand nach ihr aus und streicht ihr eine Haarsträhne hinters Ohr.
Rem blinzelt. Dann breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus und sie drückt ihre Wange gegen seine Hand, wie eine Katze, die sich schnurrend an ihn schmiegt.
Koheis Kehle schnürt sich zu.
Er lässt seine Hand von ihrer Wange zu ihrem Nacken wandern und zieht sie zu sich herunter, sodass sie sein Gesicht nicht mehr sehen kann.
»Oh? Hey!«, protestiert Rem und zappelt, aber Kohei hält sie fest. Da es ihm jetzt wohl wortwörtlich die Sprache verschlägt, wenn Rem zu lieblich ist, bleibt ihm keine andere Wahl. Für den Moment jedenfalls.
Konstruktive Kritik ist immer erwünscht. Schreib mir, was du denkst und hilf mir damit weiter :)
© 2025 Urheberrecht. Alle Rechte vorbehalten.
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.